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Der Mietenwahnsinn breitet sich aus

Wie eine Initiative in Elstal für bezahlbaren Wohnraum kämpft

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

»Ich war überrascht, dass so viele gekommen sind. Ich war froh, dass niemand gestört hat«, erinnert sich Petra Rosenfeld von der Mieterinitiative Elstal an die Kundgebung des Bündnisses »Gerechtigkeit jetzt!« im Havelland Anfang November auf dem Bahnhofsvorplatz von Falkensee. Rund 250 Teilnehmer waren damals zusammengekommen. Einer der Hauptredner: der Linke-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi. Rosenfeld sagt: »Herr Gysi, der war toll. Das hat ein bisschen Mut gemacht.«

Das Ende September in Brandenburg gebildete Bündnis »Gerechtigkeit jetzt!« ist ein Zusammenschluss aus Arbeitslosenverband, Arbeiterwohlfahrt, Volkssolidarität, Mieterbund, Gewerkschaften und der Linken. Auch die Tafeln, die Bedürftige gegen einen geringen Obolus mit gespendeten Lebensmitteln versorgen, machen mit. Auf der Ebene des Landkreises Havelland gibt es dabei zusätzlich ebenjenen lokalen Ableger von »Gerechtigkeit jetzt!«, der die Kundgebung in Falkensee auf die Beine gestellt hatte. »Wir haben uns verabredet, diesen heißen Herbst und kalten Winter gemeinsam zu bestreiten«, erklärt Christian Görke. Er ist Bundestagsabgeordneter der Linken und Kreisvorsitzender seiner Partei im Havelland.

Teil des Bündnisses im Havelland ist dabei auch die Mieterinitiative Elstal, für die in Falkensee Dietmar Wiegand das Wort ergriffen hatte. Für ihn war es eine gelungene Veranstaltung. »Sollte man, wenn es sich anbietet, wieder machen«, findet er. Seiner Mitstreiterin Petra Rosenfeld fiel ins Auge, dass hinter dem Redner Gregor Gysi die Leuchtreklame der Sparkassenfiliale mit teuren Immobilienangeboten flimmerte. Das passte für Rosenfeld wie die Faust aufs Auge. Neulich war sie beim Mieterverein. In der Beratungsstelle in Falkensee sei es sehr voll gewesen, erzählt sie. Kein Wunder: Jetzt kommen alle mit ihren Betriebskostenabrechnungen und wollen prüfen lassen, ob die in Ordnung sind.

Die Mieterinitiative Elstal gründete sich 2019, insgesamt 50 Bewohner des Ortsteils der Gemeinde Wustermark engagieren sich in ihr. Zehn von ihnen bilden den aktiven Kern. Anlass für die Gründung der Initiative war damals, dass der Konzern Deutsche Wohnen, dem in Elstal schon Wohnungsbestände in der Eisenbahnsiedlung gehörten, nun auch noch Häuser in der Scharnhorst- und der Eulenspiegel-Siedlung übernehmen wollte, was inzwischen auch geschehen ist. »Unsere schlimmen Befürchtungen wurden noch übertroffen«, erklärt Dietmar Wiegand. Ihm selbst sei seither bereits dreimal die Miete erhöht worden.

Elstal liegt im Berliner Speckgürtel und bekommt den Mietenwahnsinn in der Hauptstadt zu spüren, der sich in Wellen auch nach Brandenburg ausbreitet. »Zehn Euro kalt je Quadratmeter gelten in Elstal als bezahlbar«, sagt die Linke-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige, die selbst in Elstal lebt. »Manche Haushalte haben Staffelmieten. Die können sich ausrechnen, wann sie ausziehen müssen.« Staffelmiete bedeutet, dass eine regelmäßige Erhöhung der Miete bereits beim Einzug vereinbart wird.

In Nauen, das etwas weiter weg von Berlin liegt, aber wie Elstal und Wustermark über eine für Pendler attraktive Bahnverbindung in die Hauptstadt verfügt, gebe es inzwischen eine ähnliche Entwicklung. »Aber hinter Nauen ist nichts mehr«, sagt Johlige. Nur noch ein paar Dörfer. Mietwohnungen sind da nicht zu haben. Wer also aus Nauen aus Kostengründen hinausgedrückt zu werden droht, der steht mit dem Rücken zur Wand.

»Für den kleinen Geldbeutel gibt es nichts mehr«, bestätigt auch Christian Görke. Der Linke-Politiker sagt: »Wer keinen alten Mietvertrag hat oder Eigentum, der hat ein Problem.« Von den Kommunen in der Gegend hat nur das kleine Ketzin eine kommunale Wohnungsgesellschaft. Nauen hat ihre Mitte der 1990er Jahre verkauft und Wustermark und Falkensee hatten nie eine. Um gegenzusteuern, gab es 2008 mal die Idee, eine kreiseigene Wohnungsgesellschaft zu gründen. Doch der Kreistag Havelland lehnte den Vorschlag ab.

Inzwischen würde so eine kreisliche Wohnungsgesellschaft auch nichts mehr nützen, sagt Görke. Woher sollte diese die Grundstücke auch nehmen? Die sind hier im Berliner Umland längst fast alle verkauft und nur noch im Einzelfall zu völlig überhöhten Preisen zu haben. Neulich sei mal ein Grundstück für 750 Euro pro Quadratmeter weggegangen, berichtet Andrea Johlige. Der Durchschnittspreis im Land Brandenburg beträgt 327 Euro – aber da sind die dünn besiedelten Randregionen dabei, die teils noch immer unter Bevölkerungsschwund leiden.

19 Städte und Gemeinden im Berliner Umland fallen unter die von der Brandenburger Landesregierung verfügte Mietpreisbremse. Die Gemeinde Wustermark ist nicht dabei. Angeblich gibt es hier per Definition keinen angespannten Wohnungsmarkt. Dabei sind in Elstal die sogenannten Angebotsmieten bei Neuvermietung seit 2018 um stolze 48 Prozent gestiegen.

Neubauprojekte wie am Olympischen Dorf von 1936 könnten nur dann Entlastung versprechen, wenn eine erkleckliche Zahl von Sozialwohnungen eingeplant ist. Von insgesamt 240 Wohneinheiten sollten aber zunächst nur 25 mietpreis- und belegungsgebunden sein, jetzt 40. Nach Ansicht von Dietmar Wiegand sollten es mindestens 80 Sozialwohnungen sein. Das wären dann 30 Prozent.

Für eine solche Quote bei sämtlichen Neubauprojekten in Deutschland plädiert auch die Linke-Bundestagsabgeordnete Caren Lay, die nach Elstal gekommen ist, um mit Petra Rosenfeld, Dietmar Wiegand, Andrea Johlige und Christian Görke zu besprechen, was gegen den Mietenwahnsinn unternommen werden könnte. »Es fehlen in Deutschland fünf Millionen Sozialwohnungen«, rechnet Lay vor. Nur eine Million Sozialwohnungen sei vorhanden. »Der Staat schützt Bürgerinnen und Bürger zu wenig. Mieter dürften aus ihren Wohnorten nicht verdrängt werden.«

In den 1960er Jahren mussten in der alten Bundesrepublik sechs Prozent der Bevölkerung 25 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben und dies habe damals für Proteste gesorgt, berichtet Lay. Heute wende die Hälfte der Bevölkerung mindestens 30 Prozent fürs Wohnen auf, bei den Menschen mit geringen Einkommen seien es sogar 40 bis 50 Prozent des Einkommens.

Die Politikerin hat ein Buch mit dem Titel »Wohnopoly« darüber geschrieben, wie Deutschland zu einem Eldorado für Immobilienspekulanten werden konnte und wie eine soziale Wohnungspolitik aussehen müsste. Petra Rosenfeld von der Mieterinitiative Elstal hat sich das Buch gekauft, hat es gelesen und lässt es sich von Caren Lay signieren. Die Politikerin ist derzeit auf Lesereise – und ihr Bundestagskollege Görke hat die Idee, sie für eine solche Veranstaltung des havelländischen Bündnisses »Gerechtigkeit jetzt!« nach Elstal einzuladen. Im Januar möchte man sich auf einen Termin verständigen. In der Vorweihnachtszeit standen erst einmal Infostände mit Glühweinausschank auf dem Programm. Die Spenden für den Glühwein sollten an die Tafeln weitergereicht werden.

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