Ein genialer Mindfuck

Pia vom Ende und Christian Kölbl haben in Berlin-Spandau eine Ausstellung in einer Ausstellung konzipiert

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 6 Min.
Ausstellungsansicht von »Castles for rent« (Displaydesign: Christian Kölbl)
Ausstellungsansicht von »Castles for rent« (Displaydesign: Christian Kölbl)

Das iPhone bimmelt auf dem Tisch. Grimes ist am Apparat, das zeigt der Bildschirm an. Die Trennung von Elon hängt ihr nach, seit Monaten, sagt die Maklerinnenstimme aus dem Off. Die Maklerin ist abwesend, zudem nur das Sprachprogramm eines Computers. Langsam nervt’s mit der Grimes, nur kann ich leider nicht den Anruf annehmen und Seelsorge leisten, dazu fehlt mir der Körper, meine Augen stecken in einem ziemlich sterilen Luxusapartment fest, vermietet von Musk, in dem er mit der Künstlerin Dagmar Schürrer am ja nie ausreichend ausgereizten Menschenhirn experimentierte, wie das Computerstimmen-Off weiß. 

Ich stehe zwischen schicken glatten Dingen und pulsierenden Gehirnen: Die kommen von der Künstlerin, sie können aber keine Lösung kommunizieren für die Beziehungsnachwehen. Generell sind die immer wieder beschworenen unendlichen Weiten des zerebralen Raums hier zu kleinen monochromen Statuen zusammengestaucht. Und draußen wartet nur das All. Musk will ja den Mars missionieren, weil die Menschen fies sind. Mir sind die Hände nur sprichwörtlich gebunden, denn ich habe hier keine, weil nichts echt ist, was mich umgibt, sondern eine Virtual-Reality-Simulation, die meine Augen durch eine VR-Brille erleben, zwei Joysticks in der Hand, mit denen ich durch die drei Zimmer wandle und blicke als stiller ohnmächtiger Pseudo-Klient.

In Wahrheit befinde ich mich auf dem ehemaligen Heuboden eines ausrangierten Pferdehofs, der später als Garage genutzt wurde, hinter einem Mehrfamilienhaus in Berlin-Spandau, fernab der üblichen Gegenden für Galerien und Projekträume für Kunst, zehn Minuten mit dem Bus vom Rathaus Spandau entfernt, wo bekanntlich die letzte Station der Berlin U-Bahnlinie 7 steht. Pia vom Ende und Christian Kölbl haben hier den Projektraum Schönwalder Straße 44 aufgebaut. 

»Castles for Rent« heißt eine aus insgesamt drei sogenannten Episoden bestehende Ausstellungsreihe – ich habe die zweite besucht –, bei der die beiden Kuratoren digitale Wohnungen zimmern, in die Werke verschiedener kollaborierender Künstlerinnen und Künstler eingebaut werden, die wiederum mit Nachbildungen quasi kanonischer Plastiken und Bilder in Verbindung treten. Wobei das schon fast zu freundlich klingt, denn das Unbehagliche an vom Endes und Kölbls Orten ist die Gewissheit um die alles schluckende Kraft der kapitalistischen Einhegung in Privateigentum, die in ihnen aufkommt. Die einstmals zumindest widerständig gemeinte Kunst wird zur Deko der Reichen, die Sinnangebote und -speicher landen irgendwo in der Ecke der großen Wohninvestition. Dass mir als VR-Betrachter jeder Umgang mit dieser Kunst verboten ist, weil ich sie ja nicht physisch klauen und verticken, mutwillig beschädigen, nicht mal mit meiner Ausstellungsbegleitung lautstark über irgendeinen beschissenen Hype lästern könnte, reduziert mich Rezipienten zum impotenten Nicht-Käufer, der sich umschauen darf und sonst nichts zu sagen hat: Immersion ohne Partizipation. Aber diese Wertschöpfung verstaubt nicht. 

Ich nehme mir die nächste VR-Brille von einem Metallgestänge zwischen den Holzbalken, an denen Plastikhände und leere Arbeitskluft befestigt sind, was an die Überreste von Bauarbeitern erinnert, die für die schönen Immobilienträume vielleicht ganz real ihre Körper verloren haben. Dieses Apartment befindet sich in einem Erdgeschoss oder Hochparterre, hinter den Fenstern bewegt sich nichts, es ist wohl eine Gated Community. Die Donuts auf dem Esstisch sind nachhaltig und vegan, wie diesmal eine leicht aggressive Maklerstimme beteuert. Hunde sorgen für Geborgenheit: Ich kann mich entweder mit Miniaturversionen von Jeff Koons’ berühmten »Balloon Dogs« aus Edelmetall vergnügen – das große Original hatte mal mehr als 58 Millionen Dollar Marktwert – oder mich eines lebendigen, also beweglichen Hundes annehmen, der unter zusätzlichen Kosten auch professionell ausgeführt werden könnte. 

Im Fitnesszimmer stoße ich auf Videos, die ich anfänglich für Ausschnitte aus der Kardashian-Clan-Serie halte. Sie stellen sich als Arbeiten der Künstlerin Anna Ehrenstein heraus, die sich mit der exzessiven Zurschaustellung makelloser Körper beschäftigen: Fitness ist ein Vorwurf an Faule und »spoiled internet addicted rich kids«, saudumm und laut und deshalb unterhaltsam, sind das anthropologische Ideal der Gegenwart, kommt mir, während ich auf die ordentlich aneinandergereihten Hanteln blicke, die ich als VR-Besuch ja nicht mal anfassen darf. Was in Ehrensteins Videos zwischen dem Yoga gesagt wird, irritiert durch blanke Ignoranz, aber erst, wenn man sich ein bisschen Zeit für sie nimmt, nicht nur Rauschen wahrnimmt. Aber wenn ich die Kunst ohnehin schon gekauft habe, warum sollte ich ihr dann auch noch zuhören müssen? 

Für den dritten VR-Raum haben vom Ende und Kölbl eine Waldorfschule umgebaut und mit Bauhaus-Equipment ausgestattet: Ein Rudolf-Steiner-Porträt hängt an der Wand, ganz in der Nähe finden sich Josef Albers’ geometrische Studien. Esoterik oder Aufklärung, Stile, Denkschulen, Sekten, Revolutionen, alle trugen historisch zu weiteren Versatzstücken des Interior-Designs des sich der Geschichte entledigenden Innenlebens reicher Leistungsträger oder Erben in höherer Selbstisolation bei. Michael Riedel, Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und seit den 90er Jahren bekannt durch sich selbst zeichnende Zeichnungen, eine riesige Textproduktion, die innovative Nutzung leerstehender Gebäude und andere Formen der »Appropriation Art«, hat für diesen Raum Texturen aus Zahlen und Buchstaben kreiert, Textbilder, die als Tapete und Sofabezug herhalten müssen. 

Melancholisch macht diese Immobilie vor allem durch die Musealisierung aller ihrer Inhalte. Für die Maklerstimme ist es ein »Energietempel«. Dabei braucht’s im Metaverse nicht mal mehr eine Vitrine und einen Alarm, um die Menschen von den Dingen fernzuhalten. Aber das ist die Gefühlsebene: In einem lesenswerten Begleittext zur Ausstellungsreihe von der Kunsthistorikerin Naomi Rado wird die allmähliche Investmentwerdung digitaler Kunst anhand der Verkäufe von NFTs (non fungible tokens) und die »web 2.0-Affinität als charater trait« erläutert. Permanente Selbstdarstellung auf hohem Niveau hat nichts Spielerisches mehr an sich, sondern ist dem unvermeidlichen Zwang um Sichtbarkeit geschuldet, wenn man gegen Geld mitspielen möchte. 

Vom Endes und Kölbls Kniff, eine Ausstellung in einer Ausstellung zu bauen, die mich aus dem öden Spandau herausbefördert, wohin die meisten Restberliner Besucher recht zeitaufwendig anreisen müssen, nur um mich dann in einen sauberen Traumraum zu versetzen, wo ich Verkaufsargumenten zuhören, aber letztlich nichts berühren, benutzen, gestalten darf, sich also eine Welt außer Gebrauch aus reinem virtuellen Investmentwert auftut, ist ein ziemlich genialer Mindfuck. Übrigens, ohne dass einem von der VR-Technik schlecht oder schwindelig würde. Das konfrontiert die in der physischen Welt hilflos bebrillten Gäste mit der Endstufe der Kommerzialisierung ihrer Wünsche, sei’s von Kunst oder Leben: Was du siehst, kannst du nicht haben, denn jemand anderes will in Zukunft Geld daraus schlagen.

»Castle for Rent«, Episode 3: Ausstellungseröffnung am 3. Dezember, bis zum 18. Dezember, Projektraum Schönwalder Straße 44, 13585 Berlin. Anmeldung erforderlich unter schoenwalderstrasse44@gmail.com

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