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  • Fußball-WM in Katar

Argentinien gegen Kroatien: Mehr als eine Prise Patriotismus

Die Mission eines Lionel Messi gegen die Passion eines Luka Modrić

  • Frank Hellmann, Doha
  • Lesedauer: 5 Min.
Großes Duell: Lionel Messi (l.) und Luka Modrić trafen zuletzt im März mit ihren Klubs Paris St. Germain und Real Madrid in der Champions League aufeinander.
Großes Duell: Lionel Messi (l.) und Luka Modrić trafen zuletzt im März mit ihren Klubs Paris St. Germain und Real Madrid in der Champions League aufeinander.

Eine gewisse Aufregung ist in Doha schon überall zu spüren. Erste Vorbereitungen werden getroffen und allerlei Veranstaltungen angekündigt. Der 18. Dezember ist Katars Nationalfeiertag. Und auch Endspieltag dieser WM. Es heißt, dass viele Einheimische kommenden Sonntag wirklich aus sich herauskommen – auch aus ihren gesicherten Häusern. Es könnte gut sein, dass sich dann alles miteinander vermengt: der feiernde Gastgeber mit fröhlichen Finalisten. Stimmungsvoll wird es bereits wieder, wenn Argentinien gegen Kroatien das erste Halbfinale bestreitet.

Fans der »Albiceleste« werden an diesem Dienstag wieder die Metropole und die Metro Richtung Lusail beschallen. Von Al Wakra, dem Einstieg im Süden, dauert es bis zur Endstation im Norden etwa eine Halbzeit eines Fußballspiels, und dort ist es oft schon lauter als später im Stadion. Durch ein Lied, das nicht nur vom Sport handelt: Mit dem Land von Diego (Maradona) und Lionel (Messi) werden auch die »Jungs von Las Malvinas« besungen, die Soldaten der Falklandinseln, die Anfang der 80er Jahre bei dem Konflikt ihr Leben verloren. Dann geht’s um die Leiden, die der Fußball über Argentinien nach den WM-Titeln 1978 und 1986 gebracht hat: 28 Jahre ohne Trophäe lagen zwischen dem Gewinn der Copa América 1993 und 2021.

Lionel Messi hatte 2016 schon frustriert seinen Rücktritt erklärt. Er kam schnell wieder – und war bei der WM 2018 die Symbolfigur der Lustlosigkeit. Zum Tiefpunkt geriet das 0:3 im Gruppenspiel gegen Kroatien; das Aus im Achtelfinale gegen Frankreich kam folgerichtig. Heute ist der 35-Jährige nahezu berauscht, seiner Karriere einen weltmeisterlichen Anstrich zu geben, der alles überstrahlen würde. Der in 170 Länderspielen mit 95 Toren erfolgreiche Kapitän befindet sich bei seiner fünften WM auf einer Mission.

Der Weltstar wirkt so fokussiert und engagiert wie nie zuvor im Nationaltrikot. Er wartet schon im Kabinengang, um diese Auswahl als Erster zum Aufwärmen aufs Feld zu führen. Die bereits im Stadion befindlichen Himmelblauen, fast alle mit der Zehn auf dem Rücken, veranstalten einen Heidenlärm. Es steigert sich zum Inferno, als Messi dann losdribbelt. Man folgt seinen Pässen, seinen Gesten – und neuerdings seinen Worten. Trainer Lionel Scaloni hat es geschafft, Messi und Mitspieler zu einer Einheit zu schweißen. Aber erreicht ist bis jetzt noch nichts. »Wir wissen, dass ein ganzes Land uns unterstützt. Aber es ist immer noch ein langer Weg«, sagt der 44-Jährige. Seine Fußballer sind Idole, die für die Sehnsucht ihres Volkes mit mehr als einer Prise Patriotismus antreten, sonst hätten sie nicht im Viertelfinale gegen die Niederlande so oft die Grenzen des Erlaubten überschritten.

Aber ist es nicht beim Gegner genauso? Kroatien konnte nur so weit kommen, weil ein Land mit vier Millionen Einwohnern – Argentinien hat mehr als zehnmal so viele – seine natürliche Unterlegenheit durch Geschlossenheit und einen Stolz wettmache, der bis zum Himmel reiche, wie Nationaltrainer Zlatko Dalić nach dem Viertelfinale gegen Brasilien betonte. »Es ist ein großartiger Erfolg für Kroatien, das wir wieder unter den besten vier einer WM stehen. Aber wir wollen mehr«, lautet seine Devise fürs Halbfinale, in dem sich zwei Brüder im Geiste begegneten: »Beide Teams spielen mit viel Emotionen, mit der Leidenschaft der Fans. Wir haben nicht so viele im Stadion, aber wir haben dieselben Gefühle für das Spiel.« Der 56-Jährige ist keiner, der sich gegen mitunter nationalistische Töne im »kleinen Kroatien« wehrt. Im Gegenteil: »Solange ich Trainer bin, wird die Nationalmannschaft ein Ort des Patriotismus, des Zusammenhalts, der sportlichen Qualität und der kroatischen Flagge sein.«

Sein Anführer heißt noch immer Luka Modrić, der als Kind mitten in die Kriegswirren geriet. Der Fußball vermittelte dem unverwüstlichen Strategen in schweren Zeiten die meiste Orientierung. Und vielleicht erklärt genau das seine Passion. Beim 37-Jährigen landet nicht nur jeder Ball vor einem Angriff, sondern beim 150-fachen Nationalspieler fließen die Liebe zum Land und zum Spiel zusammen. Nach dem mit 2:4 verlorenen WM-Finale 2018 gegen Frankreich kam der geknickte Kapitän an Fifa-Präsident Gianni Infantino, Russlands Staatspräsident Wladimir Putin und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron vorbei, ehe ihn die damalige Staatpräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović tröstete, die ein kariertes Kostüm in den Landesfarben trug. In der Kabine sangen alle gemeinsam.

Den Nationalstolz solle niemand falsch verstehen, erklärte Andrej Kramarić in einem Interview mit dem Magazin »11 Freunde«. »Für Außenstehende ist das schwer zu begreifen. Aber wir alle sind Kinder der Kriegsgeneration und aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass Bekannte oder Verwandte für die Unabhängigkeit unseres Landes ihr Blut vergossen haben, damit wir heute in Frieden leben können.« Man habe von den Eltern mitbekommen, so der Stürmer der TSG Hoffenheim, »für das Land durchs Feuer zu gehen«.

Das Nationalteam wird »Vatreni« genannt, die Feurigen, die mit ihrer Hingabe für jede Topnation als Vorbild taugen. Am Montag kam mit Ivan Perišić einer ihrer Wortführer ins Virtual Stadium des Mediencenters. Der 33-Jährige hat dort am Tag vor dem Showdown im Lusail Stadium keine Weltneuheiten verkündet: »Messi will die Trophäe gewinnen, aber wir werden auch alles abrufen. Dann wird der Bessere gewinnen.« Von Aufregung keine Spur.

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