Nah am Zusammenbruch

Die Arbeiten von Mona Hatoum unterminieren vermeintliche Sicherheiten. Derzeit widmen sich gleich drei Berliner Institutionen dem Werk der Künstlerin

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Versagen der Metallskulptur die Knie? Hatoums Arbeit »all of a quiver« im Berliner Kindl-Zentrum.
Versagen der Metallskulptur die Knie? Hatoums Arbeit »all of a quiver« im Berliner Kindl-Zentrum.

Eine Küchenreibe fängt plötzlich an zu leuchten, dann ein metallenes Haushaltssieb. Sirrend hört man den Strom durch dünne Drähte fließen, die an die Haushaltsgeräte angebracht sind. Weitere Küchenutensilien sind in der Installation »Home« zu sehen. Alle sind mit Drähten verbunden. Und bei allen signalisieren aufflackernde Glühbirnen, dass durch sie Strom gejagt wird. Eine subtile Gefährlichkeit kommt den Gerätschaften zu. Das Gefahrenmoment wird noch verstärkt durch die Drahtbarrieren, durch die die Zuschauer von dem Arrangement getrennt werden. Wie in einem Zoo schaut man, getrennt durch eine Gitterkonstruktion, einem potenziell gefährlichen Treiben zu.

1999, als die 1952 in Beirut geborene Künstlerin Mona Hatoum »Home« erstmals in London präsentierte, war der Bürgerkrieg in ihrer alten Heimat zwar längst offiziell beendet. Konflikte zwischen den alten Kriegsparteien flammten aber immer wieder auf. Und mit sehr einfachen Kunstgriffen machte Hatoum deutlich, dass nicht einmal im Innersten des Zuhauses, der Küche, von Sicherheit die Rede sein konnte. Zugleich rückte die Künstlerin den Bereich des Zuhauses, der in der arabischen Welt noch mehr als im Westen traditionell mit Weiblichkeit konnotiert wird, in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Küche erhält in »Home« auch etwas Gefängnisartiges. Es ist ein Areal, in dem Menschen festgehalten werden – und das zugleich von außen bedroht wird.

Solcherart komplexe Mehrfachgefährdungen charakterisieren Hatoums Arbeiten. Das war anfänglich noch stark biografisch bestimmt. Hatoum arbeitete Familiengeschichte auf: die Flucht ihrer Eltern aus dem israelischen Haifa etwa, in dem die palästinensischen Christen nach Gründung des Staates Israel keinen Platz für sich zu finden glaubten; den 1975 ausbrechenden Bürgerkrieg im Libanon, der der in England studierenden Künstlerin lange Zeit die Rückkehr in ihr Geburtsland verwehrte; die Enttäuschung über die Entwicklungen dort, die Erfahrung, überall die Fremde zu sein – all das schrieb sich unmittelbar in Hatoums Arbeiten ein. Im Laufe der Zeit eignete sie sich aber eine globale Perspektive an. In »3-D Cities« schneidet sie in große Stadtpläne von Beirut, Bagdad und Kabul Explosionskrater ein. Urbane Landschaften sind verwüstet. An manchen Stellen bleiben Krater zurück, an anderen Stellen hebt sie das konzentrisch zerschnittene Kartenmaterial zu Hügeln an – vergleichbar den Trümmerbergen, die durch den Krieg verwüsteten Städten neue topografischen Formen hinzufügen.

In der aktuellen Arbeit »Beirut« (2022) kehrt Hatoum in ihre Geburtsstadt zurück. Auf einer abgepausten Karte der Stadt hebt sie mit feinem Stift die Gebäude hervor, die bei der Explosionskatastrophe im Jahr 2020 zerstört wurden.

All diese Arbeiten sind derzeit im Neuen Berliner Kunstverein in Mitte zu sehen. Im Kindl-Zentrum für zeitgenössische Kunst in Berlin-Neukölln, das zu den drei Institutionen der Stadt gehört, die sich momentan der Künstlerin widmen, ist hingegen nur eine Arbeit namens »all of a quiver« ausgestellt. Die allerdings ist sehr mächtig. Für das Kesselhaus der früheren Brauerei konzipierte Hatoum eine mehrere Meter hohe Metallskulptur, die durch Motoren bewegt ständig ihre Gestalt verändert. Die Gitterkonstruktion knickt unten plötzlich ein. Das strenge geometrische Gefüge scheint zu einer riesenhaften Gestalt zu werden, der die Knie versagen. Sie ist bedroht – und bleibt in ihrer schieren Größe und Starrheit doch auch selbst bedrohlich, wie manches starre Set aus Regeln und Gesetzen, das runde Formen in Quadrate zu pressen versucht.

Im Georg-Kolbe-Museum ist ein Werk von Hatoum selbst lädiert. Auf die Glasplatten, auf die Hatoum Teile einer Weltkarte aufbringen ließ und die selbst ganz fragil auf kleinen Kugeln ruhen, trat eine Besucherin. Zwei Glasplatten gingen dabei kaputt. Das tektonische Gefüge der Kontinentalplatten – »Tectonic« nennt Hatoum diese Arbeit – ist ganz offensichtlich gestört. Und so traurig die Zerstörung des Werks durch Ungeschick auch ist: Auf gewisse Art ist es die performative Fortsetzung der Zerstörung unseres Planeten.

Ihre Anfänge hatte Hatoum auch als Performance-Künstlerin. Einige frühe Filme sind im Georg-Kolbe-Museum zu sehen. Man sieht die Künstlerin etwa mit schweren Doc-Martens-Tretern durch London stapfen. Die schweren Schuhe hat sie sich allerdings an ihre Knöchel gebunden und zieht sie hinter sich her. Es ist das Stapfen einer Gefangenen, die an die Schuhe gebunden ist wie früher Sklaven und Sträflinge an Eisenkugeln. Viele Filme von ihren frühen Performances gibt es nicht. »Ich hatte damals kein Geld für Dokumentation. Es hat gerade so für die Performances selbst gereicht«, sagte sie einmal lapidar.

Auch deshalb prägen die – haltbareren – Installationen das Werk von Hatoum. Dem großen Thema Gefahr und Gefährdung fügt sie weitere Variationen an. »Remains of the Day« (2016 – 2018), ebenfalls im Kolbe-Museum, besteht aus verkohlt wirkenden Gerippen von Tischen und Stühlen. Es scheint sich um eine Fortsetzung von »Home« zu handeln, nur eben tobte das Feuer hier schon durch. In »Shifts«, einem aus Wolle geknüpften Teppich, ist eine Weltkarte mit konzentrischen Kreisen versehen, die Detonationslinien von Bomben, seismografische Wellen von Beben oder auch die Ringe einer Zielscheibe, die auf den Planeten gerichtet ist, sein können. Gespenstisch wirkt hingegen ein Raum, dessen Wände mit Schattenfiguren gefüllt sind, die von einem sich drehenden Lampenschirm an die Wände geworfen werden. Silhouetten mit Gewehren sieht man dort und sternförmige Gebilde. Sie können das Firmament darstellen, werden aber auch zu Illustrationen von Explosionen. Die Welt ist immer wieder neu gefährdet. Das sagt auch dieses universelle Schattenspiel.

»Mona Hatoum«: Ein Kooperationsprojekt des Neuen Berliner Kunstvereins (bis 13. November), des Kindl-Zentrums für zeitgenössische Kunst (bis zum 14. Mai) und des Georg-Kolbe-Museums (bis zum 8. Januar), Berlin.

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