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Rufe nach mehr Repression bei Straßenblockaden

Kritik an 30-tägiger Präventivhaft für Münchner Klimaaktivst*innen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Ginge es nach der Union, würden Straßenblockaden härter bestraft.
Ginge es nach der Union, würden Straßenblockaden härter bestraft.

Er gilt als eine der meistbefahrenen Straßen in Münchens Innenstadt: der Altstadtring am Stachus, ein Nadelöhr, seit Jahrzehnten bekannt für dichten Verkehr und fast tägliche Staus. Auch an diesem Montagmorgen geht es für Autofahrer*innen nur zäh voran. Gegen 9.30 Uhr blockieren fünf Aktivist*innen der Klimagruppe Letzte Generation einen Teil der Straße, kleben sich fest, die Polizei muss den Verkehr zeitweise umleiten. Es ist eine Protestaktion mit Ankündigung, die Letzte Generation hatte den Ring um den Karlsplatz, wie der Stachus offiziell heißt, in den letzten Wochen mehrfach blockiert. Inhaltlich geht es der Gruppe um die aus ihrer Sicht zu zögerliche Klimapolitik der Bundesregierung, an diesem Montag aber noch um etwas anderes. Man wolle ein Zeichen gegen die »Drohgebärden der Politik« setzen und das »Recht auf demokratischen Protest ausüben«, heißt es in einer Mitteilung der Gruppe. »Ich werde mich auch von Drohungen mit 30 Tagen Gefängnis nicht einschüchtern lassen«, wird die 18-jährige Maria Braun zitiert, die sich laut Letzte Generation an der Blockade beteiligte. Auch in Berlin kam es an vier Orten, genau wie in den letzten Monaten, zu Straßenblockaden. Auf von den Aktivist*innen verbreiteten Fotos in den sozialen Netzwerken ist zu sehen, dass manche von ihnen sich mit schwarz-weißer Häftlingskleidung kostümiert hatten.

Es ist eine Anspielung darauf, welches Ausmaß an Repression der Staat in Bayern gerade gegen die Klimaaktivst*innen auffährt. Vergangenen Donnerstag wurden zwölf von ihnen nach einer Blockadeaktion inhaftiert und sollen dies laut Entscheidung eines Münchner Amtsrichters auch für insgesamt 30 Tage bleiben – allerdings nicht als Strafe für die Behinderung des Straßenverkehrs, denn dazu fanden noch gar keine Gerichtsverhandlungen statt, sondern als Präventivmaßnahme, damit die Aktivist*innen keine weiteren ähnlichen Aktionen durchführen können. Möglich macht dies das sogenannte Polizeiaufgabengesetz (PAG). Zwar gelten ähnliche Regelungen auch in anderen Bundesländern, doch das CSU-regierte Bayern lässt eine Präventivhaft von bis zu zwei Monaten zu. Zum Vergleich: In Berlin sind maximal vier Tage möglich, in Baden-Württemberg zwei Wochen, womit im Südwesten bereits die zweithöchste Haftdauer aller Bundesländer gilt. In Bayern kann die Haft viermal so lange dauern.

Neu ist die Rechtslage im Freistaat nicht: Eine Verschärfung des bayerischen PAG setzte die Landesregierung bereits 2018 durch. Damals gab es in München Proteste mit bis zu 35 000 Teilnehmer*innen in München dagegen. Auch deshalb erfolgte 2021 eine erneute Änderung. So wurde die Präventivhaft von drei auf die aktuell möglichen maximal zwei Monate verkürzt. Weil auch das neben vielen anderen Punkten viel zu repressiv ist, klagten die bayerischen Grünen gegen das PAG. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs dazu steht noch aus. »Ich verstehe alle, die von Protesten der Letzten Generation genervt sind. Aber dass Münchner Aktivist*innen für 30 Tage in Haft müssen – ohne reguläres Verfahren oder reguläres Gerichtsurteil – ist eines Rechtsstaats unwürdig. Das bayrische Polizeiaufgabengesetz geht zu weit«, twitterte die Münchner Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer (Grüne).

Jetzt tritt ein, wovor nicht nur Amnesty International bereits 2018 warnte. Laut Gesetz ist eine Präventivhaft nur zulässig, wenn »dies zur Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut unerlässlich ist«. Was das heißt, scheint in Bayern ziemlicher Willkür zu unterliegen. Im Abschlussbericht einer Prüfkommission für das PAG aus dem Jahr 2019 ist etwa der Fall eines Mannes dokumentiert, der 27 Tage in Präventivhaft kam, weil er damit gedroht hatte, im Fall einer Ablehnung seines Asylbescheids erweiterten Suizid zu begehen. Die Inhaftierung wurde mit der »Hoffnung auf Besinnung« begründet. Auch im Fall der Straßenblockaden durch die Letzte Generation ist unklar, worin das »bedeutende Rechtsgut« bestehen soll.

Diskurspolitik ohne Fakten: Lasse Thiele über radikalen Klimaprotest der Letzten Generation

Besonders für die Union sind die eifrig diskutierten Blockadeaktionen der Klimaaktivist*innen ein willkommener Anlass, um nach mehr staatlicher Repression zu rufen. Als Vorwand herhalten muss derzeit ein tödlicher Unfall mit einer Radfahrerin in Berlin vor einer Woche. Zeitgleich mit einer Rettungsaktion hatten Aktivist*innen der Letzten Generation die Stadtautobahn A100 blockiert. Ein Spezialfahrzug der Feuerwehr sei durch den Stau nur schwer vorangekommen, hieß es zunächst. Inzwischen ist durch einen Einsatzvermerk der behandelnden Notärztin aber belegt, dass die medizinische Versorgung der Frau nicht durch das späte Eintreffen des Spezialfahrzeugs beeinträchtigt worden ist.

Dennoch rufen Vertreter*innen von CDU und CSU nach Gesetzesverschärfungen. Die Unionsfraktion im Bundestag will noch diese Woche einen Antrag einbringen, wonach für Straßenblockaden, die Rettungsdienste, Polizei oder Feuerwehr behindern, künftig eine Mindestfreiheitsstrafe droht. Eine solche sollte demnach schon verhängt werden dürfen, wenn eine Blockade »dazu geeignet« ist, zu solchen Behinderungen zu führen. Bisher wird – je nach Schwere des Eingriffs in den Straßenverkehr – nur eine Geldstrafe fällig.

Strafrechtsverschärfungen seien »kein Mittel, um gesellschaftliche Konflikte zu lösen«, kritisiert Ulrich Wilken, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Wiesbadener Landtag. Sie hätten auch keine abschreckende Wirkung. Zuvor hatte sich auch Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) den Rufen nach härteren Strafen angeschlossen. In der Bundesregierung stoßen diese indes nicht auf Gegenliebe. Unisono hieß es aus den Reihen von SPD, Grünen und FDP, es gebe zwar Sorgen um eine Radikalisierung von Teilen der Klimabewegung. Bei möglichen Vergehen reichten die bisherigen rechtlichen Möglichkeiten aber aus.

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