Gretchenfrage Polizei

Die Vorstellung der Polizeistudie im Innenausschuss gerät zum ideologischen Hickhack

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 3 Min.

Es geht hoch her am Montagvormittag im Innenausschuss. Kein Wunder bei dem kontroversen Thema: Eineinhalb Wochen nach Veröffentlichung der diskriminierungskritischen Studie zur Berliner Polizei hören sich die Abgeordneten die Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen der Soziologin und Projektleiterin Christiane Howe an – und beharren auf ihren höchst unterschiedlichen Interpretationen.

Eigentlich stellt Howe zu Anfang die Prämissen der Studie klar, die auf dreieinhalb Monaten Feldforschung in fünf Polizeidirektionen und über 20 Interviews mit antirassistischen Verbänden beruht: Als qualitative Untersuchung trifft sie keine repräsentativen Aussagen etwa zu diskriminierenden Polizeimaßnahmen. Stattdessen blickt sie beispielhaft auf Arbeitsweisen und Alltagssituationen in der Behörde. Howe betont, dass die Studie mit einem strukturellen Rassismus-Begriff arbeitet, also mit der Annahme, dass alle Menschen rassistisch sozialisiert seien. Polizeibeamt*innen seien deshalb logischerweise nicht frei von »rassistischen Wissensbeständen« – diese in der Arbeit zu reflektieren und auszuklammern bedeute eine enorme Herausfordung. In diese Richtung zielen dann auch einige Handlungsempfehlungen wie Supervisionsangebote, verpflichtende Rassismus-Fortbildungen und eine Prüfung der Empathiefähigkeit im Einstellungsprozess.

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Den Begriff des strukturellen Rassismus scheinen jedoch in der anschließenden Diskussion vor allem die Oppositionsfraktionen misszuverstehen. Der FDP-Abgeordnete Björn Jotzo freut sich etwa, dass es laut Studie kein »Polizeiproblem« gebe. Die CDU behauptet sogar, die Studie zeige, dass die Polizei kein strukturelles Problem mit Rassismus hätte und ignoriert damit die Grundannahme der Wissenschaftler*innen.

Gegenteilige Schlüsse ziehen Linke und Grüne aus dem 141-seitigen Papier. Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen, macht darauf aufmerksam, dass gerade in einer Institution mit Gewaltmonopol und dementsprechend tiefgreifenden Eingriffsbefugnissen struktureller Rassismus anerkennt werden müsse. »Das ist auch im Interesse der Polizei, es geht dabei nicht um Diffamierung.« Der Linke-Abgeordnete Ferat Koçak wird noch deutlicher. »Ich finde, dass die Studie ganz deutlich macht, dass die Polizei ein Problem mit Rassismus hat«, sagt Koçak und verweist auf die sogenannten kriminalitätsbelasteten Orte (KBO), wo laut Studie die erweiterten Befugnisse der Polizei das Sicherheitsgefühl von Rassismus betroffener Menschen nicht erhöhen, sondern einschränken würden.

»Vielleicht sollten sie mit mir einfach mal in der Nacht mit einer Streife durch die Gegend fahren«, wendet sich daraufhin Innensenatorin Iris Spranger (SPD) an Koçak. In einem mehrminütigen Wutausbruch unterstellt sie ihm, Angriffe gegen Polizisten oder ihr eigenes Wahlkreisbüro zu verharmlosen. Je nach Auslegung klingt es, als würde Spranger derartige Vorfälle auf eine Stufe mit rassistischer Staatsgewalt stellen. Für ihren Ausraster erhält sie Applaus – allerdings nur von der Opposition.

Während die Ausschussmitglieder aneinander vorbeireden, kommt die Besprechung konkreter Vorschläge zu kurz. So spricht sich Howe etwa klar für eine Prüfung der KBO aus. Die dort stattfindenden Kontrollen basierten schließlich auf einem Verdacht und seien somit vom Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz gedeckt. Anstatt den Hinweis aufzunehmen, zaubert Spranger eine Debatte über Taser aus dem Hut. Dabei wäre laut Studie Kommunikationsfähigkeit der Eigensicherung von Beamt*innen dienlicher als deren weitere Bewaffnung.

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