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Wie ein linker Journalist auf der EU-Sanktionsliste landete
Auf einer Veranstaltung wurde über mögliche Folgen der Maßnahmen gegen Hüseyin Doğru und das Portal »Red Media« diskutiert
Welche Folgen hat der Vorwurf, russische Propaganda zu verbreiten? Und macht man sich jetzt strafbar, wenn man etwa dem Journalisten Hüseyin Doğru einen Tee oder einen Kaffee spendiere? Diese Frage wurde auf einer gut besuchten Veranstaltung in der »Maigalerie« der Tageszeitung »Junge Welt« am Donnerstagabend nicht nur scherzhaft diskutiert. Die Zusammenkunft stand unter dem polemischen Titel »EU-Wahrheitsregime kontra Pressefreiheit«.
Thematisiert wurde, dass von den Russland-Sanktionen der EU seit dem 20. Mai auch drei Journalist*innen mit deutscher Staatsbürgerschaft betroffen sind: die in Russland lebenden Blogger*innen Alina Lipp und Thomas Röpker sowie der in Deutschland lebende Doğru, der türkisch-kurdische Wurzeln hat. Konkret hat das 17. Sanktionspaket des EU-Rates Reiseverbote, das Einfrieren von Vermögenswerten und das Verbot der Bereitstellung von Finanzmitteln oder anderen wirtschaftlichen Ressourcen zur Folge.
Doğru ist Chefredakteur des Portals Red., das aufgrund der Sanktionen am 17. Mai seine Auflösung bekanntgab. Am 2. Juli stellte sich ein Sprecher des Auswärtigen Amtes (AA) namens der Bundesregierung hinter die Maßnahmen. Auf der Bundespressekonferenz erklärte er, Red. sei »Teil der russischen Desinformationskampagne«. Man könne »heute verbindlich sagen, dass Red. von Russland gezielt zur Informationsmanipulation eingesetzt wird«. Grundlage der Einschätzung sei eine »umfassende Analyse der deutschen Sicherheitsbehörden«, so Außenamtssprecher Martin Giese. Er drohte zugleich »Konsequenzen für diejenigen« an, die »im Auftrag Russlands oder anderer Staaten gezielt Desinformationen verbreiten und Informationen manipulieren«.
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Ziel von Red. sei es, so Giese, die »Spaltung bei gesellschaftlich polarisierten Themen zu vertiefen und Deutschland verdeckt zu diskreditieren«. Der Hauptvorwurf gegen das Medium sei die Verschleierung der Verbindungen nach Russland und die »erkennbar disruptive und polarisierende Motivation« hinter dessen Beiträgen. Red. stelle sich als revolutionäre Plattform unabhängiger Journalistinnen und Journalisten dar. Es gebe aber »enge personelle und finanzielle Verflechtungen mit dem russischen Staatsmedium RT«, erklärte Giese. Russland nutze Plattformen wie Red., um »den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und Europa zu schwächen«, indem diese »Misstrauen in Fakten, in Medien und in demokratische Strukturen« schürten sowie »staatliche Strukturen diskreditieren«.
Was das konkret für Hüseyin Doğru bedeutet, schilderte Florian Warweg vom Onlineportal »Nachdenkseiten« auf der Veranstaltung. Der Journalist sei nicht über die Sanktionierung informiert worden, könne sich somit also auch nicht inhaltlich gegen die Vorwürfe verteidigen und versuchen, sie zu widerlegen. Er hatte erst davon erfahren, als er mit seiner Kontokarte kein Geld mehr abheben konnte. Ausgaben für Dinge des täglichen Lebens müsse er jedes Mal beantragen.
»Infolge der Sanktionen stellte ab 1. Juli sogar die Krankenkasse die Leistungen für seine Familie zwischenzeitlich ein, obwohl die Ehefrau sich im siebten Monat einer Risikoschwangerschaft befindet«, schilderte Warweg, der in der Bundespressekonferenz Fragen zu den Sanktionen gestellt hatte, die schwierige Situation Doğrus.
Der Sprecher des Auswärtigen Amtes verwies auf den Rechtsweg, den der Journalist ja beschreiten könne, wenn er sich gegen die Sanktionierung wehren wolle. Warweg fragte daraufhin, wie jemand die Kosten für seine Verteidigung aufbringen soll, dem seine Konten gesperrt wurden und wenn auch Spenden an ihn verboten sind. Eine Antwort darauf gab es nicht. Warweg sagte, der Verweis auf den Rechtsweg durch den AA-Sprecher bekomme angesichts der »kafkaesken« Umstände der Sanktionierung einen merkwürdigen Klang.
Doğru bestreitet, vom russischen Staat unterstützt worden zu sein, und weist die Behauptung, er sei Teil der russischen Desinformationskampagne, strikt zurück. Darüber waren sich am Donnerstagabend auch auf dem Podium alle einig. Moderator Rüdiger Göbel nannte alle betroffenen Journalisten, die ihren Beruf ernst nähmen und sanktioniert würden, weil ihre Berichterstattung über die Ukraine und andere Konflikte den Positionierungen des Westens widersprächen. »Man muss deren Meinungen nicht gut finden, aber man muss dafür kämpfen, dass sie dafür nicht sanktioniert werden«, sagte Göbel.
Neben ihm und Warweg beteiligten sich der Chefredakteur der »Jungen Welt«, Nick Brauns, Tilo Gräser von der Zeitschrift »Hintergrund« und Roberto de Lapuente vom »Overton-Magazin« an der Debate. Zu einer kontroversen Diskussion kam es an dem Abend nicht, weil sich nicht nur das Podium, sondern auch große Teile des Publikums einig waren, dass die EU hier kritische Journalist*innen sanktioniert und ein Großteil der Medien und selbst Journalist*innenorganisationen hier mittun würden.
Es wurde dazu aufgerufen, bei Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union eine Positionierung für die von Sanktionen bedrohten Journalist*innen anzumahnen. Auch Politiker*innen der Linkspartei sollen aufgefordert werden, sich für Doğru einzusetzen.
Tatsächlich wird mit den EU-Sanktionen die Pressefreiheit massiv eingeschränkt. Allerdings sollte man durchaus erwähnen, dass das Sanktionsregime der EU mit Maßnahmen gegen sogenannte ausländische Agent*innen in Russland kompatibel ist. Wer unter diesem Label gelistet ist, muss dort ebenfalls mit Kontosperren, Reise- und Arbeitsverboten leben.
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