Schottlands Sezession bleibt das Ziel

Der Weg zu einem neuen Referendum über die Unabhängigkeit von Großbritannien ist eigentlich verbaut

  • Dieter Reinisch
  • Lesedauer: 4 Min.

Für die Absicht der schottischen Regierungschefin, Nicola Sturgeon, und ihrer Schottischen Nationalpartei (SNP), das Jahr 2023 zu dem der Unabhängigkeit zu machen, stehen die Zeichen eher schlecht. Nachdem Ende November der Oberste Gerichtshof (OGH) in London es den Schotten nicht erlaubte, nach 2014 erneut ein Referendum abzuhalten, sind diese Pläne zunächst auf Eis gelegt. Am 19. März des kommenden Jahres will die SNP nun auf einer Sonderkonferenz darüber diskutieren, wie es mit der Unabhängigkeitskampagne weitergehen soll. Laut Aussage der schottischen Zeitung »The National« sollen dort »die Einzelheiten geklärt werden, um die nächsten Parlamentswahlen zu einem De-facto-Referendum für die Unabhängigkeit zu machen«. Sturgeon selbst teilte auf Twitter mit: »Am 19. März findet in Edinburgh eine Sonderkonferenz statt, auf der über das weitere Vorgehen zur Sicherung der Unabhängigkeit nach der Entscheidung des OGH entschieden werden soll.«

Um zu klären, ob Schottland ohne die Zustimmung von Westminster ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten könnte, hatte die schottische Regierung im Sommer vor dem OGH geklagt. Anfang Oktober hörte der Gerichtshof die beiden Seiten an. Am 23. November hat der OGH dann entschieden, dass eine Abstimmung über die einseitige Loslösung Schottlands vom Vereinigten Königreich nicht rechtens ist. Die OGH-Richter waren einstimmig zu diesem Ergebnis gekommen.

Sturgeon hatte vor dem Urteil des Gerichts betont, für den Fall eines positiven OGH-Entscheids ein neues Referendum für den 19. Oktober 2023 ansetzen zu wollen. In einer Reaktion sagte sie: »Obwohl ich enttäuscht bin, respektiere ich das Urteil des OGH – er macht keine Gesetze, sondern interpretiert sie nur.« Sturgeon hob aber auch hervor: »Ein Gesetz, das es Schottland nicht erlaubt, unsere eigene Zukunft ohne die Zustimmung von Westminster zu bestimmen, entlarvt jede Vorstellung von Großbritannien als freiwillige Partnerschaft als Mythos.« Das Urteil aus London, betonte die Regierungschefin, blockiere den Weg, Schottland Gehör zu verschaffen, »aber in einer Demokratie wird unsere Stimme nicht verstummen«.

Beim letzten Referendum 2014 hatten 55,3 Prozent der Schotten gegen eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich gestimmt. Seit dem Brexit 2016 schlägt nach Umfragen das Pendel aber in die andere Richtung aus. Sturgeon hatte zwar immer wieder angekündigt, die Kampagne für eine Unabhängigkeit nicht aufzugeben und den Druck auf London weiter zu verschärfen, die OGH-Entscheidung dürfte die SNP aber unvorbereitet getroffen haben.

Am 15. Dezember kündigte Sturgeons Stellvertreter John Swinney an, dass die bereits geplanten Ausgaben für ein zweites Referendum für soziale Zwecke verwendet werden sollen. Konkrete Vorbereitungen werden schon getroffen. Die dafür in den Haushalt für das kommende Jahr eingestellten 20 Millionen Pfund sollen in Form von Energiekostenzuschüssen an arme Familien ausgezahlt werden. Damit, so Swinney, würde »ein weiteres Versagen des Vereinigten Königreichs und seiner Politik abgedämpft«. Vor dem Parlament betonte der SNP-Politiker zugleich, dass die schottische Regierung weiter felsenfest davon überzeugt ist, dass die Schotten das Recht haben, über die Zukunft des Landes selbst zu entscheiden.

Wie es mit Schottlands Unabhängigkeitsbestrebungen nun weitergeht, wird am 19. März sichtbar werden. Einige prominente SNP-Mitglieder wie Angus MacNeil, der Abgeordnete des Wahlkreises Na h-Eileanan an Iar, fordern rasche Neuwahlen des Regionalparlaments. MacNeil erklärte gegenüber »The National«, dass die Regierung nicht auf die nächsten Westminster-Wahlen warten und stattdessen vorgezogene Wahlen in Schottland zu einem De-Facto-Referendum machen soll. Ein Vorteil für die SNP ist, dass bei Regionalwahlen, anders als bei nationalen Urnengängen, auch die 16- und 17-Jährigen wahlberechtigt sind – in dieser Altersgruppe ist die Befürwortung der Unabhängigkeit besonders stark.

Die SNP ist jedenfalls unter Zugzwang, denn schließlich wurde sie im Mai 2021 mit den Versprechen der Unabhängigkeit und einer Rückkehr Schottlands in die EU gewählt. Seit dem OGH-Urteil hat die Zustimmung für die Unabhängigkeit noch weiter zugenommen. Laut einer am 7. Dezember veröffentlichten Umfrage von Ipsos Scotland würden mittlerweile 56 Prozent für die Loslösung vom Vereinigten Königreich stimmen. Die SNP gewann laut der Meinungsforscher sieben Prozent dazu und würde derzeit mit 51 Prozent die absolute Mehrheit erringen. Damit wäre sie nicht mehr auf eine Koalition mit den kleinen Grünen angewiesen. Und nach einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Redfield & Wilton Strategies hat nach dem OGH-Urteil die Zahl derjenigen Wahlberechtigten in Schottland, die dessen ungeachtet weiterhin ein Referendum im nächsten Jahr für richtig halten, um 12 auf 46 Prozent zugelegt. Die SNP darf sich also ermutigt fühlen, keinen Londoner Schlussstrich unter den schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen zu akzeptieren.

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