»Jeder ist gleichberechtigtes Mitglied«

Gewerkschaftschef Assaf Adiv spricht über die Lage der palästinensischen Arbeiter in Israel

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 7 Min.

Maan ist als israelische Gewerkschaft, die palästinensische Arbeitnehmer organisiert und verteidigt, einzigartig. Können Sie mir sagen, wie Ihre Arbeit eine Veränderung für die Palästinenser bewirkt?

Derzeit kommen 200 000 palästinensische Arbeiter nach Israel, eine recht große Zahl, meist Männer, die im Baugewerbe, aber auch im Dienstleistungssektor und in der Industrie arbeiten. Rechtlich gesehen gelten sie als Wanderarbeitnehmer, die Palästinensische Autonomiebehörde hat keine Befugnisse in Israel, und es gibt keine Möglichkeit für palästinensische Institutionen, in ihrem Namen zu intervenieren. Das bedeutet, dass nur israelische Gewerkschaften oder israelische Anwälte tätig werden können.

Dann stellt sich die Frage, warum sich eine israelische Organisation um die Palästinenser kümmern sollte, die als Feinde angesehen werden. Ein palästinensischer Gewerkschaftsaktivist kann nicht einfach nach Israel einreisen. Und man kann auch nicht vor Gericht gehen. Die größte israelische Gewerkschaft Histadrut, eine sehr einflussreiche Institution im politischen und gesellschaftlichen Leben Israels, ist politisch nicht gewillt, sich für die Palästinenser einzusetzen, weil sie das israelische Sicherheitskonzept akzeptiert, das jeden Palästinenser als Feind betrachtet.

Wie viele Mitglieder hat Maan, wie viele davon sind palästinensische Araber und wie viele Israelis?

Maan arbeitet auch als Gewerkschaft für israelische Arbeitnehmer, und vor allem wegen unseres politischen Images als Organisation, die für die Palästinenser eintritt, zahlen wir einen Preis für die Möglichkeit, von den durchschnittlichen israelischen Arbeitnehmern akzeptiert zu werden. In einigen Betrieben, in denen wir angefangen haben, uns zu organisieren, ging die Geschäftsleitung zu den Arbeitnehmern und sagte ihnen: Wenn ihr Maan beitretet und die Gewerkschaftsbeiträge bezahlt, wird dieses Geld an die Feinde gehen. Natürlich ist dies eine Lüge, aber manchmal funktioniert es, um Arbeitnehmer davon abzuhalten, unserer Gewerkschaft beizutreten.

In unserer Tätigkeit sind wir sehr praktisch. Wir wollen Ergebnisse für die Menschen erzielen. Wir arbeiten für die Menschen, für Israelis und Palästinenser gleichermaßen. So haben wir es geschafft, auch Lehrer an Kunst- und Musikhochschulen und Bildungseinrichtungen sowie Mitarbeiter in Menschenrechts- und Sozialorganisationen zu organisieren. Wir haben mehrere tausend Mitglieder, es ist immer noch eine sehr kleine Gewerkschaft. Ich würde sagen zwei Drittel sind Palästinenser, ein Drittel Israelis. Aber wir betonen, dass es keine Rolle spielt, woher man kommt und welche Sprache man spricht. Jeder wird akzeptiert und ist gleichberechtigtes Mitglied.

Wo können Sie als Gewerkschaft spezifisch helfen?

Wir sind zum Beispiel Experten geworden für alles, was mit dem israelischen Gesetz zur Frage der Arbeitslosigkeit zu tun hat. Und Palästinenser, vor allem in Ost-Jerusalem, werden vom Arbeitsamt und der Israelischen Nationalen Versicherungsanstalt manipuliert. Es wird versucht, die Menschen so weit wie möglich daran zu hindern, das zu bekommen, was ihnen zusteht. Wir legen auch großen Wert auf die Unterstützung von Frauen bei der Arbeitssuche. Wir haben ein Handbuch für Frauen herausgegeben, in dem beschrieben wird, wie man einen Job bekommt, wie man eine Teilzeitbeschäftigung annimmt und sich bei unserem Arbeitsamt anmeldet, wie man Karten für die öffentlichen Verkehrsmittel bekommt. Oder was zu tun ist, wenn Sie schwanger sind.

Sie haben einen Aufruf gestartet, um die Arbeitsaufnahme in Israel für Palästinenser aus dem Westjordanland zu erleichtern, und fordern eine sogenannte Green Card. Was heißt das?

Wir sehen eine Situation, in der das Genehmigungssystem, das die Wanderung von Arbeitern aus dem Westjordanland nach Israel regelt, sich als völlig untauglich, undurchführbar und korrupt erwiesen hat. Es schafft einen Schwarzmarkt und Möglichkeiten der Erpressung palästinensischer Arbeiter. Auch die israelischen Behörden stimmen diesem Urteil zu. Wir brauchen eine Möglichkeit für die Menschen, nach Israel zu kommen und dort zu arbeiten, weil die israelischen Unternehmen sie brauchen.

Das derzeitige System ist gescheitert, weil ein Palästinenser nur dann eine Genehmigung erhält, wenn ein israelischer Arbeitgeber ihn persönlich nachfragt. Es reicht nicht aus, dass man Palästinenser ist und arbeiten möchte und von Israel anerkannt wird. Wer kein Sicherheitsrisiko darstellt, nicht im Gefängnis oder im Widerstand war, also sauber ist, der erhält die sogenannte Magnetkarte, um in Israel zu arbeiten. Grundsätzlich kann die jeder im Westjordanland bekommen. Aber das reicht nicht. Du brauchst einen israelischen Arbeitgeber, der dich anfragt, um deinen Namen und deinen Personalausweis zu registrieren.

Der Kontakt zwischen Arbeitern und Unternehmen läuft häufig über Vermittler. Wie muss ich mir das vorstellen?

Das sind informelle Netzwerke. Und was letztendlich passiert ist, und das ist das große Problem, die großen Arbeitgeber nutzen das aus, um Geld von den Arbeitern zu bekommen. Sie wollen die Arbeitserlaubnis und bezahlen den Vermittler. Da ist ein großer Schwarzmarkt entstanden. Die israelischen Unternehmer, die Arbeitskräfte benötigen, wenden sich an Vermittler, die die Genehmigung für 2500 Schekel (ca. 750 Euro) pro Monat verkaufen. Die Arbeitnehmer sind verpflichtet, 40 Prozent ihres Lohns an diese Vermittler zu zahlen. Dies ist illegal und jeder erkennt, dass es sich um ein negatives Phänomen handelt, aber die Behörden unternehmen nichts, um es zu stoppen.

Unsere Vorstellung von der grünen Karte ist folgende: Der Arbeitnehmer erhält die Genehmigung auf seinen Namen, ohne die Bedingung, dass ein israelischer Arbeitgeber sie beantragt. Die Arbeitnehmer, die die grüne Karte haben, können den Arbeitgeber frei wählen. Wenn der Arbeiter unzufrieden ist, sucht er sich einen anderen. Er hat keine Angst zu verhandeln. Das gibt ihnen die Möglichkeit, über ihre Bedingungen zu verhandeln und die Arbeitgeber unter Druck zu setzen, damit sie am Arbeitsplatz mehr Verhandlungsmacht haben. Sie haben keine Angst davor, dass der Arbeitgeber sie entlässt. Und das bedeutet natürlich, dass wir zumindest potenziell die Möglichkeit von Vermittlungsgebühren ausschließen. Es ist nicht etwas, was das gesamte System verändern würde, aber ein sehr wichtiger Schritt ist.

Aus welchen Gründen wurde die Maan Workers Association ursprünglich gegründet?

Die Idee, eine neue Initiative für eine gewerkschaftliche Organisation in Israel zu starten, die wir Maan nannten, war das Ergebnis unserer Einschätzung der Situation nach dem Osloer Abkommen zwischen Israel und der PLO in den 90er Jahren. Wir glaubten nicht, dass es Frieden und Wohlstand bringen würde. Wir glaubten nicht, dass es die Rechte und den Fortschritt insbesondere für die palästinensischen Arbeiter und die armen Palästinenser garantieren würde.

Wir hielten es für ein Abkommen, das einer bestimmten Elite auf palästinensischer Seite diente, und es war Teil einer neuen liberalen globalisierten kapitalistischen Offensive, die damals von Clinton in den USA angeführt wurde. Wir dachten, dass es unsere Aufgabe ist, einen Weg zu finden, um zu helfen, die Arbeiter zu schützen und sie auf einer neuen Basis zu organisieren, wenn alle anderen Gewerkschaften sich dieser falschen Feier anschließen.

Wann haben Sie angefangen?

Wir haben in den 90ern angefangen daran zu arbeiten und uns im Jahr 2000 offiziell registrieren lassen. Am Anfang wollten uns die israelischen Behörden nicht registrieren, weil einige der Gründer in den Kampf der palästinensischen Bewegung involviert waren. Wir waren in den 80er Jahren im Gefängnis, also sagten sie, wir seien Terroristen.

Am 1. November sind Parlamenstwahlen in Israel. Was erwarten Sie?

Wenn Israel am 1. November an die Urnen geht, wird der politische Stillstand weitergehen. Der rechte Flügel unter der Führung von Benjamin "Bibi" Netanjahu kann keine tragfähige Regierung bilden, selbst wenn er eine knappe Mehrheit erhält, da zu seiner Koalition eine offen faschistische Partei gehört (der Zionistische Religiöse Block). Sein zentristischer Gegenspieler, der derzeitige Premierminister Jair Lapid, kann ebenfalls keine Mehrheit erlangen.

Da beide Seiten Hoffnungen hegen, die sich letztlich nicht erfüllen werden, befindet sich das Land weiterhin in einer Phase politischer Instabilität, die verhindert, dass man sich mit dringenden grundlegenden Fragen befasst, zum Beispiel mit der Besetzung im Westjordanland und im Gazastreifen, der Klima- und Energiekrise, den tiefen Ungleichheiten, dem Zusammenbruch der Sozial- und Gesundheitsdienste. All dies wird beiseite geschoben, solange sich die Diskussion auf die Frage für oder gegen Bibi konzentriert.

Interview

Assaf Adiv ist geschäftsführender Direktor der unabhängigen Gewerkschaft Maan Workers Association in Israel, die Palästinenser, die unter israelischen Arbeitgebern arbeiten, sowohl in Israel als auch in den Siedlungen organisiert und verteidigt. Adiv war seit den 80er Jahren in der progressiven und demokratischen Bewegung gegen die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete aktiv. Er ist ein führendes Mitglied der linksgerichteten Daam-Partei. Mit ihm sprach Cyrus Salimi-Asl.

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