Mit harter Rechter an die Spitze

Liz Truss wurde von der Parteibasis zur neuen Tory-Vorsitzenden gewählt

  • Peter Stäuber
  • Lesedauer: 4 Min.

»Es war eines der längsten Jobinterviews in der Geschichte«, witzelte Liz Truss, kurz nachdem sie als neue Premierministerin feststand. So sahen es wohl auch die meisten Briten: Der Wahlkampf ums höchste Amt in Großbritannien war lang und missmutig. Das Resultat fiel so aus wie erwartet: Favoritin Truss ist von den Tory-Parteimitgliedern zur neuen Vorsitzenden gewählt worden. Damit wird sie am Dienstag als neue Premierministerin antreten. Nach Margaret Thatcher und Theresa May ist Truss die dritte Frau an der Spitze Großbritanniens. Allerdings fiel ihr Sieg weniger deutlich aus als erwartet: Truss erhielt 81 000 Stimmen, ihr Rivale Rishi Sunak 60 000. Bereits sind Fragen aufgetaucht, wie viel Autorität Truss innerhalb der Fraktion haben wird.

»Ich habe den Wahlkampf als Konservative geführt, und ich werde als Konservative regieren«, sagte Truss in ihrer Ansprache nach ihrem Sieg – als ob noch jemand daran gezweifelt hätte. Viele Politikexperten gehen davon aus, dass Truss die rechteste Regierung seit 30 Jahren anführen wird. In ihrer kurzen Rede, die inhaltlich platt und wie üblich hölzern vorgetragen war, dankte sie ihrem »Freund« Boris Johnson und erwähnte seine größten Errungenschaften, unter anderem den Brexit. Auch bestätigte Truss ihr wichtigstes wirtschaftspolitisches Ziel: »Ich werde einen kühnen Plan vorlegen, um Steuern zu senken und die Wirtschaft wachsen zu lassen.«

Ihre Schwäche für eine libertäre Wirtschaftspolitik ist bestens bekannt. Während der vergangenen Wochen hatte Truss immer wieder betont, dass sie die Wirtschaft durch niedrige Steuern auf Vordermann bringen will und dass der Brexit eine einmalige Chance sei, Regulierungen abzubauen.

Mit ihrer Wahl zur Regierungschefin hat sie die Chance, diese Pläne in die Tat umzusetzen. Sie wird wohl ihren Verbündeten und libertären Weggefährten Kwasi Kwarteng zum Finanzminister ernennen. Kwarteng schrieb am Montag in einer Kolumne in der »Financial Times«, dass eine Regierung Truss die Maßnahmen ergreifen werde, »die die Grundlage für den erforderlichen langfristigen Wandel legen wird«. Das bedeutet: Die Steuern müssen gesenkt werden, und die Unternehmen müssen von »unangebrachten Regulierungen« befreit werden.

Ökonomen kritisieren diese Strategie. Der nationale Rechnungshof Office for Budget Responsibility schreibt, dass die geplante Fiskalpolitik »nicht nachhaltig« sei. Vielmehr müssten die Steuern erhöht werden, um einen Anstieg der Staatsverschuldung zu verhindern. Auch sagen Experten, dass fiskale Anpassungen überhaupt nicht ausreichen, um die Krise infolge rasant steigender Lebenshaltungskosten auch nur annähernd abzuwenden. Dies ist derzeit das dringendste Thema für die Briten: Steigende Energiekosten drohen in einigen Wochen die schwerste soziale Krise seit Jahrzehnten auszulösen.

Niedrigere Steuern werden dem Problem kaum beikommen, sagen Experten. Laut einer Kalkulation würde etwa die von Truss geplante Senkung der Sozialversicherungsbeiträge den Bestverdienern 1800 Pfund pro Jahr bescheren, den Leuten am untersten Ende der Einkommensskala jedoch mickrige sieben Pfund. Als Truss in einem am Sonntag ausgestrahlten BBC-Interview auf diese Rechnung angesprochen und gefragt wurde, ob dies fair sei, sagte sie: »Ja, das ist fair.«

Allerdings hört man aus gut informierten Kreisen in Westminster, dass das Team rund um Truss ungeachtet dieser Rhetorik bereits Optionen durchspielt, wie man den Briten direkt unter die Arme greifen kann. Es ist die Rede von einem dicken staatlichen Hilfspaket, vielleicht in einer Höhe bis zu 100 Milliarden Pfund. Der drohende soziale Notstand könnte sie also zwingen, ihre Ideologie vorerst über Bord zu werfen.

Unterdessen machen sich manche Parteikollegen Sorgen, ob es die neue Premierministerin schaffen wird, die Partei zu einen – oder ob sie es überhaupt versuchen will. Denn nach allem, was man bislang weiß, will Truss ihr Kabinett mit loyalen Anhängern aus demselben rechten Tory-Flügel bestücken. Nebst Kwarteng gilt es beispielsweise als gesichert, dass die Hardlinerin und Truss-Anhängerin Suella Braverman als Innenministerin antreten wird. Das sorgt bei vielen Tory-Abgeordneten für Bestürzung. Im Gegensatz zur Parteibasis hätte die große Mehrheit lieber Rishi Sunak als neuen Premierminister favorisiert. Truss fehlt also der Rückhalt in den eigenen Reihen, den ihr Vorgänger Boris Johnson genoss.

Dass Truss in dieser Situation nicht die Hand ausstreckt, sich versöhnlich zeigt und versucht, die Partei zu einen, dürfte die Bedenken ihrer Kollegen nicht gerade lindern. Dem Nachrichtenportal »Politico« sagte ein Abgeordneter, der anonym bleiben wollte: »Wenn sie nicht ein Team zusammenstellt, das die ganze Partei repräsentiert, könnte die Sache schnell ins Wanken geraten.«

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