• Berlin
  • Statistik Brandenburg

Nie wieder Fragebögen

Zeitenwende für das Statistikamt durch Vernetzung mit anderen Behörden

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die Zukunft hat bereits begonnen«, freute sich Dorette Jenkel vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Wenn im Jahr 2031 der nächste Bevölkerungszensus fällig ist, wird der einzelne Bürger davon praktisch nichts mehr mitbekommen. »Nie wieder Fragebögen«, schwärmte Jenkel.

Davor allerdings müsste eine äußerst schwerwiegende Neufassung des Datenschutzrechts stehen. Das würde den Statistikern Abfragen bei Behörden eröffnen, die heute noch nicht erlaubt sind. Es geht um sogenannte Lebenszeichen. Dabei würden Melderegisterdaten mit Daten aus Vergleichsregistern abgeglichen, um zu sehen, ob der betreffende Mensch überhaupt existiert beziehungsweise noch in dem Ort wohnt, in dem er gemeldet ist. Vergleichsregister sind die Rentenversicherung, das Finanzamt, die Arbeitsagentur, das Kraftfahrt-Bundesamt, die gesetzliche Unfallversicherung, das Ausländerzentralregister und die Familienkasse, die das Kindergeld auszahlt. Das sind alles Stellen, zu deren Daten die Statistikämter bislang keinen Zugang haben. Der Datenschutz bliebe insofern gewahrt, dass Informationen nicht einem bestimmten Namen zuzuordnen sein sollen.

Wird auf diesem Wege nicht der gläserne Mensch eingeführt? Statistikamtschef Jörg Fidorra sagte dazu: »Der Mensch wird nicht individuell gläsern, aber die Gesellschaft wird es.« Laut Zensus-Projektleiterin Kersten Klemm gestattet die Auswertung der Zensus-Ergebnisse den bundesweiten Vergleich zwischen Gemeinden, den Vergleich der Miethöhe und des Wohnungsleerstands und gebe auch Antwort auf die Frage, womit geheizt wird.

Es genüge nicht, die Meldeämter anzufragen, um die Einwohnerzahl zu ermitteln, unterstrich Fidorra. Schließlich habe sich vor zehn Jahren herausgestellt, dass in Berlin rund 300 000 Menschen weniger wohnen, als die Meldeämter geglaubt hatten. Nur beim Versenden von Wahlunterlagen sei bisher herauszubekommen gewesen, wer weggezogen ist, ohne sich abzumelden, so Fidorra. Wenn die Unterlagen mit dem Vermerk »nicht zustellbar« zurückkamen, hatten die Meldeämter einen Hinweis darauf und konnten Korrekturen vornehmen.

Fidorra und seine Mitarbeiterinnen präsentierten am Freitag eine Zwischenbewertung des Zensus 2022. Daten wurden durch stichprobenartiges Befragen von Berlinern und Brandenburgern erhoben. Dabei kam auch heraus: »Es gibt zusammen etwa 1000 Reichsbürger in beiden Bundesländern.« Dies ließ sich aus Rückläufen mit einschlägigen Äußerungen ermitteln. Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik und ihre Behörden nicht an. »Die melden sich auf jeden Fall immer, weil die sich provoziert fühlen und mit uns nichts zu tun haben wollen«, erläuterte Fidorra. Das Porto spielt dabei keine Rolle. Obwohl die Reichsbürger auch die Justiz nicht respektieren, stellen sie dennoch Strafanzeigen. Im Falle von Fidorra haben sie veranlasst, dass er in ein US-Strafregister eingetragen wurde. Daraus ist er aber inzwischen wieder gelöscht.

Die bislang letzte große Bevölkerungsbefragung, der Zensus 2022, ist weitgehend abgeschlossen worden. Stichprobenartig und anonymisiert wurden Lebensbedingungen erfasst und Gebäude sowie Wohnungen gezählt. Das ist eine sehr aufwendige Angelegenheit. Die gleichzeitige Abfrage im Vorfeld der Grundsteuerreform kam laut Fidorra unglücklicherweise noch hinzu. Denn nicht wenige reagierten dann mit Bemerkungen wie: »Das habe ich gerade ans Finanzamt gemeldet, das könnt ihr euch dort holen.« Doch bislang sind Finanzamt und Statistikamt nicht miteinander vernetzt.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.