• Berlin
  • Solidaritätsaktion in Bad Belzig

Etwas mehr einkaufen für die Armen

Seit 2009 gibt es in Bad Belzig die Solidaritätsaktion »Weihnachten für alle«. Wer früher spendete, ist heute zuweilen selbst bedürftig

Carmen Straube sortiert in der Sammelstelle die ersten gespendeten Waren.
Carmen Straube sortiert in der Sammelstelle die ersten gespendeten Waren.

Im Edeka-Markt an der Weitzgrunder Straße von Bad Belzig (Potsdam-Mittelmark) ist ordentlich Betrieb. Familien schieben die Wagen mit den Wochenendeinkäufen zu ihren Autos. Frei werdende Parkplätze vorn zur Straße hin sind schnell wieder belegt. Im Eingangsbereich der Kaufhalle hat sich am Samstag vergangener Woche die Kreistagsabgeordnete Astrit Rabinowitsch (Linke) postiert. Sie drückt den hereinkommenden Kunden kleine Zettel in die Hand und sagt dazu freundlich: »Wir sammeln wieder.«

»Ach ja«, sagt ein Mann. Er ist sofort im Bilde, bleibt vor Astrit Rabinowitsch stehen und möchte erfahren: »Was brauchen Sie denn?« Die Sammelaktion »Weihnachten für alle« gibt es hier nun schon viele Jahre. Da müssen die Bürger sich meistens nicht erst lange erklären lassen, worum es geht und was sie genau machen sollen. Wer es noch nicht weiß, kann auf dem Zettel, den er gerade erhalten hat, nachlesen: »Kaufen Sie bitte etwas mehr ein, als Sie selbst benötigen, und legen Sie diese Waren in die dafür bereitgestellten Geschenkkartons.« Die sind am Ausgang zu finden.

Mit einem Transporter ist der gebürtige Niederländer Wam Kat gemeinsam mit seiner Partnerin Ramona den Tag über unterwegs und holt in verschiedenen Geschäften immer wieder ab, was inzwischen an gespendeten Waren zusammengekommen ist. Es beteiligen sich zwei Supermärkte, ein Schreibwarenladen, ein Spielzeuggeschäft, ein Buchladen, eine Fleischerei, eine Drogerie und erstmals auch ein Bioladen.

In dem Bioladen läuft die Aktion zur Premiere gleich ausgezeichnet. Wam Kat sackt hier bereits morgens die ersten Produkte ein. Auch in den anderen Läden holt er schon etliche Dinge ab und bringt alles zur Sammelstelle, die in der Kreisgeschäftsstelle der Linkspartei in der Straße der Einheit 53 eingerichtet ist. Dort sortieren Wam Kats Genossinen Gisela Nagel und Carmen Straube die Lebensmittel, das Tierfutter, die Schreibwaren und das Spielzeug auf einem langen, großen Tisch.

Gegen 10 Uhr ist schon einiges beisammen: Lebkuchen, Knödel, Kaffee, Toastbrot, Schokoladen-Weihnachtsmänner, Gummibärchen, Buntstifte und Spielzeugfiguren. Das ist aber noch gar nichts. Richtig viel komme erfahrungsgemäß am Nachmittag herein, berichtet der Stadtverordnete Olaf Präger (Linke), der zunächst am Schreibtisch sitzt und den Einsatz der etwa 30 Helfer per Telefon dirigiert.

Kurz vor 11 Uhr erinnert ihn Gisela Nagel: »Olaf, die Fleischerei schließt in wenigen Minuten.« Das ist die letzte Gelegenheit zur Abholung, aber so schnell kann Wam Kat jetzt nicht dorthin. Darum springt Olaf Präger kurz entschlossen auf und fährt selbst. Die Bedienung stellt jedoch bedauernd fest, dass die Kundschaft heute von der Weihnachtsaktion keine Notiz genommen habe. Mit leeren Händen muss Präger allerdings trotzdem nicht gehen. »Moment, wir machen dir etwas fertig«, wird ihm beschieden – und dann bekommt er mit der besten Empfehlung des Hauses einen Schwung Knackwürste und drei Gläser hausgemachte Leberwurst über die Theke gereicht. Bei der Gelegenheit kauft der Stadtverordnete auch gleich noch Soljanka für sich und seine Mitstreiter zum Mittagessen.

Auf dem Rückweg in die Geschäftsstelle berichtet Präger von den im Laufe der Jahre gesammelten Eindrücken. Dass jemand eine Spende unwirsch mit der Bemerkung »Mir schenkt auch keiner was« ablehnt, das komme durchaus vor, erzählt er. Andere seien sehr freigiebig. »Manch einer füllt für viel Geld einen ganzen Einkaufswagen und schiebt uns den hin: Hier habt ihr!«

Vergangenes Jahr reichten die Spenden, um 600 bedürftige Haushalte zu versorgen. Wie es dieses Jahr ist, kann Präger am Mittag im Moment nicht sagen, weil er heute noch nicht selbst in einem Laden gestanden und Zettel verteilt hat. Das macht er dann später noch. Dass mehr Menschen wegen der gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise mittlerweile ganz genau rechnen müssen und nun nichts mehr spenden können, vielleicht sogar selbst Hilfe benötigen, vermutet Präger, hat aber vorerst keine Bestätigung dafür.

Schon Auskunft geben kann Andreas Schramm, Mitglied der Piratenpartei und bei »Weihnachten für alle« mit am Start. Er spricht die Kunden im Edeka an der Weitzgrunder Straße gemeinsam mit der Sozialistin Rabinowitsch an. Seine Zwischenbilanz am Mittag: Es spenden weniger Bürger als sonst, aber die es tun, geben diesmal besonders viel. So sprach Schramm mit einem Mann, dem gekündigt wurde, der aber nun einen Anruf seiner Firma erhielt, er werde doch gebraucht und könne wieder anfangen. »Eine der wenigen guten Nachrichten zum Jahresende«, kommentiert Schramm mit Blick auf die allgemeine Lage. Glücklich darüber, wieder einen Arbeitsplatz zu haben, und in dem Bewusstsein, es sich darum leisten zu können, habe der Mann eine große Tüte voll Ware dagelassen.

Kommunalpolitiker Ingo Kampf (SPD) – er ist Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung – hat einen Termin in Berlin und kann sich nicht beteiligen. Er will aber dennoch helfen und gibt Bargeld aus der eigenen Tasche an die Sammelstelle. Andere packen selbst mit zu: Mitglieder der Grünen und eine evangelische Pfarrerin beispielsweise, außerdem Leute von der Bad Belziger Tafel und dem hiesigen Verein für Arbeit und Leben sowie der Tierhilfe-Hof Samtschnute. Manchmal überschneidet sich das auch personell, und die Frauen und Männer, die sich in eine politische Partei einbringen, sind dann zugleich noch in einem oder mehreren Vereinen aktiv. »Bad Belzig ist nicht so groß«, erklärt Wam Kat fröhlich lachend. »Man trifft immer wieder dieselben Leute, wenn man sich engagiert.«

Der Einsatz lohnt sich. Am Abend biegt sich der große Tisch fast unter der Menge der herbeigeschafften Spenden. Der Platz reicht dafür gar nicht aus. Es ist auch noch etwas an der Seite abgestellt, und Wurst und Käse werden in einem anderen Raum bei geöffnetem Fenster kühl gelagert.

Die Tafel, der Sozialverein und die Tierhilfe teilen das alles unter sich auf, um es an Bedürftige in Bad Belzig und Umgebung weiterzureichen. So bekommen zu Weihnachten auch die Haushalte etwas auf den Tisch, die kein Geld für solche Leckereien und Geschenke zur Verfügung haben. Denn auch für sie sollen Heiligabend und die beiden Weihnachtsfeiertage ein Fest sein, soweit es irgendwie geht. Das ist die Idee der Aktion. Initiativen unter dem Motto »Weihnachten für alle« gibt es hier und da in der Bundesrepublik. 2009 hatte eine Genossin die Idee, dies in Bad Belzig auch zu versuchen. Seitdem findet die Aktion jedes Jahr statt.

»Bedarf besteht jede Menge«, weiß Gisela Nagel, die in der Sammelstelle im Einsatz ist. »Die Zahl derjenigen, die Hilfe benötigen, wird immer größer«, sagt die 81-Jährige. Es gibt in der Stadt ein Asylheim, und es sind jetzt auch viele Ukrainer hier, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflüchtet sind.

Olaf Präger ist mit dem diesjährigen Sammelergebnis zufrieden. »Jetzt kann Weihnachten kommen«, resümiert er. »Dennoch ist die Solidaritätsaktion ›Weihnachten für alle‹ für die Menschen und Vereine, die daraus Nutzen ziehen können, nur ein Trostpflaster«, betont der Stadtverordnete. »Unsere Gesellschaft lässt Armut zu, produziert und reproduziert diese. Davon ist Bad Belzig nicht ausgespart«, bedauert Präger.

Ziel der Politik sollte es sein, die Tafeln überflüssig zu machen. Doch damit sei in absehbarer Zeit nicht zu rechnen, und darum müsse den Menschen jetzt und praktisch geholfen werden, sagt Präger, der seine Brötchen bei der nd.Genossenschaft in Berlin verdient.

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