Krise der großen Leistungsschauen

IFA in Berlin kämpft mit weniger Ausstellern und rückläufigen Publikumszahlen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist noch gar nicht so lange her, da mussten sich Technikinteressierte nur zwei Termine merken, um in Deutschland zwei Messen mit internationalem Renommee besuchen zu können. Jedes Frühjahr gehörte der Computermesse Cebit in Hannover, während im Spätsommer die IFA nach Berlin lockte. Beide Ausstellungen sprachen ein ähnliches Publikum an, waren aber in ihrer Schwerpunktsetzung unterschiedlich und mit einem Abstand von einem halben Jahr zeitlich weit genug voneinander terminiert, um sich nicht gegenseitig das Publikum streitig zu machen.

Seit 2018 ist die Cebit allerdings Geschichte, und dass die Messe in ihrem letzten Jahr völlig außerhalb der Reihe nur noch zweieinhalb Monate vor der IFA stattfand, war am Ende nur der letzte Sargnargel für den Niedergang dieser Leistungsschau. Zu ähnlich waren sich beide Ausstellungen geworden, die Cebit wandelte sich von einer Messe, bei der die Digitalisierung der Industrie im Fokus stand, zu einer Werbeveranstaltung, bei der es immer stärker auch um die nächste Smartphone-Generation ging. Unterhaltungselektronik war und ist allerdings das IFA-Hauptgeschäft. Sukzessive nahm in Hannover die Zahl an Ausstellern und Besucher*innen ab, bis die Deutsche Messe AG als Ausrichter der Cebit 2018 das endgültige Aus verkündete.

Soweit ist es mit der IFA noch nicht, doch die Zeichen mehren sich, dass auch die ehemals als Internationale Funkausstellung bekannte Messe kriselt. Der Branchenverband GFU als Veranstalter denkt längst über neue Konzepte nach. Zeitlich ist das passend, laufen die aktuellen Verträge mit der Messe Berlin doch nächstes Jahr aus.

Wenn die IFA am heutigen Dienstag nach fünf Tagen ihren Messebetrieb schließt, dann ist schon jetzt klar, dass ihre Bilanz Fragen aufwirft: Ein Indiz für eine aufziehende Krise ist der deutliche Rückgang an Ausstellern. Fand die letzte IFA 2019 vor der Pandemie noch mit 1900 Unternehmen statt, sind es dieses Jahr nur noch 1100 Aussteller, die ihre Neuheiten präsentieren. Längst nicht jedes Fernbleiben lässt sich mit Nachwehen der Coronakrise begründen. Manche Branchengrößen wie Panasonic haben ihre Präsentationen deutlich verkleinert oder blieben Berlin gleich ganz fern, darunter Philips und Microsoft. Elektronikkonzern Sony war nur für Fachgäste präsent, nicht aber für das breite Publikum. Selbiges musste auch auf die Deutsche Telekom verzichten, bisher einer der größten und beliebtesten IFA-Aussteller. Doch das Telekommunikationsunternehmen konzentriert sich dieses Jahr auf die Mitte September in Köln stattfindende DigitalX, eine Messe mit dem Schwerpunkt Digitalisierung, bei der die Telekom selbst eine führende Rolle einnimmt. Das Beispiel zeigt einen Branchentrend: Einige Tech-Konzerne wie Apple sind erfolgreich genug und erreichen mit unternehmenseigenen Veranstaltungen so viel Aufmerksamkeit, weshalb sie sich Messeauftritte sparen können. Andere Unternehmen setzen dagegen auf kleinere Veranstaltungen mit einem stärkeren inhaltlichen Fokus.

Das große Zocken ist vorbei: Hinter der Spielebranche liegen wirtschaftlich sehr erfolgreiche Zeiten. Doch langsam trübt sich die Stimmung ein.

An der IFA geht es ebenso nicht spurlos vorbei, dass sich die Märkte für Unterhaltungselektronik und Haushaltsgeräte zuletzt unterschiedlich entwickelten. Hersteller von Fernsehern, Audiogeräten und Digitalkameras haben mit rückläufigen Umsätzen zu kämpfen. Setzte die Branche für Unterhaltungselektronik laut Fachverband Bitkom 2020 noch 9,3 Milliarden Euro in Deutschland um, waren es 2021 nur noch 8,9 Milliarden Euro. Auch die Prognosen für dieses und nächstes Jahr zeigen einen klaren Abwärtstrend. Damit ist der kurzzeitige Boom endgültig vorbei, den es mit Beginn der Corona-Pandemie gab. Deutlich erkennbar ist dies am Absatz für TV-Geräte, die im Bereich der Unterhaltungselektronik für mehr als 40 Prozent des Gesamtumsatzes stehen. Wurden im ersten Pandemiejahr 2020 rekordverdächtige 7,2 Millionen Fernseher in Deutschland abgesetzt, brach der Verkauf 2021 auf 5,8 Millionen Stück ein. Eine Erholung ist mittelfristig nicht in Sicht, weil sich Konsument*innen aufgrund der deutlich steigenden Lebenshaltungskosten zunehmend in Zurückhaltung üben – zumindest was Unterhaltungstechnik angeht. Zuwächse gibt es dagegen laut GFU weiterhin auf dem Markt für Elektro-Großgeräte wie Herde, Spül- und Waschmaschinen. Wesentlich verantwortlich dafür sind Nachwirkungen des bisherigen Baubooms, aber auch die gewachsene Verfügbarkeit deutlich energiesparenderer Geräte, deren Anschaffung bei steigenden Stromkosten durchaus Sinn ergibt. Haushalte tätigen eine solche Kaufentscheidung für ein Großgerät deutlich seltener als für andere Technik, wie etwa ein neues Smartphone.

Effizienz und Sparsamkeit waren dann auch Schwerpunkte der diesjährigen IFA. Bei einer jährlich stattfindenden Messe bleibt das nicht frei von eklatanten Widersprüchen, stehen die ausstellenden Unternehmen doch unter Druck, permanent neue Produkte zu präsentieren. Gerade im Bereich der Unterhaltungselektronik zeigt sich, dass die Branche ständig neue Hypes produziert. Wurden auf der letzten großen IFA 2019 vor der Pandemie immer größere, farbenreichere und schärfere TV-Geräte – Stichwort 8K Bildauflösung – als Innovation angepriesen, feiert die Fachpresse nur drei Jahre danach bereits die vermeintlich nächste technische Revolution. Statt riesiger Fernseher sollen sich Haushalte nun sogenannte Laser-TV-Systeme anschaffen. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein Projektor. Im Unterschied zum bisherigen Beamer brauchen diese Geräte nur noch wenige Zentimeter Abstand zu einer Wand, auf die das – laut Werbeversprechen natürlich noch bessere Bild – projiziert wird. Vernünftige Laser-TV-Systeme kosten laut Branche allerdings ab 2000 Euro aufwärts. Geld, das vermutlich viele Haushalte aufgrund der Inflation gar nicht haben werden.

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