Wie spät? Weiß der Kuckuck!

Auf den Spuren der Schwarzwälder Uhrengeschichte

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 7 Min.
Christophe Herr stellt Kuckucksuhren in reiner Handarbeit her.
Christophe Herr stellt Kuckucksuhren in reiner Handarbeit her.

Der älteste Sohn hatte das große Los gezogen. Er erbte den Hof. Die Töchter wurden verheiratet. Und welche Zukunft hatten die anderen Söhne? Sie verdingten sich als Knechte, suchten ihr Heil in der Ferne, und mit etwas Glück bauten sie sich ein eigenes Gewerbe auf. Doch im Schwarzwald war Schmalhans immer Küchenmeister. Niemand, nicht einmal die Hoferben konnten vor ihm sicher sein. Oftmals fiel die Ernte schlecht aus und die Winter waren hart. Es herrschte große Not. Doch sie war es wohl auch, die die Kreativität aus den Menschen in der abgeschiedenen Region »herauskitzelte«. Dabei setzten sie auf das, wovon ihnen die Natur am meisten bot: Holz. An langen Winterabenden saßen die Familien zusammen, schnitzten Figuren und Haushaltsgegenstände, die anderswo verkauft wurden.

Infos
  • Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen:
    www.deutsches-uhrenmuseum.de
  • Christophe Herr:
    www.schwarzwalduhr.de
  • Allgemeine touristische Infos:
    www.hochschwarzwald.de
  • Tipp: Der Kuckucksuhren-Workshop ist im Deutschen Uhrenmuseum Furtwangen auf Vorbestellung für Gruppen ab zehn Personen über dessen Website buchbar, soll aber künftig auch an festen Terminen für Einzelpersonen ab 16 Jahren möglich sein. Er kostet 40 Euro und beinhaltet neben Material und Anleitung auch eine Führung durch das Museum.

    Warum unter ihren geschickten Händen ab dem 17. Jahrhundert auch die ersten Kuckucksuhren entstanden, ist nicht überliefert. Aber die Menschen im Schwarzwald waren alles andere als »Hinterwäldler«. Ganz im Gegenteil: Sie schafften es, funktionierende Uhrwerke komplett aus Holz zu bauten und es sogar zum Leben zu erwecken. Denn die Uhren zeigten nicht nur an, was die Stunde geschlagen hat, sondern ein Kuckuck machte sie sogar hörbar. Uhren gab es zwar schon lange vorher, doch waren die mechanischen Holzuhrwerke viel billiger als Uhrwerke aus Metall. Deshalb wohl verbreitete sich die preiswerte Kuckucksuhr schnell weltweit.

    Den Ruhm jedoch, die Kuckucksuhr erfunden zu haben, können die Schwarzwälder nicht für sich verbuchen. Wenngleich bis heute ungeklärt ist, wo deren Ursprünge liegen. Bereits 1619 besaß Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen eine Uhr mit einem Kuckucksschrei. Vier Jahre zuvor hatte der französische Mechaniker Salomon de Caus beschrieben, wie der Ruf des Vogels durch zwei Pfeifen mechanisch nachgeahmt werden kann. 1669 schlug der Italiener Domenico Martinelli in seinem Buch »Horologi Elementari« vor, den Kuckucksruf für die Anzeige der Stunden zu verwenden.

    Eines aber ist unbestritten: Berühmtheit erlangte die Kuckucksuhr durch die Tüftler aus dem Schwarzwald. Obwohl man auch dort nicht genau weiß, wer die erste baute. Denn hier widersprechen sich die beiden ersten Geschichtsschreiber über die Schwarzwälder Uhrmacherei: Markus Fidelis Jäck behauptete 1810, dass Franz Anton Ketterer aus Schönwald um 1730 die ersten Kuckucksuhren gefertigt habe. Franz Steyrer hingegen schreibt in seiner 1796 erschienenen »Geschichte der Schwarzwälder Uhrmacherkunst«, Matthäus Hummel und Michael Dilger aus Neukirch seien 1742 die ersten gewesen. Sei’s drum! Fest steht: Die Kuckucksuhr gilt heute wie der Bollenhut und die berühmte Kirschtorte als ein Symbol des Schwarzwaldes.

    Sie nimmt selbstverständlich auch einen besonderen Platz im Deutschen Uhrenmuseum Furtwangen ein, das eine der größten Sammlungen der Welt besitzt. Kaum betritt man das Haus, »stolpert« man bereits über ein ganz spezielles Exemplar. Wenngleich der riesige metallene Vogel noch jung an Jahren ist, so hat er sich schnell zu einem besonderen Anziehungspunkt gemausert: Nicht nur, weil er – anders als die meisten seiner hölzernen Geschwister – viertelstündlich lauthals seinen Schnabel aufreißt, sondern weil er zur Landesgartenschau 2010 in Villingen-Schwennigen, wo er im Dach eines historischen Bahnwärterhäuschens von 1869 sein Domizil hatte, schnell zum Publikumsliebling und zum wohl meistfotografierten Star der Laga wurde.

    Vor zwei Jahren zog er ins Museum um, dessen Anfänge 170 Jahre zurückreichen. Alles begann 1852, als Robert Gerwig, Direktor der Großherzoglichen Badischen Uhrmacherschule in Furtwangen dazu aufrief, »bei der Uhrmacherschule eine Sammlung von Schwarzwälderuhren anzulegen«. Im Laufe der Jahre kamen auch andere Zeitmesser hinzu. Heute sind im Besitz des Museums mehr als 8000 verschiedene Exemplare aus allen Epochen, rund 1200 davon werden ausgestellt. Die älteste Uhr der Sammlung stammt aus dem Schwarzwald und wurde um 1790 von Johannes Wildi aus Eisenbach gebaut – eine Kuckucksuhr ganz aus Holz, jedoch noch ohne die bekannten üppigen Schnitzereien. Ein Papierschild mit Rokokomustern ziert das Ziffernblatt.

    Selbstverständlich findet man im Museum auch die »Mutter« aller Kuckucksuhren, so wie man sie sich heute vorstellt. Auch sie ist einer Initiative Robert Gerwigs zu verdanken. Im September 1850 hatte er zu einem Wettbewerb für ein zeitgemäßes Uhrendesign aufgerufen. Den Siegerentwurf reichte Friedrich Eisenlohr ein, der als Architekt für die meisten Bauten entlang der badischen Staatseisenbahn verantwortlich war. Eisenlohr versah die Fassade eines Bahnwärterhäuschens mit einem Ziffernblatt. »Alles, was mit Bahnhöfen zu tun hat, galt zu der Zeit als sichtbares Zeichen der modernen Zeit«, erzählt Eva Renz, die als Kunsthistorikerin im Deutschen Uhrenmuseum arbeitet. Und sie bringt auch gleich noch Licht ins Dunkel des viel verwendeten Spruchs »Ich verstehe nur Bahnhof«. »Das bedeutet nichts anderes, als dass man mit der modernen Zeit nicht zurechtkommt«, erklärt sie.

    Ein paar Jahre nach Eisenlohrs noch streng grafischem Siegerdesign brachte Johann Baptist Beha aus Eisenberg erstmals reich verzierte Kuckucksuhren mit geschnitzten Beinzeigern und Gewichten in Form von Tannenzapfen auf den Markt. Seitdem ist die »Bahnhäusleuhr« mit üppigen Pflanzen- und Tierschnitzereien im In- und Ausland der Inbegriff einer Schwarzwälder Kuckucksuhr.

    Doch der Lauf der Zeit macht auch vor ihr nicht halt. Ein besonderes Exemplar ist die 2013 von der Amsterdamer Woll-Designerin Anne-Claire Petit entworfene kuschelige Kuckucksuhr, die nach ihren Vorgaben von fair bezahlten Frauen in Asien umhäkelt wird und vor allem bei Käufern mit extravagantem Geschmack in New York, Paris oder Tokio heißbegehrt ist. Es geht aber auch etwas weniger plüschig. Bei der Firma Rombach & Haas in Schonach beispielsweise. 2005 begann man dort, die traditionelle Kuckucksuhr »zu entstauben« und poppiger, zeitgenössischer zu interpretieren. Statt auf reich geschnitzte Bahnwärterhäuschen setzt sie auf schlichte Gehäuse in Form von Quadern, Kuben oder Pyramiden und zum Teil auf kräftige Farben. Mag sein, dass sich bei deren Anblick bei dem einen oder anderen Traditionalisten die Nackenhaare vor Entsetzen sträuben, doch fanden so, dank unerschrockener Revolutionäre wie Conny und Ingolf Haas, Kuckucksuhren auch den Weg in die Wohnzimmer von jungen Leuten.

    Bei Christophe Herr aus Schonach sucht man moderne Kuckucksuhren vergeblich. Er setzt streng auf die Tradition der Vorfahren. Mit einer einzigen Ausnahme, der Glööckler-Uhr. Der 43-Jährige erinnert sich noch genau an den Tag im Sommer 2020, als das Telefon klingelte und sich der Anrufer als der Modeschöpfer Harald Glööckler vorstellte. Er habe letzte Nacht davon geträumt, Kuckucksuhren zu designen, erklärte das schrille »Gesamtkunstwerk«. Nach dem ersten Schreck war Herrs Neugier geweckt, man traf sich, Glööckler zeigte dem Uhrenbauer erste Skizzen und erklärte ihm, was er genau wolle: Eine Schwarzwälder Kuckucksuhr mit einem Hauch von Barock im Rokokostil – schlicht und einfach eine »pompööse« Kreation. Und genau so wurde sie: Das Ziffernblatt ist von einem verschnörklelten goldenen Rahmen umgeben, da, wo klassische Kuckucksuhren ein Dach haben, thront eine riesige goldene Krone und sogar der Kuckuck trägt ein goldenes Krönchen. Man kann sie kitschig oder schön finden, ein Hingucker ist sie auf jeden Fall. Und wer es mag, kann sie bei Christophe Herr auch bestellen.

    Allerdings muss man sich auf ein paar Monate Wartezeit einstellen: Denn ob pompös oder klassisch – jede Uhr ist bei Christophe Herr ein Unikat und jedes noch so winzige Teil fertigt er von Hand. Sogar die Bäume, aus deren Holz Jahre später Uhren entstehen, sucht er selbst im Wald aus. Genauso wie Valentin Herr, der 1868 das heute älteste Familienunternehmen von Kuckucksuhren im Schwarzwald gründete und es an seine Nachfahren weitergab, die die Traditionen wahren. Christophe Herr kann sich über mangelnde Aufträge nicht beschweren, Kunden aus aller Welt rennen ihm die Tür ein. Gerade arbeitet er für einen Uhrensammler aus den USA sein Gesellenstück nach – eine riesige traditionelle Kuckucksuhr mit aufwendigen Schnitzereien.

    Übrigens: Wer will, kann sich auch selbst eine Kuckucksuhr bauen. Nicht bei Christophe Herr, aber im Deutschen Uhrenmuseum in Furtwangen. Außer einem bisschen Kreativität braucht’s nicht viel dazu: ein Kuckucksuhrhäuschen aus Naturholz, Farben, Pinsel, Ziffernblatt, winzige Zeiger, ein Pendel, eine Zapfenkette, Werkzeug und natürlich das Herzstück der Uhr, die Mechanik. Drei bis vier Stunden hat man Zeit, aus all diesen Einzelteilen eine funktionierende Kuckucksuhr zu basteln. Ganz nach Gusto gestaltet man das Häuschen – Puristen überziehen es nur mit farblosem Lack, andere malen es quietschbunt an. Wenn alles getrocknet ist, wird unter fachkundiger Anleitung das Uhrwerk montiert – fertig ist das Unikat. Sollte Ihnen zu Hause der Kuckuck mit seinem stündlichen Geschrei irgendwann auf den Geist gehen, so kann man ihm ganz einfach den »Hals abdrehen« und auf ein Spielwerk mit einem Dutzend Melodien umstellen. Zum Kuckuck noch mal – was für eine geniale Erfindung!

    Die Recherche wurde unterstützt durch die Hochschwarzwald Tourismus GmbH und die Agentur RSPS Tübingen.

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