Herzenssache Doktor

Plagiatsdebatte hin oder her: Für das Amt der Regierungschefin in Berlin reicht’s, findet Franziska Giffey

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Nun also doch: Franziska Giffey tritt als Bundesfamilienministerin zurück. In einer am Mittwoch verbreiteten persönlichen Erklärung der SPD-Politikerin heißt es, sie ziehe damit »die Konsequenzen aus dem andauernden und belastenden Verfahren« um ihren Doktortitel. Wie berichtet, soll die Freie Universität Berlin (FU) in einem aktuell laufenden Prüfverfahren zu dem Schluss gekommen sein, Giffeys 2010 eingereichte Dissertation sei derart mängel- und plagiatsbehaftet, dass man ihr den Doktortitel entziehen solle. Die Ministerin selbst hatte 2019 vollmundig im Zuge einer vorangegangenen Prüfung ihrer Arbeit erklärt, in diesem Fall ihr Amt zur Verfügung zu stellen.

Damals war sie trotz der zahlreichen Plagiate mit einer Rüge davongekommen, die im Nachgang schwer kritisiert wurde, weshalb das Verfahren nun noch einmal aufgerollt wurde. Trotzdem ist ihr jetzt verkündeter Rückzug aus zweierlei Gründen überraschend. Zum einen wollte Giffey noch vor einer Woche von entsprechenden Rücktrittsforderungen nichts wissen und parierte diese mit dem Satz, der »Drops« sei »gelutscht«. Zum anderen hat das Anfang des Jahres einberufene Prüfgremium der FU zwar inzwischen sein offenkundig wenig vorteilhaftes Gutachten zu der Doktorarbeit fertiggestellt. Gleichwohl ist das Prüfverfahren der Universität damit noch nicht abgeschlossen. Bis Anfang Juni hat Giffey Zeit für eine Stellungnahme. »Erst im Anschluss trifft das Präsidium eine Entscheidung«, so FU-Sprecher Goran Krstin zu »nd«.

Giffey wiederholte am Mittwoch, dass sie ihre Arbeit seinerzeit »nach bestem Wissen und Gewissen« geschrieben habe, und garnierte ihre Aussage mit Grüßen an ihre Doktormutter. Immerhin habe »eine Professur im Fachbereich Politikwissenschaft der Freien Universität« die Dissertation wissenschaftlich begleitet. Sollte die FU nun trotzdem »zu dem Ergebnis kommen, mir den Titel abzuerkennen, werde ich diese Entscheidung akzeptieren«, so Giffey. Was ihr nicht allzu schwer fallen sollte, da sie seit Ende vergangenen Jahres ohnehin darauf verzichtet, den Doktortitel öffentlich zu führen.

Nun ist - oder war - die 43-Jährige aber nicht nur Ministerin, sondern zugleich auch Berliner SPD-Landeschefin, vor allem aber will sie nach den Abgeordnetenhauswahlen im September als Regierende Bürgermeisterin ins Rote Rathaus einziehen. An der Kandidatur zur Berliner Abgeordnetenhauswahl will sie dann auch ohne Ministerinnenamt festhalten. »Als Berlinerin konzentriere ich mich jetzt mit all meiner Kraft auf meine Herzenssache: Ganz sicher Berlin«, erklärte sie. Die SPD hat sie dabei hinter sich. Auch Co-Landesparteichef Raed Saleh sprach - wenig innovativ in der Wortwahl - von Giffeys »Herzenssache Berlin«, in die sie nun ihre »ganze Kraft« investieren werde.

Also Schwamm drüber? Die in der Hauptstadt zusammen mit der SPD und den Grünen regierende Linkspartei sieht das anders. Berlins Linksfraktionschef Carsten Schatz befürchtet gegenüber »nd«, »dass die Giffey-Debatte nun den Wahlkampf überschatten und so von den eigentlichen Problemen ablenken könnte«. Schatz verweist in diesem Zusammenhang vor allem auf die ablehnende Haltung Giffeys zum Mietendeckel - wie überhaupt die offenkundige Nähe zu Positionen der konservativen Opposition.

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Die CDU, die den Deckel vor dem Bundesverfassungsgesetz mit zu Fall gebracht hatte, gibt sich dementsprechend gnädig, was den Rücktritt der Ministerin betrifft. »Das ist ein konsequenter Schritt«, erklärt Stefan Evers, Generalsekretär der Hauptstadt-CDU. »Es ist klar, dass man nach einem Vorgang wie dem absehbaren Entzug des Doktortitels ein bedeutendes politisches Spitzenamt wie das der Bundesfamilienministerin nicht einfach weiter bekleiden kann. Politiker haben eine Vorbildfunktion«, so Evers weiter.

Nun stellt sich nach dieser Logik die Frage, was dann das Amt der Regierenden Bürgermeisterin sei, findet Linke-Politiker Carsten Schatz. Ein unbedeutendes Spitzenamt? Mit Blick auf die Wertschätzung gegenüber den Wählern werfe das Festhalten an Giffeys Kandidatur jedenfalls auch ein trübes Licht auf die SPD. Es sei mehr als verwunderlich, dass jemand, »der gerade erst im Bund zurückgetreten ist, in Berlin einfach mal so das nächste Amt anstrebt«, sagt Schatz zu »nd«.

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