»Sie haben einfach falsch kalkuliert«

Konstantin Konkow über seinen überraschenden Einzug als Linker ins Moskauer Stadtparlament

  • Varvara Kolotilova
  • Lesedauer: 4 Min.

Haben Sie sich über den Wahlsieg gefreut?

Natürlich bin ich froh darüber. Der Sieg hat aber einen bitteren Beigeschmack, weil von den sechs unabhängigen Kandidaten in meinem Wahlbezirk nur ich allein ein Mandat bekommen habe.

Interview

Konstantin Konkow trat am vergangenen Sonntag mit gerade einmal 22 Jahren bei den Moskauer Bezirkswahlen an – mit Erfolg. Der Biologiestudent gehört zu zehn Kandidaten der von unabhängigen Linken initiierten alternativen Wahlplattform »WyDwischenije«, die eines von 1416 Mandaten in der russischen Hauptstadt erringen konnten. Mit Konkow sprach für »nd« Varvara Kolotilova.

Warum hat es denn bei Ihnen geklappt?

Aus Zufall. Einerseits hat unser gesamtes Team einen intensiven Wahlkampf betrieben, andererseits war ich in den Augen der städtischen Behörden nicht bekannt genug, um mir allzu viele Stimmen wegzunehmen.

Es war also Wahlbetrug im Spiel?

Wir können leider nicht mit Sicherheit sagen, wie viel Stimmen mir und den anderen unabhängigen Kandidaten entzogen wurden. Obwohl das System der digitalen Stimmerfassung als transparent bezeichnet wird, ist es tatsächlich völlig intransparent. Zur Illustration: In meinem Wahlbezirk haben zwei Kandidaten unserer Plattform bei der Abstimmung mit konventionellen Wahlzetteln ungefähr die gleiche Anzahl an Stimmen erhalten – ich und Denis Schilin, der 2017 ein Bezirksmandat errungen hatte. Beim digitalen Wahlverfahren erhielt er 900 Stimmen, ich hingegen 1200. Ich kann mir diesen eklatanten Unterschied nur damit erklären, dass die Stadt ihn als aktuellen oppositionellen Abgeordneten loswerden wollte. Bei mir haben sie wohl einfach falsch kalkuliert und die Möglichkeit, dass ich es schaffen könnte, gar nicht erst in Betracht gezogen.

Wer hat die Mehrheit der Stimmen bekommen?

Der Moschajsker Stadtteil, also meiner, ist wahltechnisch in zwei Bezirke aufgeteilt mit je fünf Mandaten. Im zweiten Bezirk siegten sowohl bei der konventionellen Abstimmung als auch im digitalen Verfahren vier Kandidaten der Partei Einiges Russland und einer der Liberal-demokratischen Partei LDPR. Letzterer erhielt 300 Stimmen im Wahllokal, aber 3000 im digitalen Verfahren – das ist klarer Betrug. In meinem Bezirk fiel das Ergebnis im digitalen Verfahren genauso aus, aber nach dem Zusammenrechnen aller Stimmen aus beiden Verfahren lag ich vor dem Kandidaten der LDPR. Um den Anschein der Legitimität zu wahren, sollten wohl auch Repräsentanten der parlamentarischen Opposition vertreten sein. In ganz Moskau haben Einiges Russland und andere mit der Partei verbundene, angeblich unabhängige Kandidaten insgesamt 90 Prozent der Mandate errungen.

Konnten Sie anhand Ihrer Wahlkampagne vor Ort einen signifikanten Rückhalt in der Bevölkerung ausmachen?

Unsere Plattform kam bei den Bewohnern meines Stadteils in jedem Fall gut an. Im letzten Jahr unterstützten wir bei den Duma-Wahlen Michail Lobanow, der als parteiloser Linker von der kommunistischen Partei KPRF unterstützt wurde und ohne das digitale Wahlverfahren gewonnen hätte. Ich bin ebenfalls als parteiunabhängiger Kandidat angetreten und musste deshalb im Vorfeld Unterschriften von Wahlberechtigten sammeln.

Es ist eine Sache, im Wahlteam anderer Kandidaten mitzuwirken, eine andere ist es, selbst eine sichtbare Rolle einzunehmen. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschlossen?

Bei Bezirkswahlen mangelt es gewöhnlich an unabhängigen Kandidaten, auch weil nur sehr geringe Aufwandsentschädigungen vorgesehen sind. Zudem hat die Stadtregierung dafür gesorgt, die lokale Selbstverwaltung in ihren Vollmachten extrem zu begrenzen. Bezirksabgeordnete sind lediglich in einige wenige Aspekte der städtebaulichen Gestaltung und Kommunalwirtschaft involviert. Mir ging es aber vor allem um einen Sieg gegen Einiges Russland.

Was muss man sich unter der Plattform WyDwischenije vorstellen? Es ist ja ein Wortspiel aus Nominierung einerseits und »Ihr seid eine Bewegung« andererseits.

Es handelt sich um eine Plattform zur Unterstützung unabhängiger Kandidaten, die sich explizit gegen Einiges Russland und die staatliche Politik stellen.

Heißt das, dass diese Kampagne in der öffentlichen Wahrnehmung auch als Stimme gegen den Krieg aufgefasst wurde?

Durchaus möglich.

Welche Pläne verfolgen Sie jetzt?

Leider bin ich in der absoluten Minderheit und es wird extrem schwierig, weitreichende Veränderungen im Bezirk zu erreichen. Andererseits bietet mein Status mehr Möglichkeiten, Menschen auf lokaler Ebene in einer echten Community zu vereinigen. Dabei gelang uns das durchaus schon während früherer Kampagnen, insofern hätten wir sogar im Falle einer totalen Wahlniederlage reale Erfolge vorzuweisen. Nun planen wir, diverse Vorhaben umzusetzen wie Mülltrennung, Sammlungen für Geflüchtete aus der Ukraine und die Bildung von Anwohnerversammlungen. Damit wollen wir erreichen, dass die Menschen die Häuser, in denen sie leben, selbst verwalten, anstatt sich aufgezwungener korrupter Strukturen auszuliefern.

Das klingt weniger nach politischer Bewegung als nach Gestaltung des Lebensalltags. Warum versucht der Staat dann sogar auf dieser Ebene die Opposition aufzuhalten?

Es geht ihm nicht nur darum, führende Figuren zu Gefängnisstrafen zu verurteilen. Während der Spezialoperation versucht der Staat mit allen Mitteln, jegliche politische Tätigkeit und Zusammenschlüsse zu unterbinden.

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