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Die Hoffnung auf Würde

Vassilis Paleokostas ist Griechenlands meistgesuchter Mann und für viele ein Volksheld: Er hat seine Memoiren geschrieben

  • Roland Zschächner
  • Lesedauer: 4 Min.

Das ist ein »normales Leben«? So ganz normal wie im Buchtitel scheint das Leben von Vassilis Paleokostas nicht zu sein. Oder wer könnte von sich behaupten, gleich mehrmals aus dem Knast ausgebrochen zu sein, Banken überfallen und einen Industriellen entführt zu haben? Doch wer nun denkt, es geht in den 2020 in seiner Heimat und nun auf Deutsch erschienen Memoiren des Griechen um die Rechtfertigung eines Kriminellen, irrt gewaltig.

Da muss man zunächst etwas klarstellen. Denn wer überhaupt kriminell ist, lässt sich in den gegenwärtigen Verhältnissen recht einfach sagen: Die, die auf Kosten anderer leben. Moment mal, würde Paleokostas wohl einwerfen, es geht nicht nur um andere Menschen, sondern auch um die Natur. Sie zu schützen, wird in »Ein normales Leben« immer wieder betont. Der Sohn eines Bauern aus Thessalien, Jahrgang 1966, bewegte sich in den Bergen von Kindheit an. Das prägte ihn ein Leben lang. Arbeiten in der Fabrik ist da keine Option – den Reichen nehmen dafür schon. Das sorgt für Ärger, Verfolgung und Turbulenzen.

Um da einen klaren Kopf zu bewahren, braucht es mehr als ein bisschen Geschick und Glück. Beides hat Paleokostas auch, aber vor allem hat er einen moralischen Kompass und einen Dickkopf, um sich daran zu halten. Keine Kompromisse mit den Unterdrückern, Ehrlichkeit und Respekt gegenüber den Unterdrückten. Sein Ehrenwort zu geben und sich daran zu halten, ist für ihn eine Frage des Charakters. Wer so durchs Leben geht, eckt natürlich an – dem fliegen aber auch die Herzen zu. Sozialrebellen sind immer auch Volkshelden, die den Wunsch nach einem besseren Leben verkörpern. In Griechenland, das immer wieder von den eigenen wie ausländischen Kapitalisten ausgepresst wurde, weckt einer wie Paleokostas die Hoffnung auf Würde.

Ihm ist das bewusst, wie in seiner Lebenserzählung immer wieder durchscheint. Dann ordnet er politische Prozesse ein. Eine Kleinigkeit kann dann für das große Ganze stehen. Doch in der wortgewaltigen Verknappung und Vereinfachung des vorgetragenen Alltagsverstands liegt oftmals mehr Wahrheit als in langatmigen Analysen; lesenswerter sind sie allemal. Dabei zeigt Paleokostas nicht nur auf ein korruptes System, in dem sich Industrielle und Politiker schamlos bereichern. Er benennt auch deutlich die Gefahr des Faschismus, prangert Umweltzerstörung an und entlarvt so manches moderne Glücksverbrechen als Lüge und freiwillige Unterwerfung. »Freiheit ist ein kostbares Gut«, heißt es an einer Stelle, »der ewige Kampf der Menschen. Es gibt nichts Schöneres als den Versuch, das Unmögliche zu erreichen.«

Doch er blickt auch auf die weggesperrte Seite der Gesellschaft. Er berichtet aus dem Knast, über die Unzähligen, die dort – selbst nach bürgerlichen Kriterien zu Unrecht – eingepfercht werden, damit eine imaginäre Sicherheit hergestellt scheint. Das ist die Brutalität eines Systems, das bis ins Mark gewalttätig ist und die Brutalität bis in die feinsten Äderchen kultiviert hat. So gibt sich der Direktor eines Hochsicherheitsgefängnisses verständnisvoll, um im nächsten Moment die Gefangenen zu foltern und gegeneinander auszuspielen. Teile und herrsche – bis das Blut spritzt.

Das nicht hinzunehmen – so wie andere Zumutungen des Lebens im Kapitalismus – ist nicht einfach. Es zwingt in die Illegalität, in der Paleokostas einen großen Teil seines Lebens verbrachte und noch immer verbringt. Das bedeutet auch den Griff zur Waffe, doch nicht, um zu töten, wie er immer wieder betont, sondern um die eigene Freiheit zu verteidigen. Das schließt Schusswechsel und Verfolgungsjagden nicht aus. Aus diesen Erfahrungen entwickelt sich bei ihm das Bewusstsein darüber, selbst handeln zu können. Ein Punkt, auf den Klaus Viehmann in seinem Nachwort für die deutsche Ausgabe hinweist.

Und so nimmt Paleokostas die unzähligen Prozesse gegen ihn mal belustigt, oft gelangweilt, zuweilen angriffslustig hin. Die Urteile summieren sich auf Hunderte Jahre, auch weil ihm Taten untergeschoben werden, die er nicht begangen hat – etwa, wenn er mit dem Rad in China unterwegs war. Doch all das ficht ihn nicht an, denn ihn drängt es in die Freiheit. Dass dies gelingt – gleich zweimal bricht er mit einem Hubschrauber aus dem selben Knast aus –, beweist er und demütigt so einen Staat, der Rechte und Freiheiten immer weiter einschränkt. Verbündete findet Paleokostas auch immer wieder bei Anarchisten, die ihn unterstützen und die er unterstützt. Zugleich sind ihm – »der sich bewusst für den bewaffneten Kampf entschieden hat«, wie er über sich schreibt – die Korsetts politischer Ideologien zu eng. Das heißt nicht, dass er beliebig wäre, doch einordnen wäre wohl auch so etwas wie unterordnen; dass er auf der richtigen Seite steht, ist sowieso klar.

Vassilis Paleokostas: Ein normales Leben. A.d. Griech. von einem Übersetzungskollektiv. Bahoe Books, 356 S., geb., 19 €

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