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Union Busting: Fall für den Staatsanwalt
Weil Unternehmen wie Gorillas aktiv versuchen, Betriebsräte zu verhindern, will das Land Berlin einschreiten
Die Betriebsratswahl des Lieferdienstes Gorillas in Schöneberg musste am Mittwoch abgebrochen werden. Der Arbeitgeber hatte den Abbruch beantragt und war vom Berliner Arbeitsgericht am 13. Oktober per Eilentscheidung zurückgewiesen worden. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg kassierte die Entscheidung nun aber, weil nach Ansicht der Richter*innen die Zusammensetzung des Wahlvorstands von den Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes abweicht. Damit wird auch die Wahl eines Gesamtberliner Gorillas-Betriebsrates anfechtbar. Das Unternehmen argumentiert, dass ein Betriebsrat nicht für mehrere Unternehmen zuständig sein könne. Die Beschäftigten werfen ihrerseits Gorillas vor, das Unternehmen in viele einzelne Franchise-Buden aufgeteilt zu haben, um den Gesamtberliner Betriebsrat außer Gefecht zu setzen.
»Gorillas gelingt es offensichtlich, aufgrund von formellen Gründen die Wahl demokratischer Interessenvertretungen in den Betrieben zu verhindern«, sagt Rechtsanwalt Martin Bechert, der einen Wahlvorstand vor Gericht vertritt. Was wie ein ordnungsgemäßer Vorgang vor Gericht aussieht, hat allerdings System. Der Begriff »Union Busting« beschreibt Angriffe von Arbeitgebern gegen Gewerkschaften und Betriebsräte. Doch die verstoßen gegen den Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes, »Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder«. Derlei Taten werden mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder Geldstrafe geahndet – jedoch nur auf Antrag der Betroffenen verfolgt. Wären Verstöße gegen den Paragrafen »Offizialdelikte«, müsste die Staatsanwaltschaft von sich aus ermitteln, wenn sie Kenntnis von einem Vorfall bekommt.
»Betriebliche Mitbestimmung ist gelebte Demokratie – und steht deshalb auch im Betriebsverfassungsgesetz unter besonderem Schutz. Das hält viele Arbeitgeber aber nicht davon ab, Betriebsräte unter Druck zu setzen, Betriebsratswahlen zu verhindern und Beschäftigte, die sich für ihre Rechte stark machen, zu mobben und sogar zu kündigen«, sagt dazu Katja Karger, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds Berlin-Brandenburg. »Die Strafverfolgungsbehörden scheinen oftmals mit der Ahndung solcher mitbestimmungsfeindlichen Straftaten überfordert zu sein und lassen die Unternehmen straffrei davonkommen. Das kann nicht sein.«
Das Abgeordnetenhaus diskutiert an diesem Donnerstag einen Antrag von Rot-Grün-Rot, in dem der Senat von den Koalitionsfraktionen aufgefordert wird, innerhalb der Staatsanwaltschaft eine »spezialisierte Zuweisung aufkommender Fälle an dafür besonders geschulte Staatsanwält*innen einzurichten«. Bisher laufen entsprechende Verfahren in der staatsanwaltlichen Abteilung 243 auf, die für Wirtschaftsstrafsachen zuständig ist. Dass deren Staatsanwält*innen im Betriebsverfassungsrecht speziell geschult sind, scheint eher unwahrscheinlich – auch angesichts der kleinen Fallzahlen. Drei waren es nach Informationen aus dem Justizsenat im Jahr 2021, neun im Jahr 2020 und vier im Jahr 2019. Seit 2012 gab es insgesamt 38 Ermittlungsverfahren.
»Seit 2016 ist von den ohnehin wenigen Verfahren kein einziges zur Anklage gekommen«, sagt der arbeitspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Damiano Valgolio. Das liege unter anderem daran, dass es so schwer sei, einen Vorsatz nachzuweisen. Fristlose Kündigungen, Abmahnungen, ausbleibende Lohnzahlungen, Betriebsverlagerungen: »Alles das sind Mittel, die in den letzten Jahren immer wieder gegen Betriebsräte angewendet wurden – und alles legal.« Valgolio, der im Hauptberuf Fachanwalt für Arbeitsrecht ist, ist sicher, dass »gut im Thema ausgebildete Staatsanwält*innen ein besseres Gespür hätten, viel tiefer in die Materie einsteigen und vermutlich den Vorsatz in vielen Verfahren beweisen könnten«. Der Antrag sei auch deshalb so immens wichtig, »weil es kaum ein Mittel gibt, sich gegen organisiertes Union Busting juristisch zu wehren.«
Sebastian Riesner, Chef der Berliner Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) nennt den Paragrafen einen »zahnlosen Tiger«. Zu viele Verfahren würden »bei den überlasteten Staatsanwaltschaften zu oft im Sande verlaufen«. Arbeitgeber würde der Paragraf 119 nicht abschrecken. Mit der Einrichtung der Schwerpunktstaatsanwaltschaften müsse aber eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes einhergehen: »Die Be- oder Verhinderung von Betriebsräten und ihrer Arbeit muss ein Offizialdelikt werden«, fordert Riesner.
Conny Weißbach, Leiterin des Fachbereichs Handel bei Verdi Berlin-Brandenburg sieht das ähnlich. Es gäbe viele Vergehen, die unterhalb der Möglichkeit für einen möglichen Strafantrag lägen, so die Gewerkschafterin, zu deren Zuständigkeiten auch das Unternehmen Gorillas gehört. »Zwar sind die Arbeitsmittel und Arbeitsräume des Betriebsrats geschützt, aber Vorgehen gegen Betriebsratswahlen zählen nicht dazu.«
Bis es so weit ist, kann es aber noch dauern. Laut einer Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales würde das Vorhaben »sorgfältig vorbereitet. Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung und der Zeitplan bleiben abzuwarten«.
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