»Die Regeln werden in sehr vielen Fällen nicht eingehalten«

Anwalt Peter Fahlbusch über die Abschiebehaft in Deutschland

  • Dorothée Krämer
  • Lesedauer: 4 Min.
In Hochsicherheitstrakten wie dem Abschiebegefängnis an der Hamburger Strasse in Dresden sitzen Menschen ein, ohne eine Straftat begangen zu haben - nur, weil man sicher sein will, sie sofort abschieben zu können, wenn man die dafür nötigen Papiere zusammen bekommt
In Hochsicherheitstrakten wie dem Abschiebegefängnis an der Hamburger Strasse in Dresden sitzen Menschen ein, ohne eine Straftat begangen zu haben - nur, weil man sicher sein will, sie sofort abschieben zu können, wenn man die dafür nötigen Papiere zusammen bekommt

Herr Fahlbusch, Sie vertreten seit über 20 Jahren Menschen, die in Abschiebehaft sitzen. Warum gibt es überhaupt Abschiebungshaft?

Interview

Der Anwalt Peter Fahlbusch vertritt Menschen, die in Abschiebehaft sitzen. Viele von ihnen sind zu Unrecht eingesperrt, weil Behörden und Gerichte massive Fehler machen. Menschenrechtsorganisationen fordern nun die Beiordnung einer Pflichtverteidigung, damit die Rechte der Menschen besser geschützt werden. Mit Peter Fahlbusch sprach Dorothée Krämer.

Wenn man das Ganze nicht isoliert betrachten will, müssten wir uns natürlich über grundlegende Fragen globaler Gerechtigkeit unterhalten: Ist es gerecht, dass wir hier entscheiden können, dass bestimmte Menschen hier sein dürfen und andere nicht? Das wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, in 500 Jahren wird man mit absoluter Verachtung auf das schauen, was da passiert. Aber diese Diskussion geht natürlich weit über meine anwaltliche Tätigkeit hinaus. Die hiesige Mehrheitsgesellschaft hat entschieden, dass sie bestimmte Menschen hier nicht haben will. Und sie hat sich Regeln gegeben, wie der Prozess gestaltet sein soll, diese Menschen von hier wegzubringen. Aber bei den Menschen, die in Abschiebungshaft landen, werden diese Regeln leider in sehr vielen Fällen nicht eingehalten. Ein großer Teil der Menschen, die in Haft sitzen, sitzen dort zu Unrecht. Das ist ein handfester Skandal. Und als Anwalt versuche ich, dafür zu sorgen, dass die Rechte dieser Menschen besser gewahrt werden.

Welche Menschen landen in der Abschiebungshaft?

Abschiebungshaft ist eine Haft zur Durchsetzung einer Vollstreckungsmaßnahme, konkret der Ausreise. Das heißt, die Menschen, die in Abschiebungshaft sitzen, haben keine Straftaten begangen und sitzen trotzdem im Gefängnis. Sie sitzen dort, weil sie das Land verlassen müssen. Neben der Ausreisepflicht muss ein Haftgrund bestehen. Das ist in aller Regel Fluchtgefahr. In der Abschiebungshaft landen also Menschen, die das Land verlassen müssen, und bei denen die Behörden glauben, dass sie fliehen oder sich anderweitig der Abschiebung entziehen könnten. Das Gesetz gibt Kriterien vor, wann Fluchtgefahr gegeben sein soll, aber letztlich ist das natürlich oft eine sehr subjektive Entscheidung.

Sie sagen, ein großer Teil der Menschen in Abschiebungshaft sitzt zu Unrecht dort. Wie kann das sein?

Bei etwa der Hälfte der über 2000 Personen in Abschiebungshaft, die ich in den letzten 21 Jahren vertreten habe, wurde letztlich gerichtlich festgestellt, dass sie zu Unrecht im Gefängnis saßen. Grund dafür sind oft Verfahrensfehler. Das heißt, die zuständigen Behörden und Gerichte wenden die gesetzlichen Regeln, die für solche Verfahren bestehen, nicht oder nicht richtig an. Das Problem ist: In vielen Fällen wird das gar nicht thematisiert. Denn die Inhaftierten bekommen nicht automatisch einen rechtlichen Beistand. Die meisten haben keine Ahnung, was mit ihnen passiert, sie werden einfach festgenommen und landen in Haft. Nur diejenigen, die es sich leisten können, haben einen Anwalt – und das sind nicht viele.

Ein Positionspapier von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und Amnesty International fordert aktuell, dass Menschen in Abschiebungshaft automatisch eine Pflichtverteidigung bekommen sollen, ähnlich wie im Strafprozess. Wäre das ein Schritt in die richtige Richtung?

Auf jeden Fall! Wenn in einem Bereich Rechtsverletzungen derart an der Tagesordnung sind, dann müssen die Betroffenen wenigstens die Möglichkeit haben, sich dagegen zu wehren. Aber darüber hinaus muss das Ganze natürlich grundsätzlich angegangen werden. Und da wäre der erste Schritt, überhaupt erst anzuerkennen, dass es ein Problem gibt. Von offizieller Stelle gibt es aktuell noch nicht einmal Zahlen dazu, wie viele Menschen zu Unrecht in Abschiebungshaft genommen wurden. Darüber hinaus müssten Behörden und Gerichte sorgfältiger arbeiten, damit nicht mehr so viele Fehler passieren. Und letztlich sollten wir natürlich auch über Alternativen zur Abschiebungshaft nachdenken. Abschiebungshaft ist in Deutschland Ländersache. Beim Vergleich der Bundesländer zeigt sich, dass dort, wo viele Menschen in Abschiebungshaft sitzen, nicht unbedingt mehr Menschen abgeschoben werden als in anderen Ländern.

Wie kann es sein, dass diese Situation dennoch fortbesteht?

Das Problem ist, dass Abschiebungsgefangene der Mehrheitsgesellschaft egal zu sein scheinen. Sie tauchen nicht als Menschen mit Rechten im politischen Diskurs auf, sondern nur als Zahlen, mit denen Politiker*innen beweisen wollen, dass sie hart durchgreifen. Ihnen fehlt nicht nur eine Verteidigung in der Haftsituation, sondern auch eine Stimme in der Gesellschaft, die über die Zustände aufklärt.

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