Geschacher um die Braut

Nach alter Tradition muss der Bräutigam im Kongo für seine Frau bezahlen. Das schafft Abhängigkeiten

  • Judith Raupp
  • Lesedauer: 9 Min.
Die Hochzeit war ein Fest. Valentin Nyarubwa hat 1600 Dollar gezahlt, um Melanie Kahindo heiraten zu dürfen. Aber der Alltag im Kongo sei schwierig geworden, sagt Njarubwa mittlerweile.
Die Hochzeit war ein Fest. Valentin Nyarubwa hat 1600 Dollar gezahlt, um Melanie Kahindo heiraten zu dürfen. Aber der Alltag im Kongo sei schwierig geworden, sagt Njarubwa mittlerweile.

Melanie Kahindo sitzt auf einem Schemel vor dem Haus ihrer Eltern. Sie wird hübsch gemacht, bekommt die Haare hochgesteckt. Der Friseur setzt ihr eine Krone auf. Sie wird Königin sein für einen Tag. Es ist der Tag ihrer Hochzeit, auf den sie eine gefühlte Ewigkeit mit ihrem Freund Valentin Nyarubwa hin gefiebert hat, von dem sie nicht wusste, ob er kommen wird. Der Brautpreis hätte alles zunichtemachen können, die Liebe, die Hoffnung auf einen Ernährer.

Um zu den Brauteltern zu gelangen, muss man Schleichwege über Lavasteine nehmen. Jugendliche haben die Hauptstraße in der ostkongolesischen Stadt Goma mit Felsbrocken blockiert. Sie sind wütend, weil eine Miliz ein Dorf geplündert hat. Frauen und Kinder wurden erschlagen. Das geht im Ostkongo seit bald 30 Jahren so. Das Militär und die Milliarden teure Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen schaffen es nicht, die Gewalt zu beenden. Wer dagegen protestiert, lebt gefährlich. Auch am Morgen, als Kahindo und Nyarubwa heiraten wollen, schießen Polizisten auf Demonstranten.

Im Garten der Kahindos zieren bunte Stoffdrachen die Büsche. Ein Vogel zwitschert. Es riecht nach Pommes frites. Ein Mädchen frittiert die Kartoffeln in einem Metallkessel auf dem Feuer. Der Friseur will verköstigt werden. Draußen knallen einzelne Gewehrsalven.

Kahindo sieht angespannt aus. »Ich habe Angst«, sagt sie. Die junge Frau fürchtet nicht die Kugeln, die sie auf dem Weg zur Kirche treffen könnten, wenn die Polizei schießt. »Das sind wir gewöhnt«, winkt sie ab. Angst macht ihr das künftige Eheleben. »Ich kenne niemanden im Viertel, wo ich mit Valentin wohnen werde. Hoffentlich schaffe ich das«, sagt sie.

Ehemann, Eltern, Schwiegereltern, Tanten und Onkel, Nachbarn und die Kirche erwarten viel von Kahindo. Schließlich hat Nyarubwa 1600 US-Dollar für sie bezahlt. »Es hat fünf Jahre gedauert, bis ich das Geld für den Brautpreis zusammen hatte«, erzählt er. Die Investition muss sich lohnen. Deshalb wird Kahindo schuften, jeden Tag Feuer zum Kochen entfachen, Wasser auf dem Rücken nach Hause schleppen, Wäsche von Hand waschen. Vor allem aber wird sie die Kinder versorgen, die bald kommen müssen. Wehe, Kahindo versagt! Dann könnte die 28 Jahre alte Betriebswirtin verstoßen werden, müsste zu ihren Eltern zurück.

Sozialer und ökonomischer Druck lasten wie Blei auf jungen Paaren in vielen afrikanischen Ländern. Wissenschaftler der katholischen Universität Leuven schreiben in einer Studie, dass Hochzeiten immer mehr zur Last werden. Neben dem Brautpreis müssen mehrere Zeremonien finanziert werden. Wer nicht protzt, verliert das Gesicht vor Verwandten und Freunden. Im Kongo schlägt das insgesamt mit 5000 bis 10 000 Dollar zu Buche.

Dabei ist die Demokratische Republik Kongo eines der ärmsten Länder der Welt. Es ist zwar reich an Rohstoffen, die weltweit in Handys und Batterien für Elektroautos stecken. Doch von den Bodenschätzen profitieren vor allem korrupte Netzwerke.

Nyarubwa und Kahindo haben sich in der Jugendgruppe der katholischen Kirche kennengelernt. »Valentin war mein Chef, und plötzlich hat er gesagt, dass ich ihm gefalle«, erinnert sich Kahindo. Sie schaut ein wenig verlegen. »Wir haben aber keine Nacht zusammen verbracht«, schwört sie. Sie erzählt das wenige Wochen vor ihrer Hochzeit im April 2021. Die beiden sitzen im Wohnzimmer von Nyarubwas Eltern unter einem Christusbild. Die Familie wohnt in einer Holzhütte. Die Polstergarnitur aus braunem Stoff füllt den gesamten Raum aus.

Die beiden haben gute Laune an diesem Tag. Der Bräutigam wirft vor lauter Freude eine junge Katze in die Luft. Sie haben auf Geheiß der Kirche einen Fruchtbarkeitstest gemacht. Alles stimmt bei den beiden. Der Pfarrer ist zufrieden.

Das Paar hat es Jahre lang für sich behalten, dass Nyarubwa für den Brautpreis spart. Selbst den Eltern haben sie es erst vier Tage, bevor der Bräutigam mit der Schwiegerfamilie verhandeln wollte, gesagt. »Es ist gefährlich, wenn jemand weiß, dass du Geld hast«, erzählt Kahindo. Jede Nacht sind Einbrecher unterwegs. Und dann ist da die Eifersucht. Freundinnen könnten es krummnehmen, dass Kahindo vor ihnen einen Mann gefunden hat. Eine andere könnte Valentin verführen. Dann würde er vielleicht den Brautpreis bei der Familie der Konkurrentin abliefern. »Die andere könnte mich sogar vergiften«, glaubt Kahindo.

An die Verhandlung über den Brautpreis mit der Schwiegerfamilie erinnert sich Nyarubwa mit ernster Mine. »Zuerst wollten die Eltern 200 Dollar pro Ziege«, erzählt er. Das kongolesische Familienrecht schreibt vor, dass der Bräutigam einen Preis entsprechend der Tradition der Ethnie der Braut entrichten muss. Im Fall Kahindos sind das zwölf Ziegen, Stoff für ein Kleid der Brautmutter, ein Kopftuch und Schuhe für die Mutter sowie Schuhe und eine Jacke für den Vater.

Nur, was macht man mit einer Ziegenherde in der Stadt, wo es keine Weide gibt? »Genau da liegt das Problem«, antwortet Joseph Nzabandora Ndi Mubanzi. Der Professor für Soziologie sitzt in seinem Büro an der Universität Goma auf einem gepolsterten Holzstuhl. Daneben stehen eine kongolesische Fahne, ein Regal mit Ordnern und einem Drucker, der nicht angeschlossen ist. Strom gibt es selten an der Universität.

Der Brautpreis sei ein Spiegel der Gesellschaft, die in prekären Verhältnissen lebt, doziert der Professor. »Die Brauteltern rechnen Ziegen oder Kühe in Geld um und verlangen den entsprechenden Preis«, erzählt er. Die Tradition beruhe auf einem Kompensationsgeschäft. Eine Gruppe, die eine Frau hergibt, muss in die Lage versetzt werden, diese Frau zu ersetzen. Denn Ziel sei der Fortbestand der Gruppe. »Einige Eltern tricksen«, verrät Mubanzi. Sie schlagen einiges auf den Preis auf, den ein Tier auf dem Viehmarkt kosten würde. Es ist die Chance auf das schnelle Geld in einem armen Land, die Gelegenheit, einen Teil der Kosten hereinzuholen, die der Nachwuchs verursacht hat. Kahindos Eltern etwa haben die teuren Studiengebühren für die Tochter im Blick. Manche Brauteltern kalkulieren weitere Ausgaben ein, Medizin, wenn das Mädchen oft Malaria hatte, oder Kleider und Bücher für die Schule.

Bei einem Treffen vor der Hochzeit erzählt Nyarubwa von den schwierigen Verhandlungen mit der Schwiegerfamilie. Er sitzt auf einer Bank vor der Hütte seiner Eltern und blickt immer wieder um sich. Kinder der Nachbarn wollen zuhören. Nyarubwa scheucht sie weg. Sie verschwinden hinter der Wäsche auf der Leine. »Ich musste klar machen, dass ich nicht viel Geld habe«, gesteht er, während seine Braut stumm zuhört.

Nyarubwa, 31, hat Elektrotechnik studiert, ist aber wie viele Jungakademiker im Kongo ohne feste Arbeit. Er unterrichtet einige Stunden an der technischen Hochschule, repariert Steckdosen und jobbt beim Elektrizitätswerk. »Ich verdiene nur 100 Dollar im Monat, höchstens 150«, klagt er.

Manchmal sitzt er an der Stelle, wo bestimmt wird, in welche Stadtteile das Kraftwerk Strom liefert. Es produziert nicht genug, um das ganze Gebiet zu versorgen, sofern es überhaupt Leitungen gibt. Wenn Kahindo bügeln will, ruft sie Nyarubwa bei der Arbeit an. »Dann schicke ich ihr Strom«, verrät er. Seine Partnerin lächelt, als er das erzählt. »Dafür liebe ich ihn«, sagt sie leise.

Kahindo findet es richtig, dass ihr Mann den Brautpreis bezahlen muss. Sie fällt bei den Eltern als Arbeitskraft aus, das muss entschädigt werden. Aber manchmal war ihr Herz schwer, weil die Eltern auf einen hohen Preis gepocht haben. Irgendwann hat sie stumm revoltiert: »Man kann sich viel Zeit lassen beim Boden Wischen«, sagt sie. Die Eltern haben schließlich den Preis halbiert.

»Das Gefeilsche um den Wert einer Frau ist entwürdigend«, schimpft Passy Mubalama. Wir treffen die Aktivistin in ihrer Organisation, die sie eigens gegründet hat, um Frauen über ihre Rechte aufzuklären. Sie trägt immer Hosen oder Miniröcke, niemals »Pagne«, das traditionelle knöchellange Kleid aus buntem Tuch. Ihre Haare hat Mubalama zu Zöpfen geflochten. »Ich bin weder eine Ware noch eine Gebärmaschine«, stellt sie klar. Ginge es nach ihr, würde der Brautpreis verboten, so wie etwa in Gabun oder Kenia. Allerdings wird dort trotzdem bezahlt. Die Tradition wiegt stärker als das Gesetz.

Nyarubwa trifft sich vor der Hochzeit manchmal mit Kahindo in einer Kneipe bei ihren Eltern um die Ecke. Er trinkt Bier, sie eine Limonade. Die beiden gehen nur tagsüber miteinander aus, sodass sie die einzigen Gäste in der Bar sind. Hier können sie offen über den Brautpreis reden. »Wenn er zu hoch ist, wird die Frau schlecht behandelt«, erzählt Nyarubwa. Daran hat er die Schwiegereltern erinnert. Zum Glück haben sie eingelenkt. Nyarubwa hat jetzt ein gutes Gefühl und will seine Frau respektieren.

Die Frauenrechtlerin Lucette Soki Mulekya erzählt am Telefon, manche Männer würden ihre Frau schlagen oder gar vergewaltigen, wenn sie nach ihrem Gutdünken zu viel für die Braut bezahlt hätten. Sie findet, der Staat solle ein Limit für den Brautpreis setzen und Missbrauch bestrafen. Doch das bleibt ein frommer Wunsch. Im vergangenen Jahr hat das Parlament, dominiert von älteren Herren, einen entsprechenden Antrag abgelehnt. Der Abgeordnete und Rechtsprofessor Daniel Mbau forderte ein Limit von 500 Dollar in der Stadt und 200 Dollar auf dem Land.

Was aber denkt die Generation Smartphone über den Brautpreis, zum Beispiel Gisèle Bagheni, 32, ledig, weltgewandt, Produzentin von Frauensendungen? Der Brautpreis sei ein »casse-tête«, eine harte Nuss, stöhnt sie, als wir sie bei der Arbeit beim Verband der Kommunalradios treffen. Trotzdem ist sie dafür, aber auch irgendwie dagegen. »Er ist unsere Kultur, aber er ist zum Geschäft verkommen«, meint sie.

Sie weiß von manchen, die sich verschulden, damit sie mit ihrer Liebsten zusammen leben dürfen. Diese Paare würden gleich nach der Hochzeit sämtliche Geschenke verkaufen, den Fernseher, die Polstergarnitur und sogar die Kochtöpfe. Zusammenleben ohne Trauschein ist ein Tabu. Außer man wählt die »Abkürzung«, wie Bagheni das nennt. Die geht so: Die Frau wird schwanger, fliegt bei den Eltern raus, der Mann muss sie heiraten. »Der Brautpreis ist dann gering«, erzählt Bagheni. Die Schande drückt den Preis. Allerdings ist die Familie dann ziemlich sauer.

Nyarubwa und Kahindo schaffen es an ihrem Hochzeitstag trotz Schießerei zur Kirche. Der Pfarrer spricht den lange ersehnten Segen, das Paar steckt sich die Ringe an. Danach gibt es eine Torte und viele Geschenke. Trotz allem schaut Kahindo den ganzen Tag über angestrengt unter ihrer Krone hervor, als ob sie ahnt, was auf sie zukommt.

Anderthalb Jahre nach der Hochzeit erzählt Nyarubwa am Telefon, dass sie einen Jungen bekommen haben. Aber das Leben sei schwierig. »Mehl, Milch, Brei, alles ist teuer«, klagt der Familienvater. Milizenkämpfe, Ukrainekrieg und Corona-Pandemie hinterlassen Spuren. Hätte Nyarubwa den Brautpreis nicht bezahlen müssen, könnte er seine Familie mindestens ein halbes Jahr lang ernähren. Davon will er aber nichts hören: »Leute, die den Brautpreis abschaffen wollen, sind schlimm. Ganz schlimm.«

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