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Mit zwei Gesichtern

Die Freie Universität muss die Akten zu Franziska Giffeys zweiter Plagiatsprüfung veröffentlichen

  • Marten Brehmer
  • Lesedauer: 5 Min.

Für Franziska Giffey (SPD) läuft gerade wenig gut: Seit dem Beschluss des Landesverfassungsgerichts, dass die Berlin-Wahl wiederholt werden muss, steht die Regierende Bürgermeisterin in Land und Bund unter Druck. Je nach Umfrage droht ihre SPD, bei der Wiederholungswahl im Februar wahlweise hinter der CDU oder den Grünen auf Platz 2 oder 3 zu landen. Den Bürgermeisterposten wäre Giffey, die in ihrer bisherigen Amtszeit ohnehin nur wenige Akzente setzen konnte, dann nach nur etwas mehr als einem Jahr wieder los. Neuer Ärger droht jetzt wegen eines Verfahrens, das Giffey wohl schon abgehakt hatte: Die Freie Universität musste jetzt auf eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz umfangreiche Unterlagen zum zweiten Verfahren um Plagiate in Giffeys Promotion öffentlich machen. Die Akten werfen kein gutes Licht auf die Politikerin – und auch die FU wirkt in dem Verfahren wenig souverän.

Bereits 2019 hatte es ein erstes Verfahren um Giffeys 2009 erschienene politikwissenschaftliche Dissertation zu einem europapolitischen Thema gegeben, das mit einer Rüge zu Ende ging. Plagiatsjäger hatten auf einem Viertel der Seiten Zitate entdeckt, für die Giffey keine oder nur eine unzureichende Quelle angegeben hatte. Nachdem die Entscheidung massiv kritisiert worden war, eröffnete die FU ein neues Verfahren, das im Juni 2021 damit endete, dass die Universität der Politikerin den Doktortitel entzog. Giffey war bereits im Mai, nachdem das Ergebnis der neuen Prüfung an die Öffentlichkeit durchgestochen worden war, von ihrem Posten als Bundesfamilienministerin zurückgetreten. Wenige Monate darauf wurde sie trotzdem zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt.

Die jetzt veröffentlichten Akten zeichnen das Verfahren im Detail nach. Giffey zeigte dabei in der Öffentlichkeit und im Verfahren zwei verschiedene Gesichter. Während sie bereits vor Beginn des eigentlichen Verfahrens im November 2020 erklärte, auf das Führen ihres Doktortitels verzichten zu wollen, dokumentiert der Schriftverkehr, dass sie im Hintergrund bis zum Schluss versuchte, den Entzug zu verhindern. Ihr Anwalt schrieb am 17. November 2020 – vier Tage nach Giffeys Erklärung –, dass es keine Rechtsgrundlage für ein erneutes Verfahren gebe. Die Entscheidung, Giffey mit einer Rüge davonkommen zu lassen, habe weiterhin Beschlusskraft und könne nicht revidiert werden. Die Rüge sei »für jeden billig und gerecht Denkenden« korrekt. Das Präsidium sei offenbar von der Öffentlichkeit und nicht von juristischen Beweggründen getrieben und die Begründung für das neue Verfahren ein »rechtsmissbräuchlicher Vorwand«.

Dieser Ton zieht sich durch die weitere Korrespondenz. Erst als das Präsidium Giffeys Anwalt mitteilte, dass es beabsichtige, seiner Mandantin den Doktortitel zu entziehen, antwortete er, dass sie die Entscheidung akzeptieren werde, um das »Prüfverfahren nun nach fast drei Jahren endgültig zu einem Abschluss« zu bringen, und dass sie »nicht beabsichtigte« Fehler bereue. Der Abschlussbericht des vom Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften eingesetzten Prüfgremiums hatte zuvor dem Präsidium empfohlen, Giffey den Doktortitel zu entziehen, da eine »mindestens bedingt vorsätzliche Täuschung erheblichen Ausmaßes« vorliege. Die Professoren warnten, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in wissenschaftliche Standards gefährdet sei, falls der Titel nicht entzogen werden sollte.

Vor allem ein Detail der Korrespondenz ist pikant: Im Dezember 2020 beantragte Giffeys Anwalt: »Alle Verlautbarungen (z.B. Pressemitteilungen u.ä.) der FU Berlin in Bezug auf unsere Mandantin müssen uns rechtzeitig und vorab zur Kenntnis gegeben werden, damit unsere Mandantin reagieren kann.« Eine solche Forderung ist in der Pressearbeit mehr als ungewöhnlich – und doch antwortete FU-Präsident Günter M. Ziegler kurz darauf, dass dies möglich sei. In einer späteren Mitteilung betonte er: »Ihrer Mandantin gegenüber gilt selbstverständlich ein anderer Maßstab als gegenüber der Öffentlichkeit.« In der Tat erhielt Giffeys Anwalt daraufhin mindestens zwei Pressemitteilungen der FU vorab. Ironischerweise beschwerte sich Giffeys Anwalt kurz darauf trotz dieses ungewöhnlich privilegierten Zugangs, dass das Verfahren für seine Mandantin intransparent sei.

Auch an anderen Stellen erscheint die FU überfordert. Bereits vor Beginn des Verfahrens wendete sich der Vorsitzende des Gremiums, das das erste Aberkennungsverfahren um Giffeys Dissertation durchgeführt hatte, mit einem Brief an das Präsidium. »Die öffentliche Darstellung der Ergebnisse der Kommissionsarbeit durch die Hochschulleitung der FU war für uns im höchsten Maße irritierend und die interne Kommunikation mit der Kommission ungenügend«, heißt es hier. Besonders störte, dass die Namen der Gremiumsmitglieder öffentlich wurden.

Dieses erste Gremium war in die Kritik geraten, weil ein Großteil der Mitglieder eng mit Giffeys Doktormutter Tanja Börzel verbunden war. Um den Eindruck von Befangenheit zu vermeiden, fasste der Promotionsauschuss des Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaften im November 2020 den Beschluss, dass Börzel mit »keiner der Causa Giffey betreffenden Fragestellung, Beschlussfassung oder anderen Angelegenheit« befasst sein soll. Börzel stimmte diesem Beschluss in einem Schreiben daraufhin »selbstverständlich« zu. Auch im zweiten Verfahren erklärte sich einer der beteiligten Professoren für befangen, die Begründung wurde geschwärzt.

»Dass Franziska Giffey weiter versucht hat, die Aberkennung ihres Titels zu verhindern, ist unglaubwürdig, aber auch das, was man von ihr erwartet«, sagt Janik Besendorf, der als AStA-Referent an der FU die Anfrage auf Freigabe der Akten gemeinsam mit dem Informationsfreiheitsportal »Frag den Staat« gestellt hatte, zu »nd«. »Schon im ersten Verfahren hatte sie mit zweifelhaften Argumenten versucht, das Unvermeidliche zu verhindern, obwohl das Plagiat offensichtlich war.« Es sei richtig, dass sie über Verfahrensergebnisse vorab informiert worden sei, »aber dafür, dass sie Pressemitteilungen im Vorfeld erhält, gab es keinen Anlass«, sagt er. Die FU-Gremien seien so übergangen worden.

Obwohl das Verfahren um Giffeys Promotion formal abgeschlossen ist, könnte die Diskussion jetzt neu aufflammen. In jedem Fall bleibt wohl der Nachgeschmack, dass die FU mit ihrem Plagiatsfall anders umging als mit anderen.

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