Wenig Glas, viel Raum

Das Äußere der neuen Berliner U-Bahnzüge ist gewöhnungsbedürftig

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Innenansicht eines neuen U-Bahnzuges
Innenansicht eines neuen U-Bahnzuges

Der Durchblick ist wirklich gegeben. Kein Wald an Infomonitoren, keine wuchtigen Türsäulen, keine bis ganz oben durchgezogenen Windfänge an den Türen. Der durchgängig begehbare Vier-Wagen-Zug der neuen Baureihe JK für die U-Bahn der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ist sehr gut einsehbar. Kein Vergleich zur ebenfalls vom Hersteller Stadler in seinem Werk in Berlin-Pankow produzierten Vorgänger-Baureihe IK.

»Die Wagen wirken von innen so, als sei man in einem Zug des Großprofils«, schwärmt BVG-Sprecher Markus Falkner. Tatsächlich ist es der erste Zug der neuen Bauserie für das sogenannte Kleinprofil der Linien U1 bis U4. Dort sind die Wagen 2,40 Meter breit. Auf der U5 bis U9 sind es von Wand zu Wand 2,65 Meter. Bei den beiden Profilen unterscheiden sich unter anderem auch die Bodenhöhe und die Länge der einzelnen Wagen. Im Kleinprofil ist alles niedriger oder kürzer.

Trotzdem hatten mit Ausnahme der noch zu DDR-Zeiten produzierten Baureihe GI alle auf U1 bis U4 eingesetzten Fahrzeuge drei Türen pro Wagen. Nun sind es nur zwei Türen, allerdings besser verteilt über den Wagenkasten als bei den kantigen Zügen, die für die Ostberliner Verkehrsbetriebe produziert worden waren. Dort muss man sich durch einen langen Gang kämpfen, um bis zur Wagenmitte vorzudringen. Viel Platz ist auch links und rechts der Türen. Man kann dort selbst mit Rucksack auf dem Rücken stehen, ohne den Ein- und Ausstieg zu behindern.

Entgegen dem Trend der letzten Jahrzehnte, als immer mehr Flächen für die Unterbringung von Rollstühlen oder Fahrrädern freigeräumt wurden, gibt es zehn Prozent mehr Sitzplätze pro Vier-Wagen-Zug als bei der Vorgänger-Baureihe. 88 statt 80 stehen nun zur Verfügung. Bequemer sind sie allerdings leider nicht geworden.

Doch ein Punkt sorgt für Kritik: die Fenster. Das Fahrzeug erinnert fast ein wenig an das berühmte Yellow Submarine, das gelbe U-Boot, das die Beatles besangen. Sie reichen nicht von Tür zu Tür, stattdessen ist viel gelb lackiertes Blech statt eines durchgehenden Fensterbandes zu sehen. Stadler nennt bei dem Termin am Freitag in der Werkshalle im brandenburgischen Velten mehrere Gründe, warum es dazu kam. Einerseits mussten die Infomonitore, die nicht mehr den Durchblick versperren sollten, untergebracht werden. Sie sind nun jeweils zwischen Türen und Fenstern angeordnet. Und auch die Statik des Wagenkastens habe eine Rolle gespielt.

In der Halle lässt sich nur schwer beurteilen, wie sich der geringere Fensteranteil auf die Atmosphäre in den Fahrzeugen auswirken wird. Das Argument, dass man in der U-Bahn sowieso meist auf Tunnelwände blicke, ist nicht unbedingt ein schlagendes. Denn gerade auf den Kleinprofil-Linien U1, U2 und U3 verlaufen große Abschnitte oberirdisch, oft sogar als Hochbahn. Zu befürchten ist, dass die großen hellen Flächen im Innenraum eine attraktive Spielwiese für Edding-Künstlerinnen und -Künstler werden.

Im Frühjahr 2023 sollen die ersten Züge auf dem Netz der Berliner Verkehrsbetriebe eintreffen – einige Monate später als zunächst geplant. Zwei Vier- und zwei Zwei-Wagen-Einheiten für das Kleinprofil werden das sein. Etwa zwei bis drei Monate später soll auch das Großprofil, namentlich die U5, solch ein Startpaket erhalten: mit dem auf die dortigen Maße abgestimmten Typ J. Auf U1 bis U4 könnten die ersten Züge im Herbst 2023 in den Fahrgasteinsatz kommen. Die Serienproduktion der zunächst 376 fest bestellten Wagen soll Anfang 2023, die Auslieferung zum Jahresende beginnen. 236 Wagen davon sind für die Linien U5 bis U9 bestimmt. Vier Wagen pro Woche sind der vertraglich vereinbarte Lieferrhythmus.

»Die Verzögerungen bei den Vorserienfahrzeugen haben keinen Einfluss auf die Serienlieferung«, versichert Jure Mikolčić, der Deutschlandchef von Stadler. Grund für die Verspätungen sind die mit der Corona-Pandemie und dem russischen Angriff auf die Ukraine aufgetretenen Lieferkettenprobleme vor allem bei Halbleitern. »Es sind 42 Kilometer Kabel, ungefähr 4500 Komponenten, 184 Haltestangen, 20 168 Schrauben und 16 unterschiedliche Software-Systeme im Produkt verbaut«, erläutert Mikolčić. 90 Prozent der Produktionsstandorte befinden sich in Deutschland, Österreich oder der Schweiz.

»Stadler würde sich ein noch höheres Liefertempo wünschen«, sagt BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt. Allerdings würde das sein Unternehmen vor Kapazitätsprobleme stellen. Abstellgleise, Werkstätten, aber auch das verfügbare Personal für die Abnahme setzten hier Grenzen. Und auch die Ausbildung der Beschäftigten für den neuen Fahrzeugtyp. »Es geht um 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir schulen werden«, erläutert Erfurt, nicht nur das Fahrpersonal, sondern auch die Beschäftigten in den Werkstätten und der Leitstelle.

Fest bestellt sind 606 Wagen. Doch die nächste Tranche kann erst abgerufen werden, wenn feststeht, welcher Hersteller das neue digitale Signalsystem liefern wird, das zunächst auf U5 und U8 installiert werden soll. Dann erst liegen die genauen Spezifikationen für die in den Fahrzeugen notwendige Technik vor. Die Ausschreibung soll bald veröffentlicht werden.

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