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  • Fußball-WM in Katar

Ganz oben sind die Altbekannten

Auch wenn langjährige Spitzenteams im WM-Finale stehen, ist die Fußballwelt doch sichtlich zusammengerückt

  • Frank Hellmann, Doha
  • Lesedauer: 5 Min.
Zwei Trainer, die diese WM prägten: Didier Deschamps (r.) brachte Frankreich ins Finale. Marokkos Walid Regragui gelang die größte Überraschung.
Zwei Trainer, die diese WM prägten: Didier Deschamps (r.) brachte Frankreich ins Finale. Marokkos Walid Regragui gelang die größte Überraschung.

Die zwei Fußballlehrer, die derzeit im hellsten Rampenlicht stehen, ähneln sich sehr. Lässig im T-Shirt mit verschränkten Armen bewegten sich sowohl Lionel Scaloni als auch Didier Deschamps in den vergangenen Tagen im Kreise ihrer Mannschaften. Die Trainer von Argentinien und Frankreich, deren Teams sich an diesem Sonntag (16 Uhr/ARD) im riesigen Lusail-Stadion im WM-Finale duellieren werden, wichen in Doha auch vor dem Showdown nicht von ihren Ritualen in den irgendwie schon lieb gewonnenen Trainingsstätten ab.

Der Blick auf Scaloni und Deschamps ist angebracht, denn mag die Welt beim Endspiel auch lieber auf Lionel Messi und Kylian Mbappé schauen, sollte nicht untergehen, dass da zwei Teams aufeinandertreffen, die beide eine klare Handschrift ihrer Trainer tragen.

Die beiden sind ein gutes Beispiel für einen sachlichen Ansatz: unaufgeregte Architekten im Trainingsanzug, die dem Scheinwerferlicht nicht entgehen, es aber auch nicht bräuchten. Ihre besten Argumente sind die Erfolge. Sonst wäre die von Deschamps vor zehn Jahren übernommene Equipe Tricolore nicht wie schon 2018 unter der Anleitung des »Generals« so weit gekommen; sonst hätten sich auch die »Albiceleste« seit Amtsantritt von Scaloni im selben Jahr nicht in eine titeltaugliche Ergebnismaschine verwandelt, die bis zur WM-Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien 36 Länderspiele nicht mehr verloren hatte. Deschamps verbuchte seinerseits in 139 Länderspielen einen Punkteschnitt von 2,13.

Frankreich und Argentinien stehen aber nicht nur für einen pragmatischen Ergebnisfußball, sondern natürlich auch für individuelle Klasse – verkörpert vor allem durch Messi und Mbappé. Das ist durchaus vorbildhaft, sagt etwa Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften beim Deutschen Fußball-Bund. Argentinien sei natürlich auf einen Mann fokussiert: »Sie haben den weltbesten Fußballer in ihren Reihen. Lionel Messi ist ein Segen für diese WM.« Bei den Argentiniern erkenne er die perfekte Symbiose von südamerikanischen und europäischen Kernelementen: »Sie stürzen sich bedingungslos in jeden Zweikampf, können durch ihre gute Ausbildung viele Situationen aber auch spielerisch lösen.«

Was ihn an den Franzosen beeindruckt, sei der ungebrochene Glaube an die eigene individuelle Qualität. »Sie bewahren in jeder Situation extreme Ruhe, zudem verfügen sie über eine klassische Nummer neun im Sturm, die uns in Deutschland fehlt.« Außerdem habe Frankreich den Vorteil, dass die Nachwuchsarbeit reichlich Früchte trage. Ganz anders als beim DFB.

Als mit Jürgen Klinsmann der ehemalige Teamchef der deutschen Nationalmannschaft als Leiter der Technischen Studiengruppe des Weltverbandes Fifa schon vor den Halbfinals seine Erkenntnisse vorstellte, hieß es noch: Alles wächst zusammen, die Unterschiede werden geringer. Auch wenn es die Topspieler weiter zu den zahlungskräftigen Vereinen in Europa zieht, hängen Konföderationen wie Afrika oder Asien nicht mehr so weit hinterher wie früher. Das stimmt zum Teil: Nachdem 2018 noch ausnahmslos europäische Teams im Halbfinale standen, waren es diesmal nur noch zwei. Deutschland ist zudem erneut in der Vorrunde gestrauchelt, Spanien hat sich zweimal im Achtelfinale verabschiedet.

Doch ist daraus abzuleiten, dass die einstigen Trendsetter des Weltfußballs den Anschluss verlieren? Auf diese Frage reagierte der 58-jährige Klinsmann eher ausweichend: »Ich habe immer gesagt: Es wird ein Turnier, auf das man mental und physisch gut vorbereitet sein muss. Und man muss in der Lage sein, sich anzupassen.« Ja, einige Länder hätten den Fokus verloren, so Klinsmann. »Andere Teams haben sich aber gut eingestellt auf die Jahreszeit, den Mittleren Osten und den Termin innerhalb der Saison. Man musste sich vielen Dingen anpassen.«

Als Paradebeispiel für eine perfekte Adaption gilt die WM-Sensation Marokko, die gegen Kroatien im Spiel um den dritten Platz (Samstag, 16 Uhr) antritt. Sunday Oliseh, früher Bundesligaspieler beim 1. FC Köln, Borussia Dortmund und VfL Bochum und nun wie Klinsmann in der Fifa-Studiengruppe, sprach vom »großartigsten Turnier für Afrika, das wir je erlebt haben. Nicht nur wegen Marokko, sondern weil jedes Team aus Afrika mindestens ein Spiel gewonnen hat.« Was die Organisation auf dem Spielfeld angehe, seien die Nordafrikaner gar eine der besten Mannschaften des Turniers: »Das ganze Team bringt Opfer im Defensivspiel gegen den Ball.«

Der frühere Nationalspieler und Coach Nigerias sah auch darin ein Statement, dass alle afrikanischen Teams auf Trainer aus Afrika setzten. Nur begrüßen könne der 48-Jährige nun, dass das afrikanische Kontingent für die aufgestockte WM 2026 von fünf auf neun Teilnehmer erweitert wird: »Eine Milliarde Menschen leben in Afrika, allein in meinem Land sind es mehr als 200 Millionen – ich denke also nicht, dass die Qualität darunter leiden wird.« Oliseh machte vor dem Halbfinale aus seinem Faible für Marokko keinen Hehl: »Meine Frau kommt aus Marokko, meine Kinder auch. Mein Wunsch ist es, dass Marokko die WM gewinnt.« Dazu kam es bekanntlich nicht. Aber Bronze ist noch drin.

Auch im asiatischen Fußball geht es angesichts dreier Achtelfinalisten voran. Der in der Studiengruppe für diesen Kontinent zuständige Cha Du-Ri erinnerte daran, dass Saudi-Arabien, Japan, Südkorea und dem zur Asiatischen Konföderation zählenden Australien fünf Siege gegen Topnationen gelungen waren. »Der asiatische Fußball hat sich gut entwickelt, sie haben die traditionellen Powermaschinen geschlagen«, sagte der in Frankfurt geborene 42-Jährige. »Durch die vielen asiatischen Spieler bei europäischen Klubs haben sie auch keine Angst mehr.« Auch für Cha steht damit fest: »Die Kluft ist kleiner geworden.« Selbst wenn schließlich doch ein Endspiel zustande kam, auf das vorher nicht nur viele Experten getippt hatten.

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