Zwölf Euro Lohn sind das Mindeste

In Brandenburg wird die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns zu wenig kontrolliert

Die Tricks, den gesetzlichen Mindestlohn zu umgehen, sind bekannt. Da soll beispielsweise eine Reinigungskraft innerhalb von vier Stunden eine bestimmte Anzahl von Büros sauber machen. Dafür erhält sie die vorgeschriebenen 12 Euro in der Stunde. In dem Objekt gründlich zu wischen und die Papierkörbe zu leeren, dauert jedoch acht Stunden. Die Reinigungskraft bekommt trotzdem nur 48 Euro für den Einsatz – umgerechnet auf die Stunde also nur 6 Euro.

Trotzdem sagt Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD): „Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. In den vergangenen Jahren konnten keine erkennbaren negativen Auswirkungen auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder die Entwicklung der Arbeitslosigkeit festgestellt werden. Für Brandenburg können wir sogar festhalten, dass seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahre 2015 die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stetig gestiegen und die der Arbeitslosen stetig gesunken ist.»

Der Mindestlohn und seine Kontrolle
  • 2015 startete der gesetzliche Mindestlohn mit 8,50 Euro pro Stunde. 2017 wurde er auf 8,84 Euro angehoben, 2019 auf 9,19 Euro, 2020 auf 9,35 Euro und 2021 auf 9,60 Euro. 2022 erfolgte eine Erhöhung in drei Etappen auf zuletzt 10,45 Euro und jetzt 12 Euro.
    li>Mit dem alten Mindestlohn von 10,45 Euro erhielten Arbeiter und Angestellte bei einer 40-Stunden-Woche 1811 Euro brutto
    monatlich. Mit dem neuen Mindestlohn von 12 Euro, der seit dem 1. Oktober gilt, werden es 2080 Euro im Monat sein.
  • In Brandenburg gab es zum Stichtag 30. Juni 2021 insgesamt 952 973 Beschäftigte, darunter 866 537 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und 86 436 ausschließlich geringfügig Beschäftigte.
  • So viele Menschen arbeiten in Brandenburg in Berufen, die für teils oder durchgängig geringe Löhne bekannt sind: Es gibt im Bundesland 73 896 Bauarbeiter, 3873 Verkäufer und Verkäuferinnen, 7865 Wachleute, 37 857 Gebäudereinigerinnen und -reiniger sowie 5026 Friseure und Friseurinnen, außerdem 5772 Callcenter-Agenten.
  • Im Bereich des Hauptzollamts Frankfurt (Oder) wurden im ersten Halbjahr des laufenden Jahres 124 Baubetriebe, drei Leiharbeitsfirmen sowie 37 Gaststätten, Pensionen und Hotels kontrolliert. Im Bereich des Hauptzollamts Potsdam waren es 89 Baubetriebe, zwei Leiharbeitsfirmen sowie 82 Hotels, Pensionen und Gaststätten.
  • Im ersten Halbjahr 2022 setzte die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in Brandenburg Verwarn- und Bußgelder in Höhe von 310 348 Euro fest. Die Justiz verhängte im selben Zeitraum Geldstrafen in Höhe von 472 705 Euro. af

    An den Bemerkungen des Wirtschaftsministers ist viel Wahres dran. Mit dem Argument, der Mindestlohn werde Jobs vernichten, weil die Aufträge dann ins billigere Ausland vergeben werden, hatten neoliberale Unternehmer und konservative Politiker einstmals beharrlich gegen die Lohnuntergrenze Stimmung gemacht, während Die Linke für Mindestlöhne kämpfte. Aber die Betten in deutschen Hotels können nicht in Rumänien bezogen werden, höchstens von Rumäninnen, die dann aber auch den Mindestlohn erhalten müssen.

    Zum 1. Oktober wurde die Lohnuntergrenze von 10,45 Euro auf 12 Euro erhöht. In Berlin und Brandenburg komme dies 569 887 Beschäftigten zugute, die zuvor weniger als 12 Euro pro Stunde verdienten, erklärt Nele Techen. Sie ist stellvertretende Bezirksvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und rechnet vor: 17,8 Prozent aller Beschäftigten in Berlin und 28,2 Prozent der Beschäftigten in Brandenburg haben grundsätzlich Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. „Diese Zahlen zeigen: Der Mindestlohn wirkt.» Die Gewerkschaft habe sich lange dafür eingesetzt, die Untergrenze auf 12 Euro anzuheben. Vor allem auch Frauen haben nun etwas davon.

    „Der gesetzliche Mindestlohn ist auch ein Mittel gegen Lohndumping-Konkurrenz durch Unternehmen, die sich Tarifverträgen verweigern», sagt Techen. Aber: „Der Mindestlohn kann immer nur die unterste Haltelinie sein. Gute Löhne gibt es nur mit Tarifvertrag.» Es sei wichtig, die Tarifbindung wieder zu stärken.

    Quer durch alle Branchen werde vielen Menschen der vorgeschriebene Mindestlohn einfach vorenthalten. Der DGB fordert deshalb mehr Kontrollen. Die Bundesregierung müsse die zuständige Behörde, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung, personell deutlich stärken. „Mindestlohnbetrügereien sind keine Kavaliersdelikte, sondern müssen geahndet werden», verlangt Techen. „Das geht nicht ohne effektive Kontrollen und Sanktionen.»

    Die Gewerkschafterin fügt hinzu, dass auch mit dem Mindestlohn eine echte Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben nicht möglich sei. „Schlimmer noch: Viele machen sich aktuell ernsthafte Sorgen, was im Herbst und Winter auf sie zukommt.» Die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise könne auch der neue Mindestlohn nicht auffangen.

    Der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) hat beim Bundesfinanzministerium Zahlen zu Kontrollen des Mindestlohns in Brandenburg abgefragt. Aus den Antworten, die er von der Parlamentarischen Staatssekretärin Katja Hessel (FDP) erhalten hat, geht hervor, dass es im Bundesland 82 103 Betriebe gibt, von denen im ersten Halbjahr 2022 nur 781 von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit überprüft worden sind – also weniger als ein Prozent.

    Bei diesen 781 Kontrollen wurden 76 Ordnungswidrigkeiten festgestellt und Verfahren eingeleitet. Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der Betriebe ergebe sich eine beeindruckende Zahl von Verstößen, erläutert Görkes Büro. Es spricht von einer um ein Vielfaches höheren Dunkelziffer.

    Linke-Politiker Görke selbst kritisiert: „Jeder Parkplatz wird besser kontrolliert als der Mindestlohn. Es kann nicht sein, dass viele Arbeitgeber in Brandenburg damit durchkommen, unter dem Mindestlohn zu bezahlen.» Es gehe ihm nicht darum, ehrliche Firmen unter Generalverdacht zu stellen. „Die anständigen Arbeitgeber und die Beschäftigten leiden beide unter Mindestlohnbetrug.» Es gehe um einen wirklich fairen Wettbewerb. Dazu müsse bestraft werden, wer sich nicht an die Regeln hält. „Wir brauchen mehr Kontrollen und eine deutliche Aufstockung bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit.»

    Wie die Gewerkschaft sagt auch Görke: Angesichts der momentanen Preisentwicklung seien 12 Euro schon wieder zu wenig. „Wir brauchen schleunigst eine weitere Erhöhung, damit die Menschen über den Winter kommen.»

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