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Auf rohen Eiern gehen

Das Abweichen von Geschlechternormen kann in Georgien lebensgefährlich werden. Dennoch eröffnete im April mit der Galerie Fungus in Tblissi ein neuer Ort für queere Kunst

  • Norma Schneider
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Innenseiten der Schrank-Installation »Welcome to the closet« von Tekla Tevdorashvili
Die Innenseiten der Schrank-Installation »Welcome to the closet« von Tekla Tevdorashvili

Ein Kollektiv aus queeren Künstler*innen hat einen besonderen Ort in Georgiens Hauptstadt Tbilissi geschaffen: Die Galerie Fungus. Sie ist ein sogenannter Safe Space (Schutzraum) und Ort des Austauschs für Menschen aus der queeren und der linken Szene. Solche Räume gibt es in Georgien nur sehr wenige. Homo- und Transphobie sind weitverbreitet und Sichtbarkeit ist für die queere Gemeinschaft mit Gefahren verbunden. Die Angriffe auf die Pride Parade in Tbilissi im Jahr 2013, als Tausende nationalistische und orthodoxe Demonstranten auf eine kleine Gruppe von LGBTQ-Aktivist*innen losgingen und in den Medien der Hass auf queere Menschen geschürt wurde, hängen noch immer als Trauma über der Community. Und der Hass dauert an.

Umso wichtiger sind geschützte Räume, in denen queere Menschen gefahrlos sie selbst sein können. In Tbilisi ist das vor allem in Bars und Clubs wie dem legendären Techno-Club Bassiani möglich. Und bei Fungus. Die Galerie befindet sich nicht weit vom Stadtzentrum entfernt in einer ruhigen Seitenstraße zwischen Wohnhäusern und kleinen Lebensmittelläden. Die Ausstellungsräume sind im Erdgeschoss untergebracht und eine große Fensterfront lässt Passant*innen einen Blick auf die Kunstwerke werfen. In einem der Büroräume im Obergeschoss erzählt der Künstler und Aktivist David Apakidze, wie das Projekt entstanden ist: »Als die Pandemie losging und die Clubs und Bars schlossen, hatten queere Menschen plötzlich keine Orte mehr, an denen sie sich ausdrücken können, also dachten wir, es wäre schön, ihnen eine Plattform zu bieten.«

Zu Beginn gab es Fungus ausschließlich online, dann organisierte das Kollektiv Ausstellungen an verschiedenen Orten. Im April 2022 wurde dann die Galerie eröffnet. Sie ist queeren Künstler*innen gewidmet, aber nicht auf queere Themen beschränkt, denn »die Probleme von Queers existieren nicht getrennt von anderen Themen«, sagt Apakidze. Er erklärt, dass sich Fungus als politisches Projekt versteht, »denn wenn du queer bist, ist alles, was du tust, politisch«. In der Kunst, die in der Galerie gezeigt wird, geht es deshalb nie bloß darum, »Gefühle auszudrücken«. Apakidze sieht die Galerie und ihre Künstler*innen, die für Irritationen in der Wahrnehmung sorgt, als Teil der Gegenkultur. »Wie Pilze zeigen wir uns nicht oft an der Oberfläche, sondern gedeihen im Untergrund und verursachen Rauschzustände«, heißt es im Manifest des Fungus-Kollektivs. Fungus – die Galerie genauso wie die Pilze, von denen sich der Name ableitet – »das ist etwas sehr Kleines, aber wenn es zu wachsen anfängt, kann es sich überall hin ausbreiten«, sagt Apakidze.

Es geht dem Kollektiv nicht darum, größtmögliche Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu erreichen. Stattdessen wollen sie sich auf kleine Veränderungen konzentrieren. Zum Beispiel darauf, die Menschen, die in der Umgebung wohnen, in die Galerie zu bringen. »Es ist schon ein großes Ziel, bei nur zehn Leuten aus der Nachbarschaft etwas zu verändern, denn diese Leute haben Kinder und Familien. Zehn Kinder, die nicht homophob erzogen werden, das ist schon etwas. Kleine Veränderungen sind in Wirklichkeit große Veränderungen.«

Apakidze kritisiert den Fokus der queeren Community auf Sichtbarkeit und die jährlich wiederkehrenden Versuche, trotz drohender Angriffe von rechten Aktivisten eine Pride-Parade in Tbilissi zu veranstalten. »Das funktioniert in Georgien nicht. Sichtbarkeit hat hier einen hohen Preis. Ich wurde zum ersten Mal in meinem Leben schikaniert, als diese Politik der Sichtbarkeit begann, als sie im Fernsehen und im Internet auftauchte, als die Tbilisi Pride stattfand, das war das erste Mal, dass ich wirklich dachte, jemand könnte mich umbringen, das erste Mal, dass ich meine Wohnung wechseln musste.« Sichtbarkeit ist nicht das Hauptproblem für queere Menschen in Georgien, sagt Apakidze, und es ist auch nicht das Ziel der Fungus-Galerie, diese Art von Sichtbarkeit zu schaffen.

Stattdessen gibt sie queeren Künstler*innen Raum, sich zu entfalten und ihre Werke zu präsentieren, ohne die Aufmerksamkeit rechtsradikaler Gruppen zu erregen. Aktuell ist der Boden der Galerie mit Gras ausgelegt, an den Wänden und auf dem Grasteppich sind verschiedene Bilder und Objekte der jungen Künstler*in Lasha Kabanashvili zu sehen. Die Ausstellung »Tragedy of Heromachine« setzt sich mit medialen Heldendarstellungen und Geschlechterbildern auseinander. Eines von Kabanashvilis Werken verwendet mittels Künstlicher Intelligenz (KI) geschaffene Bilder, die stereotype Darstellungen von männlich und weiblich reproduzieren. Die KI wird mit bereits vorhandenen Bildern gefüttert und funktioniert so als eine Art »Bewahrer der Kultur«, erklärt Kabanashvili. So wird sichtbar, wie tief das binäre Prinzip in der Gesellschaft verwurzelt ist. Die Künstler*in versteht ihre Kunst dagegen als Versuch, eine nichtbinäre Sprache zu schaffen.

Fungus ist nicht der einzige Ort in Tbilissi, an dem queere Künstler*innen ihre Werke zeigen können. So wurde etwa vor drei Jahren die Untitled Gallery eröffnet. Die Ausstellungen und anderen Veranstaltungen befassen sich vor allem mit Menschenrechtsfragen, viele der dort gezeigten Arbeiten beinhalten queere Thematiken. Anders als Fungus befindet sich die Galerie weit abseits des Zentrums, im Stadtteil Isani. Kurator Giorgi Kikoria erzählt, dass sie versuchen, nicht nur das immer gleiche Publikum aus Kulturinteressierten und Mitgliedern der queeren Szene anzusprechen. Stattdessen gehen sie aktiv auf die Nachbarschaft zu. »Wenn man nicht mit den Menschen vor Ort interagiert, gibt es keinen Grund, dort zu sein«, sagt Kikoria. Vergleichbare Räume, wo man kulturelle Veranstaltungen besuchen kann, gibt es in der Umgebung so gut wie keine. Deswegen zögerten die Anwohner*innen manchmal und fragen vorsichtig nach, ob sie reinkommen dürfen, weil sie nicht sicher sind, ob die Veranstaltung für sie gedacht ist, erzählt Kikoria. Trotz dieses offenen Konzeptes achtet die Untitled Gallery darauf, nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen und so rechten Angriffen vorzubeugen. Bei einer Ausstellung mit Fotografien queerer Körper haben die Betreiber*innen der Galerie deshalb sicherheitshalber die Fenster zugeklebt.

Dass Kunst, die offen queere Themen behandelt, in Georgien alles andere als akzeptiert ist, davon weiß auch die Aktivistin und Künstlerin Tekla Tevdorashvili zu berichten. Sie zeigte ihre Installation »Welcome to the closet« im Mai 2021 in einem öffentlichen Park. Die Installation bestand aus einem großen bunt bemalten Schrank. »Die Leute konnten reingehen und einer Stimme zuhören, die davon erzählt, wie queere Menschen sich fühlen, wenn sie ihre Identität verbergen oder wenn sie sich zu outen«, erzählt Tevdorashvili. Innen war der Schrank weiß – eine Einladung für die Besucher*innen, ihre eigenen Geschichten aufzuschreiben oder zu zeichnen. Mit der Installation wollte Tevdorashvili nicht nur die queere Gemeinschaft ansprechen, sondern auch nicht-queere Menschen, damit diese »ein Gefühl dafür bekommen, damit ihr Bewusstsein für dieses Thema geschärft wird«. Doch die Installation blieb nur für kurze Zeit im Park, bevor sie von Rechtsradikalen angegriffen und zerstört wurde.

Queere Kunst in Georgien zu machen und vor allem sie zu zeigen, ist »wie auf rohen Eiern zu gehen«, sagt Tevdorashvili. Um das Risiko von Angriffen zu minimieren, ist es notwendig, sich vorsichtig auszudrücken. Eine zu direkte öffentliche Ankündigung kann kontraproduktiv sein. »Ich denke nicht, dass man etwas verstecken sollte«, erklärt die Künstlerin. »Aber wenn man es ein bisschen anders ausdrückt, kann man tatsächlich mehr erreichen, als wenn man deutlich sagt: das ist queere Kunst.« Weniger direkt zu sein, kann verhindern, dass rechte Gruppen gegen eine Ausstellung oder Veranstaltung mobilisieren.

Dieser Spagat zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit ist anstrengend und ein baldiges Abflauen der von der Regierung befeuerten homophoben Stimmung in der Gesellschaft ist nicht in Sicht. Dazu kommt, dass viele queere Künstler*innen mit Marginalisierung und Prekarisierung zu kämpfen haben. Die große Zahl zugezogener Russ*innen seit dem 24. Februar hat eine angespannte Lage in Tbilisi entstehen lassen: Die Mieten und Lebenshaltungskosten sind stark gestiegen, was auch Orte queerer Kultur trifft. Dennoch ist etwas in Bewegung geraten. Tekla Tevdorashvili ist sich sicher, dass es trotz der Risiken sehr wichtig ist, queere Kunst zu machen und zu zeigen. »Das empowert die queere Community und gibt ihr die Möglichkeit, sich zu zeigen, was ihr für so lange Zeit verwehrt wurde.«

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