Duma-Abgeordnete fordern Mobilmachung für den Sieg

Russlands Staatsmedien schweigen weiter zum Erfolg der ukrainischen Armee, der Ton im Land wird aber trotzdem schärfer

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 3 Min.
Russische Soldaten bei der Übung Wostok 2022
Russische Soldaten bei der Übung Wostok 2022

Es war wohl der größte militärische Coup im aktuellen Krieg in der Ukraine. Mit einem Täuschungsmanöver hat die ukrainische Armee Moskaus Truppen bei Charkiw überrumpelt und massive Geländegewinne erzielt. Während die Aktion weltweit Beachtung findet, haben die Russ*innen kaum etwas mitbekommen – zumindest diejenigen, die sich ausschließlich über staatliche Medien informieren.

In Russlands großen Nachrichten und Fernsehshows war die ukrainische Offensive in den vergangenen Tagen kaum Thema und wenn doch, wurde sie kleingeredet. Kiews Truppen würden sich auf eine »abenteuerliche Mission« begeben, die man ohne Probleme stoppen werde, hieß es etwa in der Sendung »60 Minuten«. Als Russlands Niederlage am Wochenende offensichtlich wurde, versuchten die meisten Sendungen das Thema totzuschweigen. Einzig Dmitrij Kiseljow, einer der wichtigsten Propagandisten des Kreml, ließ sich zur Bemerkung hinreißen, die Armee habe »die schwerste Woche an der Front« erlebt. Nun aber sei die Situation stabilisiert. Der Kommandeur der Gruppe »Achmat«, Apty Alaudinow, nannte den teilweise panischen und unkoordinierten Rückzug der Kremltruppen in einer Videoschalte eine »richtige Entscheidung«.

Kritik an der russischen Regierung kommt in erster Linie von Bloggern. Während Moskau am vergangenen Wochenende ein exorbitantes Stadtjubiläum feierte, fehle es den Soldaten an der Front an warmer Kleidung und medizinischer Ausrüstung, beschwert sich der Blogger Pjotr Lundstrem, der selbst aus dem Donbass stammt. Pro Bataillon gebe es lediglich zwei Schutzwesten, aber die Führung rede immer noch vom Sieg, schreibt Lundstrem auf Telegram. Das Besondere an der Kritik: Lundstrem ist als »Z-Blogger« eigentlich auf Kreml-Linie.

In der Politik wird unterdessen der Ton rauer. In einem Interview forderte der Duma-Abgeordnete und Mitglied des Sicherheitsrats, Michail Scheremet, die Generalmobilmachung. Scheremet, einer der Scharfmacher in den Reihen der Regierungspartei Einiges Russland, sagte, man müsse den Status der »Sonderoperation« ändern und auch die Wirtschaft auf einen Krieg einstellen. Die Gesellschaft sei viel zu tatenlos, beschwerte sich der Abgeordnete. So könne Russland in der Ukraine nicht siegen.

Am Dienstag legte Kommunisten-Chef Gennadij Sjuganow in der Duma nach. »In den letzten zwei Monaten ist aus der Sonderoperation in der Ukraine und dem Donbass ein Krieg geworden«, sagte Sjuganow zum Auftakt der neuen Sitzungs-Saison. Russland könne seine Invasion nicht mehr stoppen, man werde entweder siegen oder verlieren. Wie Scheremet forderte Sjuganow eine Generalmobilmachung und »vollständig andere Gesetze«, um den Krieg zu gewinnen. Tags zuvor hatte der KPRF-Abgeordnete Michail Matwejew scharfe Kritik an lokalen Verwaltungschefs und Gouverneuren geübt, die angesichts der Misserfolge und hohler Phrasen immer noch Feuer und Flamme für den Krieg sind. Die sollten »sich erschießen« oder sich zumindest freiwillig an die Front melden, um mit ihrem Blut für den Betrug an den Menschen in den »befreiten Gebieten« zu sühnen.

Präsident Wladimir Putin ist nach russischen Angaben über die »Umgruppierung« bei Charkiw informiert. Die Mobilmachung werde man aber trotz der Wende an der Front nicht verkünden, erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Am Montag hatte der Vorsitzende des Föderationsrats zum Schutz der staatlichen Souveranität, Andrej Klimow, die Frage der Mobilmachung als unabgebracht bezeichnet. Die würde nur Russlands Feinden nützen, weil dann das Volk »aufgewühlt« sei, sagte Klimow der Parlamentszeitung. Außerdem würden sich fast nur ausländische Journalist*innen für die Mobilmachung interessieren. Klimow vermutet dahinter den Auftrag, Russland mit ständigen Fragen zu zermürben.

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