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Mit Beckett zur Freiheit

Unabsurdes Theater: Die rührende, dabei nicht einfältige französische Filmkomödie »Ein Triumph«

  • Stefan Gärtner
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Schauspieler Etienne (Kad Merad) probt mit Knackis »Warten auf Godot«.
Der Schauspieler Etienne (Kad Merad) probt mit Knackis »Warten auf Godot«.

Schön, wenn Filme gleich mit einem Moment der Irritation beginnen, denn: »Nach einer wahren Begebenheit«, kann das sein? Wie oft hat man das im Kino schon gesehen: sogenannte Problemfälle, die in einer Theatergruppe lernen, dass es mehr gibt als fluchen, kiffen und verzweifeln? In der Komödie »Lucky Break« (2001) von Peter Cattaneo drapierte die Aufführung einen Fluchtplan; in »Mr. Bill« (1994) spielte Danny DeVito einen geschassten Werber, den das Arbeitsamt zur Armee schickt, auf dass er schwierige, weil völlig bildungsferne Rekruten in Shakespeare unterrichte. Komik ist, wenn Welten zusammenstoßen, und als der verkrachte, alternde Schauspieler Etienne (Kad Merad) in »Ein Triumph« mit fünf Knackis »Warten auf Godot« probt und Wladimir Estragon umarmen soll, sagt einer natürlich: »Ich spiel keinen Schwulen.«

Damit könnte es sein komödiantisches Bewenden haben, und dass es das nicht hat, liegt nicht an der Information, die Geschichte der Gefangenen, die mit »En attendant Godot« nicht nur auftreten, sondern sogar auf Tournee gehen, habe sich in Schweden wirklich zugetragen, inklusive der doppelten (oder sogar dreifachen) Pointe, die hier nicht verraten werden kann. Der Clou ist nicht, dass die vom Rande auf der Bühne ihr besseres Selbst erkennen, denn das wäre ja nun der erwähnte alte Hut; der Clou ist nicht einmal, dass Bildung hier wirklich Klassenunterschiede beseitigt. Der Clou ist, dass das Theater sein besseres Selbst erkennt, falls es denn stimmt, dass heutiges Subventionstheater zu angestrengter Debattenbebilderung und intellektueller Onanie neige. Etienne, der Beckett verehrt und in besseren Zeiten »Godot« gespielt hat, hat seinen Heureka-Moment, als ihm aufgeht, dass, wenn man schon mit Häftlingen Theater spielt, es unbedingt dieses Stück sein muss, das Strafgefangene nämlich nicht als Abstraktion nehmen werden. Sie wissen, was sie spielen, und gleichzeitig wissen sie es nicht, und so skeptisch man gegenüber jeder Feier der »Authentizität« sein darf (»Die Wahrheit ist in eurem Leben«), so einleuchtend ist Etiennes Gedanke. Weil ihnen Beckett erst mal wurscht sei, hätten sie den Profis etwas voraus, wird Etienne später sagen, und im sogenannten wirklichen Leben, in dem tatsächliche Amateure Beckett spielen, ist das vermutlich weniger überzeugend als im Film, in dem (wenn auch unbekannte) Schauspieler Amateure spielen, die Beckett spielen.

Doch in Schweden muss es funktioniert haben (der Film endet mit Beweisfotos), sogar Beckett selbst sei begeistert gewesen, und dass »Der Triumph« ein Triumph des Theaters ist, wird man nicht verneinen wollen. Nicht auszuschließen, dass ein junger Mensch hier zusieht und denkt: Das will ich auch, also nicht Filme drehen, sondern Theater machen, und das Zurückhaltende des Films wirkt da wie Respekt, angefangen bei der wohltuend dezenten, meist glücklich fehlenden Musikuntermalung. Und was an »Un triomphe« dann doch Genre sein muss, wirft einen Spot auf jene unschuldige Bühne, auf der sie merken, dass »schwul« bei Beckett keine Kategorie ist und Theaterspielen – um das Klischee zu bemühen – heißt, ums Leben selbst zu spielen: »Aber an dieser Stelle und in diesem Augenblick sind wir die Menschheit, ob es uns passt oder nicht.« Dass »Warten auf Godot« auch Metatheater ist, wird in dem Maße deutlich, in dem der Film aus sich kein Geheimnis macht.

Ob es Zufall oder Absicht ist, den Film eine Woche vor Weihnachten starten zu lassen, muss man nicht wissen, um sich über das seltene Ereignis eines Feelgood-Films auf Beckettscher Basis zu freuen, die rührende, Becketts stupende Verbindlichkeit herausstellende Beschwörung einer Freiheit, die ein bisschen weniger absurd ist als die, die man gemeinhin dafür hält. Dass der Film dieses Pathos sowohl bedient als auch unterläuft, wäre seine beste Idee; wenn es denn, siehe oben, seine Idee wäre.

»Ein Triumph«: Frankreich 2020. Regie: Emmanuel Courcol. Mit: Kad Merad, David Ayala, Lamine Cissokho. 106 Min. Start: 15. Dezember.

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