Nicht jeder kann Kinder pflegen

Personalnot in Praxen und Kliniken wird Feiertage und auch die Zukunft bestimmen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Angst bestimmt alles: Wenn Eltern in Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder sind, definiert ihre subjektive Wahrnehmung, ob es sich um einen Notfall handelt oder nicht. Sie gehen dann in überfüllte Rettungsstellen oder die acht Berliner Kinderkliniken, suchen Arztpraxen auf – auch wenn da wie dort unzumutbare Wartezeiten in Kauf zu nehmen sind. Die etwa 230 niedergelassenen Kinderärzt*innen in der Hauptstadt reichen derzeit nicht aus, um die Kranken unter den weit über 600 000 Kindern und Jugendlichen in den zwölf Bezirken zu versorgen.

Thomas Raile ist Kinder- und Jugendarzt am Vivantes-Klinikum Neukölln. Für ihn steht fest, dass nur die Ausbildung von mehr Pflegepersonal mittel- und langfristig die Fachkräftenot, die zum Bettenmangel führt, abmildern kann. In seinen Augen hat nicht zuletzt die vor drei Jahren eingeführte Generalistenausbildung im Krankenpflegebereich dazu geführt, dass gerade in der notleidenden Pädiatrie die Fachkräfte fehlen. »Unser Appell ist, in Berlin weiter Kinderkrankenpflegekräfte auszubilden«, erklärt Raile in der Sondersitzung des Gesundheitsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses am Dienstag. Am Beispiel Hamburgs könne man sehen, dass es sich lohne, an der spezialisierten Ausbildung festzuhalten. »Hamburg bildet jährlich 75 Kräfte aus und – oh Wunder – ist das einzige Land, das diese Notlage derzeit nicht sieht«, so Raile. Der Mediziner stellt auch klar: »Ratschläge von außen helfen nicht.« Denn selbst die nun akut eingesetzten Kolleg*innen von anderen Stationen müssten im Hinblick auf die Spezifika der Kinderpflege eingearbeitet werden. Medizin- oder Psychologiestudierende könnten zwar in den Rettungsstellen aushelfen, aber auch sie, so Raile, »ersetzen keine Vollkraft«.

Ein Großteil der Kinder, die in die Notaufnahmen kämen, sei nicht aufnahmepflichtig, erklärt der Kinderheilkundler. Ärzt*innen seien aber verpflichtet, jedes Kind, das vorstellig werde, zu untersuchen. Das koste Zeit, die man gerade nicht habe. Auf der anderen Seite stehen die niedergelassenen Ärzt*innen, an die die Kinder dann zurückverwiesen werden. Für diese spricht im Ausschuss Reinhard Bartezky, der eine bekannte und hochfrequentierte Kinderarztpraxis am Neuköllner Hermannplatz führt. Dreimal so viele Konsultationen wie sonst habe man derzeit zu bewältigen, sagt Bartezky.

Das ist eigentlich kaum vorstellbar. »Wenn es den Kliniken nicht gut geht, geht es den Praxen auch nicht gut«, beschreibt der Mediziner den Zusammenhang zwischen schlecht aufgestellten Krankenhäusern und derzeit völlig überlasteten Niedergelassenen. Die pandemische Infektionshäufung treffe auf ein »moribundes« – also sterbendes – Kliniksystem, macht Bartezky das Ausmaß der Katastrophe deutlich. Kinderarztpraxen in Berlin kämen einer Sozialstation gleich. Wenn Eltern bis zu neun Monate auf eine Geburtsurkunde warten müssten, könnten Babys in dieser Zeit nicht versicherungspflichtig geimpft werden. Teilweise besuche die Hälfte der Kinder im Kitaalter in manchen Bezirken nicht die Kindertageseinrichtungen und käme erst mit der Schulpflicht in Berührung mit Infektionen, die das Immunsystem lange im Voraus durchmachen müsste. Dazu komme der Mangel an Medikamenten und der Umstand, dass für schwerkranke Kinder eben keine Betten im Krankenhaus zu bekommen seien. Als unsinnig bezeichnet Bartezky die herrschende Attestpflicht für Kitas und Schulen für nahezu jeden Fehltag. Und die Personalnot treffe auch die Praxen. »Kliniken werben uns die medizinischen Fachangestellten ab«, empört sich der Kinderarzt. Das müsse aufhören, zumindest die landeseigenen Kliniken müssten darauf umgehend verzichten.

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