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Peru braucht eine Neugründung
Der linke Dorfschullehrer Pedro Castillo hatte als Präsident in Peru nie eine Chance, seine teils progressive Agenda mit Leben zu erfüllen, meint Martin Ling
Die einzige Konstante in Peru ist die politische Instabilität. Pedro Castillo, der am 7. Dezember vom Kongress seines Amtes enthobene Präsident, sitzt mit Billigung des Obersten Gerichtes weiter in Untersuchungshaft. Der Straftatbestand der Rebellion sei nämlich nicht nur im Falle eines bewaffneten Aufstands erfüllt, sondern auch beim Versuch, die demokratische Ordnung aufzuheben und die gesamte politische Macht in einer Hand zu konzentrieren. Das hatte Castillo wenige Stunden vor seiner Entmachtung durch die Auflösung des Parlaments versucht.
Seit 2016 hatte Peru sechs Präsidenten. Der letzte peruanische Präsident, der seine Amtszeit nach fünf Jahren regulär beendete, war damals der Linksnationalist Ollanta Humala. Er muss sich seit Februar dieses Jahres mitsamt seiner Ehefrau einem Korruptionsverfahren im Odebrecht-Skandal stellen. Um an Staatsaufträge zu kommen, hatte der brasilianische Baukonzern Odebrecht nach eigenen Angaben über Jahre hinweg in ganz Lateinamerika Politiker und Beamte auf allen Ebenen bis hin zu Präsidenten bestochen. Neben Humala fallen in Peru auch seine Vorgänger Alejandro Toledo, Präsident Perus (2001 bis 2006) und Alan García (2006 bis 2011) wie auch sein Nachfolger Pedro Pablo Kuczynski (2016 bis 2018) darunter. Diese Liste spricht Bände und sie ist der Ausgangspunkt, warum in Peru wie zurzeit der tiefen Krise in Argentinien 2001/2002 auf der Straße der Slogan gilt: Que se vayan todos! Alle Politiker sollen gehen, die politische Klasse samt und sonders abtreten.
Der linke Dorfschullehrer Pedro Castillo wurde 2021 zum Präsidenten Perus gewählt, weil er nicht zur politischen Klasse gehörte, er war noch wenige Monate vor seiner Wahl so gut wie unbekannt. Castillo schaffte es als Kandidat der marxistisch-leninistischen Partei Perú Libre (Freies Peru) entgegen allen Umfragen in die Stichwahl und gewann dort mit einem Vorsprung von lediglich 60 000 Stimmen gegen die Ultrarechte Keiko Fujimori – Tochter des Ex-Diktators Alberto Fujimori (1990-2000). Die rechte Fuerza Popular von Fujimori stellt zusammen mit der Mitte-rechts-Partei Acción Popular die stärkste Oppostionsfraktion im Kongress und mit weiteren rechten Parteien hat sie die Mehrheit. Perú Libre kommt nur auf 37 der 130 Sitze und hatte sich ohnehin längst mit Castillo überworfen und im Juli seinen Rücktritt gefordert, woraufhin Castillo aus der Partei austrat und auf eigene Rechnung weiterwurstelte. Bei seiner Begründung zum Selbstputsch beschuldigte er das Parlament, ihn nicht regieren zu lassen und ihm das Leben unmöglich zu machen. Damit hatte er recht, drei Amtsenthebungsverfahren in 17 Monaten sind Indiz genug.
Pedro Castillo hatte ein großes Ziel ausgegeben: »Keine Armen mehr in einem reichen Land.« Daraus wurde ebenso nichts wie aus vielen anderen Vorhaben, die Castillo in Aussicht gestellt hatte, unter anderem eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, um die Dauerkrise durch eine institutionelle Neugründung zu beheben. In Venezuela, Bolivien und Ecuador haben solche Versuche zu progressiven Verfassungen geführt, die vielfach noch mit Leben gefüllt werden müssen. In Chile ist die daraus entstandene neue Verfassung bei einem Plebiszit abgelehnt worden, bildet aber immerhin weiter die Diskussionsgrundlage im Parlament. Vorgezogene Neuwahlen in Peru allein, wie sie die Präsidentin Dina Boluarte für April 2024 ins Spiel gebracht hat, werden nicht reichen, um die Lage zu beruhigen. Unterstützer und Gegner von Castillo halten mit ihren Protesten seit Tagen das Land in Atem. Der brutale Einsatz der Sicherheitskräfte hat mehrere Tote gefordert und heizt die Lage weiter an. Es braucht einen großen Wurf, um in Peru politische Stabilität zu erreichen. Und ohne Partizipation der Bevölkerung wird es nicht gehen, denn die politische Klasse ist verbrannt.
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