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Energiepreise lähmen die Industrie

Zahlreiche Unternehmen drosseln die Produktion. Eine Insolvenzwelle gibt es derzeit aber nicht

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele Unternehmen erzielen trotz oder wegen der aktuellen Energiekrise Extra-Profite. So machen Energiefirmen, die billigen Strom aus Wind, Sonne, Kohle oder Atomkraft produzieren, große Gewinne, weil sie ihr Produkt zu dem weit höheren Marktpreis verkaufen können. In der Automobilindustrie führt die Konzentration auf den Verkauf hochpreisiger Modelle trotz Lieferkettenproblemen zu goldenen Bilanzen. Logistikkonzerne und Reedereien schwimmen aufgrund der extrem hohen Nachfrage nach Kohle und Gütern aus Asien förmlich im Geld. 

Andere Firmen hingegen schlagen Alarm oder gehen sogar in die Insolvenz. Dazu gehört beispielsweise das Traditionsunternehmen Hakle, das seit 1928 Toilettenpapier herstellt. Die energieintensive Papierindustrie unterliegt bereits seit dem Beginn der Corona-Pandemie starken Verwerfungen im global agierenden Rohstoff-, Logistik- und Energiemarkt, teilte die Firma am Sitz in Düsseldorf mit. »Die Unternehmen kämpfen seit nunmehr drei Jahren mit stark gestiegenen Herausforderungen – vor allem im Gas- und Stromsektor, dies seit etwa Herbst 2021.« Die massiv gestiegenen Kosten für Material und Energie sowie Transporte konnten laut Hakle bislang nicht im hinreichenden Umfang an die Kunden im Lebensmitteleinzelhandel und den Drogerien weitergegeben werden. Anfang September meldete man Insolvenz an.

Seine Produktion vorübergehend gestoppt hatte SKW Piesteritz. Das Unternehmen aus dem gleichnamigen Stadtteil von Wittenberg gehört zu den größten Betrieben Ostdeutschlands. Und gehört zur »kritischen Infrastruktur«, denn es ist nach eigenen Angaben größter Ammoniak- und Harnstoffhersteller in Deutschland. Daraus wird die Lösung Adblue hergestellt. Ohne dieses Mittel, das für die Reinigung der Abgase benötigt wird, können moderne Dieselmotoren die geltenden Abgasnormen nicht mehr einhalten. Grund für das Dilemma sind die steigenden Gaspreise: Denn für die Herstellung von Adblue wird aus Luft und Erdgas in einem ersten Schritt Ammoniak und Kohlendioxid gewonnen. Am Montag begann SKW, ihre Anlage wieder hochzufahren.

Ein energieintensives Geschäft ist auch die Stahlherstellung. Arcelor-Mittal legt einen Teil seiner Anlage im Hamburger Hafen still und drosselt auch in Bremen seine Produktion – dort wird einer der beiden Hochöfen stillgelegt. Die Preise für Gas und Strom hätten sich innerhalb weniger Monate verzehnfacht, lässt sich Reiner Blaschek, Chef von Arcelor-Mittal Deutschland zitieren. Im kommenden Monat komme dann noch die von der Bundesregierung geplante Gasumlage obendrauf. Deshalb, so der Konzernchef, sei man mit der hiesigen Produktion nicht mehr wettbewerbsfähig. Für die 530 Beschäftigten an der Elbe bedeutet dies Kurzarbeit. Ganz gestoppt wird die Produktion von hochwertigem Walzdraht aber nicht. Stattdessen will Arcelor-Mittal Material aus anderen Ländern zukaufen, das sonst eigentlich in Hamburg hergestellt wird, und dann hier weiterverarbeiten. 

Annähernd jedes zehnte Unternehmen hat die Produktion in Deutschland derzeit gedrosselt oder unterbrochen, ergab eine Umfrage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Und fast jedes vierte Unternehmen denkt darüber nach oder ist bereits dabei, Teile der Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Auch hier sind es – neben gerissenen Lieferketten, teuren Rohstoffen und Fachkräftemangel – vor allem die extrem steigenden Energiepreise, welche die Industrie »vor fundamentale Probleme« stellen, wie BDI-Präsident Siegfried Russwurm beklagt.

Ergebnisse einer aktuellen Blitzumfrage der Handelskammer Hamburg unter rund 2470 Unternehmen zeigen, dass das erst der Anfang sein könnte. Demnach sehen sich 42 Prozent aller Hamburger Betriebe aufgrund der enormen Strom- und Gaspreisanstiege in ihrer Existenz bedroht. Im produzierenden Gewerbe betrifft dies sogar 62 Prozent der befragten Firmen. Es drohe ein »Szenario der Deindustrialisierung«, befürchtet der Geschäftsführer der Handelskammer, Malte Heyne. Als Gegenmaßnahme fordern die Unternehmen von der Politik eine Deckelung der Energiepreise (66 Prozent), Steuerermäßigungen (52) oder staatliche Beihilfen zu den Energiekosten (37).

Die Sorgen in wichtigen Teilen der Industrie – Gleiches ließe sich für Handwerk und gewerblichen Mittelstand feststellen – scheinen nur zu berechtigt. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) machte in seinem jüngsten Bericht denn auch eine Trendwende bei den Insolvenzzahlen aus, die im ersten Halbjahr noch gesunken waren. Die Zahl der Pleiten von Personen- und Kapitalgesellschaften lag im August 26 Prozent über dem Wert des Vorjahres, das allerdings einen sehr niedrigen Wert auswies. Das IWH wertet die gemeldeten Fälle aus und ist damit der amtlichen Statistik zwei Monate voraus. »Die steigenden Insolvenzzahlen zeigen, dass viele Unternehmen mit dauerhaften Kostensteigerungen rechnen, die ihr Geschäftsmodell unrentabel werden lassen.« Für den Herbst sei mit einer Zunahme zu rechnen, aber von einer drohenden Insolvenzwelle könne derzeit nicht gesprochen werden.

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