Abschiebezentrum BER: Rote Mauern und grünes Gewissen

Vor der Entscheidung über das Abschiebezentrum BER: Protestierende fordern Veto der Grünen

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Graffiti ist schon ein paar Tage alt, die rote Mauer kam am Dienstag hinzu. Trotz zahlreicher Protestaktionen scheinen die Grünen am Abschiebezentrum festzuhalten.
Das Graffiti ist schon ein paar Tage alt, die rote Mauer kam am Dienstag hinzu. Trotz zahlreicher Protestaktionen scheinen die Grünen am Abschiebezentrum festzuhalten.

Eine Mauer aus roten Pappkartons steht am Dienstagmorgen vor der Brandenburger Landeszentrale der Grünen in Potsdam. Darauf die Worte: »Kein Abschiebezentrum BER«. »Wir wollten ihnen noch mal vor die Tür stellen, was sie gesagt haben – um sie daran zu erinnern«, sagt Coco, eine Teilnehmer*in der spontanen Kundgebung. Der Vorwurf: Obwohl sich die Grünen bereits öffentlich gegen ein »Abschiebegefängnis« ausgesprochen haben, würden sie in der Praxis nichts gegen das »An- und Ausreisezentrum« am Flughafen BER unternehmen.

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Der Bau der Kartonmauer ist Teil der Aktionswochen, die das Bündnis »Abschiebezentrum BER verhindern« ausgerufen hat. Noch bis Donnerstag wollen die Aktivist*innen »Politiker*innen der Brandenburger Regierungsparteien zur Verantwortung ziehen«, so das Bündnis auf seiner Webseite. Das Ziel: vor der Sitzung des Innenausschusses des Landtags an ebendiesem 10. November ausreichend politischen Druck aufzubauen, um die Verhandlungen scheitern zu lassen. Die endgültige Haushaltsverhandlung im Potsdamer Parlament, wo das Budget für das Abschiebezentrum beschlossen werden könnte, findet zwar erst am 14. Dezember statt. »Aber wir gehen davon aus, dass in der Sitzung inhaltliche Entscheidungen getroffen werden«, sagt Alexis Martel, Sprecherin des Bündnisses, zu »nd«.

Einmal im Haushalt verankert, würde dem Abschiebezentrum nichts mehr im Weg stehen. Sieben Gebäude umfasst der Komplex, der vom Bund, dem Land Brandenburg und dem Landkreis Dahme-Spreewald angemietet werden soll, um dort die Fälle ein- und ausreisender Menschen zu bearbeiten. In zwei »Unterkunftshäusern« mit insgesamt 118 Plätzen sollen Menschen vor ihrer Abschiebung und unerlaubt Eingereiste im »Transit« untergebracht, Kritiker*innen sagen: eingesperrt werden. Bisher verfügt der Hauptstadtflughafen über ein Ein- und Ausreisegebäude mit 32 Plätzen.

Im Rahmen der Aktionswochen ging unter anderem eine Webseite online, die im Look der Ökopartei ein Ende der rot-schwarz-grünen Koalition ankündigte. Der Fake sollte die echten Fraktionsmitglieder der Grünen an ihren Handlungsspielraum als Mitregierende erinnern. In einem Video, veröffentlicht von der Gruppe Ende Gelände Berlin, wird die Fassade der Grünen-Parteizentrale mit dem Graffiti »Abschiebeknast verhindern!« verziert. Und auch die Aktion am Dienstag richtet sich an das grüne Gewissen. »Es sollte eine rote Linie für sie darstellen«, sagt Martel. Doch bisher seien den Worten keine Taten gefolgt.

Alexis Martel erinnert an die Worte von Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke. »Mit uns wird es keinen Abschiebeknast geben«, hatte er im August öffentlich versprochen. Der aktuelle Plan entwirft zwar streng genommen kein Abschiebegefängnis – das wäre eine Einrichtung mit einer Ausstattung für mitunter monatelange Abschiebehaft. Die Infrastruktur erlaubt jedoch andere Gewahrsamsformen: den Ausreisegewahrsam vor einer Abschiebung, der bis zu zehn Tage dauern kann, und den mitunter wochenlangen Flughafengewahrsam während eines Asylverfahrens, das direkt nach der Einreise beginnt.

»Es wird oft so dargestellt, als sei Ausreisegewahrsam nicht so schlimm und keine richtige Abschiebehaft«, sagt Henrike Koch vom Flüchtlingsrat Brandenburg. »Aber es ist Haft allein zum Zweck der Abschiebung. Und jeder Freiheitsentzug ist ein massiver Grundrechtseingriff.« Abschiebehaft sei als Maßnahme umstritten und rechtlich nicht zwingend notwendig: »Laut Europarecht darf das eigentlich nur Ultima Ratio sein.«

Koch befürchtet, dass in Brandenburg künftig sehr viel häufiger von Abschiebehaft Gebrauch gemacht werden wird. »Wenn die Infrastruktur erst einmal geschaffen ist, wird sie auch genutzt.« Auch für die Dauer von Flughafenasylverfahren werden Schutzsuchende am BER inhaftiert. »Diese Verfahren finden unter Haftbedingungen und extremen Zeitdruck statt, der Zugang zu Rechtsschutz ist eingeschränkt«, so Koch.

Nicht nur die zukünftige Nutzung, sondern bereits die Planung des Abschiebezentrums sorgt für Kritik. Die Idee geht zurück auf den 2019 in Ruhestand gegangenen Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). In der seinerzeitigen rot-roten Koalition plante Schröters Ressort an Linke-Finanzminister Christian Görke vorbei. Im vergangenen Sommer veröffentlichten das ARD-Magazin »Kontraste«, der RBB und das Internetportal »Frag den Staat« Recherchen, die Schröters undemokratisches Vorgehen belegen. So zeigt eine Notiz des Bundesinnenministeriums, dass der damalige Innenminister kein eigenes Gebäude errichten, sondern Räumlichkeiten anmieten wollte, um hinter Görkes Rücken das Projekt voranzubringen.

Unter Schröters Amtsnachfolger Michael Stübgen (CDU) ging die Geheimniskrämerei weiter. 2021 unterzeichnete er mit dem damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine Vereinbarung zur Errichtung des »Behördenzentrums«, ohne den Landtag einzuweihen. Für den Bau beauftragte er einen Investor mit Vorgeschichte: Der wegen eines Schmiergeldskandals vorbestrafte Jürgen B. Harder soll in den vorgesehenen 30 Jahren Laufzeit Gesamtmieteinnahmen von mehr als 470 Millionen Euro erhalten. Abzüglich der Kosten kann Harder mit einem Profit von über 300 Millionen Euro rechnen.

»Das ist eine ziemlich obszöne Rendite«, sagt Andrea Johlige zu »nd«. »Aber das scheint das Innenministerium nicht zu stören.« Die Landtagsabgeordnete und migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion macht sich seit Bekanntwerden der Pläne gegen das »Abschiebedrehkreuz« stark – so nennt sie den in ihren Augen vollkommen überdimensionierten Gebäudekomplex. »Da wird prognostiziert, dass dort mehr Flughafenasylverfahren im Jahr stattfinden werden als zurzeit in ganz Deutschland.« Derart viel Geld in das Projekt zu stecken, obwohl der BER bereits über ein Haftgebäude verfügt, leuchte auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht ein. »Das haben sich Innenminister ausgedacht, die sich ein Denkmal setzen wollen, und scheinbar hat in dieser komischen Koalition niemand die Kraft, einen Riegel vorzuschieben«, sagt Johlige.

Innerhalb einer Woche antworteten weder die SPD-Mitglieder im Innenausschuss noch die Grünen-Abgeordneten Benjamin Raschke und Marie Schäffer auf nd-Nachfragen. Die Linke-Fraktion forderte indes am Dienstag mit dem Antrag »Bau des Ein- und Ausreisezentrums am Flughafen BER stoppen!« die Landesregierung dazu auf, die Planungen sofort zu beenden.

Dem Bündnis »Abschiebezentrum BER verhindern« ist es wichtig, neben dem fragwürdigen und intransparenten Planungsverfahren die Praxis der Abschiebung prinzipiell infrage zu stellen. »Mit wem das letztendlich gebaut wird, ist für uns nicht der entscheidende Punkt«, so Alexis Martel. Für den Sommer plant das Bündnis ein Protestcamp am Flughafen BER gegen Deutschlands Abschiebepolitik. Martel sagt: »Abschiebungen sind eine rassistische und gewaltvolle Ausübung der Staatsmacht. Wir wollen darüber aufklären, was das bedeutet: Sie zerstören Menschenleben.«

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