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Selten der Beste
Der erfolgreiche Radprofi Roger Kluge will bei der WM und Olympia noch mal ganz oben stehen
Am Sonntag geht es wieder rund für Roger Kluge und seinen Berliner Partner Theo Reinhardt. Nach dem überragenden Auftritt bei den Europameisterschaften im August in München mit Gold im Madison will das seit Jahren eingespielte Duo auch bei den Weltmeisterschaften im französischen Saint-Quentin-en-Yvelines nach einer Medaille greifen. 2018 und 2019 standen beide nach 200 Runden schon ganz oben auf dem Treppchen, 2020 in Berlin folgte Bronze. Beide galten für Tokio 2020 als Favoriten auf olympisches Gold, Corona machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. 2021 wurde es Platz neun. In knapp zwei Jahren wollen beide im Pariser Vorort, in dem auch die olympischen Wettbewerbe gefahren werden, einen neuen Anlauf auf eine Medaille machen. Für Kluge könnten es zugleich die letzten beiden Jahre seiner langen und erfolgreichen Laufbahn werden.
Kluge ist inzwischen im 17. Jahr für die Nationalmannschaft im Einsatz. Im Herbst 2006 gewann er mit dem Berliner Marcel Kalz seine erste internationale Medaille für den Bund Deutscher Radfahrer. Bei der U23-EM in Kopenhagen holte das Duo Bronze im Madison. 2010 schaffte er den Sprung zu den Straßenprofis beim längst eingestellten deutschen Rennstall Milram. Noch immer verdient er als »Edelhelfer« und Sprintvorbereiter des Australiers Caleb Ewan beim belgischen Rennstall Lotto-Soudal den Lebensunterhalt für sich und seine Familie. Die Piste aber ist seine große Leidenschaft. Hier kann er auf eigene Rechnung fahren und selbst Erfolge feiern.
Seit 2006 hat sich der Medaillenschrank im Haus in Ludwigsfelde ordentlich gefüllt. Ganz oben in der Vitrine liegt eine Silbermedaille von den Olympischen Spielen 2008. Zu den zwei WM-Titeln mit Reinhardt im Zweier-Mannschaftsfahren kam zweimal WM-Silber (2008 Madison mit Olaf Pollack, 2016 Omnium) und zweimal Bronze (2008 Scratch, 2020 Madison). Medaillen von Europameisterschaften und Weltcups sowie Erinnerungsstücke von insgesamt sechs Sixday-Siegen sind ebenfalls ausgestellt.
Fast zwei Jahrzehnte in der internationalen Spitze sind nicht spurlos an Kluge vorbeigegangen. »Ich merke schon, dass die Erholungsphasen für den Körper länger geworden sind«, sagt der 36-Jährige, der das aber auch auf seine familiäre Situation zurückführt. Zwei Töchter fordern Kluge als Vater. Da kommt der Schlaf manchmal etwas kürzer, wenn er etwa seine Tochter Jenna früh zur Schule auf dem Rad begleitet. Auf der anderen Seite ist Kluge während seiner Karriere von schweren Verletzungen verschont geblieben.
»Es gab viele Karrieren, die viel früher geendet haben. Roger kommt seine Ausbildung in Cottbus zugute. Und er hat diese intrinsische Motivation«, sagt Theo Reinhardt über seinen Partner. Daneben vereint der gebürtige Eisenhüttenstädter Kluge harte Arbeit und Disziplin in sich. »Ich sage immer: ohne Fleiß keinen Preis. Und ganz ohne Talent geht es auch nicht«, erklärt Kluge. Daneben pflegt er den für einen Profi notwendigen Lebensstil. »Ich möchte aber nicht auf alles verzichten. Beim Thema Ernährung könnte ich sicher professioneller sein. Aber zum Kaffee esse ich gern ein Stück Kuchen«, sagt Kluge.
An ein Ende seiner Karriere verschwendet Kluge derzeit keinen Gedanken, obwohl sein World-Tour-Team seinen am Jahresende auslaufenden Vertrag nicht verlängert hat. Seit vier Jahren steht er auf der Gehaltsliste der Belgier, die ab nächstes Jahr wohl nur noch zweitklassig unterwegs sein werden und deshalb ihre Mannschaft neu aufstellen. Das Alter sei definitiv kein Grund, warum Kluge derzeit in der Warteschleife stehe. »Ich habe definitiv nicht meinen Leistungszenit überschritten, sondern mich jedes Jahr entwickelt«, sagt er selbstbewusst. Mindestens zwei Jahre soll es noch weitergehen, mit der Straße als Basis. Und der Bahn als Topping.
Im August 2024 möchte Kluge zusammen mit Reinhardt bei Olympia am Start stehen. Viermal war er schon dabei. Fünf Top-6-Platzierungen stehen in seiner Vita – aber eben nur diese eine Medaille aus 2008. »Ich habe mit Olympia eine Rechnung offen. Ich hätte schon gern noch eine weitere Medaille – am liebsten natürlich in Gold«, so Kluge. Auf der Olympia-Bahn in Peking dominierte er damals lange das Punktefahren, musste aber mit Silber hinter dem Spanier Joan Llaneras vorlieb nehmen. »Damals war das ein Megaerfolg. Irgendwie habe ich aber die Goldmedaille verloren, weil ich das Rennen lange angeführt habe – ein bisschen mehr Erfahrung hätte mir damals gut getan«, sagt Kluge.
Klasse und Erfahrung wie kaum ein anderer kann Kluge inzwischen in die Waagschale werfen. Nach dem WM-Punktefahren am Freitag (nach Redaktionsschluss) kann er sich im Madison weiteren Rückenwind für einen Olympiastart in 22 Monaten an gleicher Stelle holen. »Ich lasse nicht locker. Natürlich wird es mit zunehmendem Alter nicht leichter, aber Paris ist nicht mehr weit weg«, sagt er. Dort will er dann endlich seinen Frieden mit den Spielen machen. »Ich bin halt immer ein Guter gewesen, aber selten der Beste. Das spiegelt meine Karriere ganz gut wider.«
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