• Berlin
  • Lange Nacht der Wissenschaften

Sterne über Berlin-Adlershof

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt: Angela Merkels Arbeitsplatz und der Busen von Adlershof

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 5 Min.
»Da drinnen stinkt es, es ist dunkel, man sieht nichts«, sagt Forscher Peter Strunk über die Thermo-Kugellabore »Adlershofer Busen«.
»Da drinnen stinkt es, es ist dunkel, man sieht nichts«, sagt Forscher Peter Strunk über die Thermo-Kugellabore »Adlershofer Busen«.

Samstagabend 21.30 Uhr. Die Sonne geht unter über Berlin. Wolken färben sich rot hinter der Silhouette der Stadt. Doch nicht wegen des schönen Sonnenuntergangs stehen Menschen auf der Dachterrasse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Adlershof. Sie sind gekommen, um bei der Langen Nacht der Wissenschaften durchs Teleskop in den Sternenhimmel zu schauen.

Leider verklären ein paar Wolken den Himmel. Um wenigstens einen Stern einzufangen, hat ein Mitarbeiter sein Teleskop auf den Mercedesstern am Europacenter gerichtet. Eine Entschädigung für den Sternenhimmel ist das aber nicht.

Eine halbe Stunde später. Berlin ist bereits dunkel. Im Erdgeschoss referiert Ulrich Köhler über Planetenforschung. Er wirft eine mit moderner Kameratechnik ermöglichte Aufnahme des Saturnmondes Enceladus an die Wand. Die Aufnahmen, die die Adlershofer Forscher*innen gemeinsam mit multinationalen Forscherteams möglich gemacht haben, zeigen, dass dieser Mond Gase ausspeit. Gase, die einen bisher unbekannten Ring um den Saturn bilden, wie Köhler sagt.

Die Adlershofer Forscher*innen sind auch an der Mondforschung beteiligt. Für 2029 ist die Landung einer Nasa-Rakete auf dem Südpol des Erdtrabanten geplant, wo auch eine europäische Astronautin mit an Bord sein soll. Eigentlich. Denn die Trump-Regierung will die Gelder für Weltraumforschung zusammenstreichen und andere Prioritäten setzen. Noch sei das nicht entschieden, sagt Köhler. Noch hat er Hoffnung, dass diese Forschung in Adlershof weitergeführt werden kann.

Weltraumforschung kann einen praktischen Nutzen für die Menschheit haben. Wenn beispielsweise Asteroiden die Umlaufbahn der Erde kreuzen, kann es zu einem Aufprall mit dramatischen Folgen kommen. Köhler zufolge sei in diesem Jahrhundert ein solcher Aufprall nicht zu erwarten. Der letzte vergleichsweise kleine Asteroidenaufprall geschah 2013 in der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk und führte zu zahlreichen Verletzten sowie beschädigten Gebäuden.

Das DLR hat in seiner Geschichte auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse aus der DDR zurückgegriffen. So wurden ganze Abteilungen des ehemaligen Instituts für Kosmosforschung der Akademie der Wissenschaften ins DLR integriert. Insbesondere in der Venusforschung bereicherten Ergebnisse des DDR-Institutes das DLR.

Zu DDR-Zeiten forschten 4400 Wissenschaftler*innen anwendungsorientiert in Adlershof. Doch die meisten wissenschaftlichen Institute wurden nach der Wende abgewickelt: 85 Prozent der Wissenschaftler*innen gingen in den Vorruhestand und in die Arbeitslosigkeit. Dieses wissenschaftliche Potenzial wurde zu wenig genutzt, meint Peter Strunk. Bis er kürzlich das Rentenalter erreichte, war Strunk für die Öffentlichkeitsarbeit der WISTA verantwortlich, die am Standort Adlershof auf landeseigenen Grundstücken einen Hochtechnologiestandort entwickelt. Heute würden auf dem Gelände 28 000 Menschen arbeiten – mehr als zu DDR-Zeiten. Sie erwirtschaften einen Umsatz von vier Milliarden Euro. Mehrere Firmen sind in ihrer Branche Weltmarktführer. Das sei eine Erfolgsgeschichte, so Strunk.

Als in der Bundesrepublik sozialisierter Historiker spricht er mit großem Respekt von den Wissenschaftler*innen aus der ehemaligen DDR, die den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und bestanden haben. Zuerst seien das Menschen aus dem wissenschaftlichen Gerätebau gewesen. »Die mussten in der DDR Geräte für die Forschung nachbauen, weil die auf der Embargoliste standen. Sie kannten ihr Fach und den Markt sehr gut.« Wenn Wissenschaftler*innen Unternehmen gründen, so Strunk, »denken sie langfristig«. Nur zwei Prozent dieser Firmen in Adlershof seien insolvent gegangen. Solche Firmeninhaber würden keinen Mercedes fahren, sagt Strunk. »In den Arbeitsräumen steht vorn ein kaputter IKEA-Tisch und hinten Messinstrumente für 12 Millionen Euro. Sie legen auf äußere Statussymbole keinen Wert.« Und diese Mentalität hätten auch diejenigen Mitarbeiter*innen aus Ost, West und dem Ausland angenommen, »die zur Wende noch zur Schule gingen und heute in diesen Firmen arbeiten«.

»Die mussten in der DDR Geräte für die Forschung nachbauen, weil die auf der Embargoliste standen.«

Peter StrunkHistoriker

Wer wie Strunk Besucher*innen durch das Wissenschaftsareal in Adlershof führt, ist mit der Frage konfrontiert, wo denn genau Altkanzlerin Angela Merkel einmal arbeitete. Er führt die Gruppe zu einer naturbelassenen Wiese. »Und wie sie sehen, sehen sie nichts«, sagt er. Das langgestreckte flache Gebäude des Zentralinstitutes für Physikalische Chemie, wo die Physikerin Merkel einst ihre Doktorarbeit schrieb und forschte, wurde vor wenigen Jahren abgerissen.

Doch von dem Institut ist ein paar Meter weiter ein architektonisches Highlight geblieben: Der »Busen von Adlershof« ist so etwas wie das Wahrzeichen des Ortsteils Adlershof. Offiziell heißen die beiden durch einen Gang verbundenen Kugeln »Thermokonstante Kugellabore«. Sie entstanden zwischen 1959 und 1961 für thermodynamische Hochpräzionsmessungen für die Luftfahrt. Im Innern sollten stets konstante Temperaturen herrschen. »Das hat leider nie funktioniert, denn die Laboranten trugen ja ihre eigene Körpertemperatur in die Laborräume«, so Strunk. So wurden die Kugellabore bis 1993 als normale Laborräume genutzt, später als Lagerräume für Fotopapier, erläutert der Forscher. Den Wunsch vieler Besucher*innen, die Kugeln einmal von innen zu sehen, erfüllt er nicht. »Da drinnen stinkt es, es ist dunkel, man sieht nichts«, sagt Peter Strunk.

Mit der langen Nacht der Wissenschaften wollen Planetenforscher wie Ulrich Köhler der Gesellschaft etwas zurückgeben: »Und sei es nur, sie an der Faszination unserer Arbeit teilhaben zu lassen.« Köhler sieht es als Privileg, »aus Steuermitteln finanzierte Forschungen durchführen zu dürfen«.

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