Werbung

Ein Jahr Untätigkeit

Mit dem Vorkaufsrecht waren in Berliner Milieuschutzgebieten zahlreiche Mietshäuser vor Investoren gerettet worden - bis vor einem Jahr

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 2 Min.

Es kam einer Schockstarre für zahlreiche Berliner Mieter gleich. In einer am Nachmittag des 9. November 2021 versendeten Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig hieß es, dass das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten nicht mehr auf Grundlage der Annahme ausgeübt werden kann, »dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde«. Die Praxis des Vorkaufsrechts, das in Berlin zahlreiche Häuser vor Investoreninteressen gerettet hatte, war damit gekippt worden.

Wenn in Milieuschutzgebieten ein Haus verkauft wurde, drohten die Baustadträte damit, anstelle des eigentlichen Käufers einen gemeinwohlorientierten Dritten wie eine Genossenschaft oder ein landeseigenes Wohnungsunternehmen als Vertragspartner einzusetzen – sofern der eigentliche Käufer sich nicht in einer Abwendungsvereinbarung zu weitreichenden Mieterschutzregelungen beispielsweise bei Modernisierungen verpflichtete.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte vor einem Jahr über den Fall eines Hauses in Friedrichshain-Kreuzberg entschieden – hier hatte die Rettung von Häusern über das Vorkaufsrecht seinen Anfang genommen. Das Gericht entschied damit aber auch über zahlreiche Hausgemeinschaften berlinweit, die sich wie andere zuvor in der knappen Zeit von zwei Monaten organisiert und Klingeln geputzt hatten, um gemeinwohlorientierte Käufer zu finden. Bezirksämter hatten in manchen Fällen bis zum letzten Tag um eine Lösung gerungen, die Mietenbewegung zahlreiche Verbesserungsvorschläge für das Vorkaufsrecht ausgearbeitet. Das Urteil aus Leipzig stellte einen enormen Rückschritt dar. Praktisch kann das Vorkaufsrecht seitdem nur angewendet werden, wenn eine Verdrängung von Mietern bereits erfolgt ist. Eigentlich müsste nur ein Satz im Baugesetzbuch geändert werden, um das Vorkaufsrecht wieder scharf zu stellen. Doch die Marktradikalen im Bund blockieren eine Änderung.

Pünktlich zum einjährigen Jubiläum kam Ende Oktober der nächste Tiefschlag. Das Berliner Verwaltungsgericht hat anhand eines Falls in Neukölln entschieden, dass Eigentümer Abwendungsvereinbarungen kündigen können. 481 solcher Abwendungsvereinbarungen wären geschlossen worden, erklärte Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) diese Woche. 14 von ihnen würden aktuell mit Gerichtsverfahren angegriffen werden. »Das Urteil jetzt ist ein Einzelfallurteil«, betonte Geisel. Dass in dem Fall eine Abwendungsvereinbarung für nicht rechtens erklärt wurde, bedeute nicht, dass diese für alle falsch sei. Das Land zieht mit einer Beschwerde vor das Oberverwaltungsgericht. Der SPD-Politiker betonte aber auch: »Es zeigt, wie dringlich es ist, dass die Bundesregierung eine Novellierung des Vorkaufsrechts endlich in Kraft setzt.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal