Aufstand für faire Behandlung

In Russland kämpfen Kuriere für bessere Bezahlung und mehr Rechte

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 3 Min.
Essenskuriere sind in russischen Großstädten allgegenwärtig. Viele Rechte oder ein vernünftiges Gehalt haben sie nicht.
Essenskuriere sind in russischen Großstädten allgegenwärtig. Viele Rechte oder ein vernünftiges Gehalt haben sie nicht.

Erst waren es 600 Kuriere in Moskau, die Ende Dezember ihre Arbeit aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen bei Russlands Marktführer Yandex niederlegten. Schon wenige Tage später waren über 4500 Kuriere in 15 Städten von Sankt Petersburg bis nach Sibirien der Aufforderung der Gewerkschaft Kurjer zum Arbeitskampf gefolgt. 110 Rubel (1,50 Euro) pro Bestellung fordert die im Juni 2020 gegründete Interessenvertretung für ihre Mitglieder, dazu die Abschaffung von Geldstrafen, feste Arbeitsverträge für die scheinselbstständigen Kuriere und die Verkleinerung des Auslieferungsgebiets. Auch die teilweise enormen Wartezeiten in den Restaurants sollen vergütet werden. 

Die Gewerkschaft Kurjer gehört zu den kämpferischsten Arbeitnehmerorganisationen in Russland, bei ihrer Gründung waren junge Aktivisten mehrerer linker Organisationen beteiligt. Spätestens seit der Pandemie boomen Lieferdienste in Russland. Doch die Invasion in der Ukraine und vor allem die im Herbst verkündete Teilmobilisierung stellten den Marktführer Yandex und dessen Konkurrenten vor Probleme. »Die Kunden sind im Ausland, die Kuriere an der Front«, erklärte einer der Manager. Die steigenden Kosten laden die Unternehmen auf die Kuriere ab, bei denen es sich häufig um Arbeitsmigranten aus Zentralasien handelt, die die Städte kaum kennen und so einer erhöhten Unfallgefahr ausgesetzt sind. Medizinische Hilfe bekommen sie wegen fehlender Dokumente im Notfall kaum. Wer sich verspätet, wird von Yandex bestraft. Arbeitszeiten von zwölf bis 14 Stunden sind in der Branche üblich. 

Dass Kurjer den Streik unter den aktuellen Bedingungen organisieren konnte, ist durchaus bemerkenswert. Mehrere führende Aktivisten werden bedroht und Gründungsmitglied Kirill Ukrainzew sitzt in Haft. Ihm blühen wegen wiederholter unangemeldeter Demonstrationen bis zu drei Jahre Haft. Ein Treffen zwischen Kurieren und den Abgeordneten der Kommunistischen Partei Sergej Obuchow und Jewgenij Stupin im Vorfeld des Streiks wurde von der Polizei aufgelöst. 

Yandex reagierte auf die Arbeitsniederlegung mit einer massiven Desinformationskampagne: Im Internet verbreitete das Unternehmen falsche Angaben über Löhne und Arbeitsbedingungen. Unterstützt wurde der Marktführer dabei von der Föderation der Migranten Russlands, einer 2007 mit Zustimmung der Präsidentenadministration gegründeten Organisation, die eigentlich rechtliche Hilfe anbieten sollte. 

Als Reaktion auf die ablehnende Haltung von Yandex riefen Aktivisten dazu auf, das Unternehmen im Internet schlecht zu bewerten, was auch teilweise gelang. Zugleich zerstritten sich die Unterstützer. Weil die trotzkistische Revolutionäre Arbeiterpartei (RRP) mit der Unterstützung einiger KPRF-Mitglieder ihre eigene Organisation namens Arbeiterunion der Kuriere (RSK) gründete, warf die linksstalinistische Union der Marxisten ihnen Spaltung, Abenteurertum und Orientierung am »Servicegewerkschaft-Prinzip« vor. Die RRP wiederum hielt ihren Kritikern entgegen, die Sicherheit der Kuriere, von denen viele jederzeit abgeschoben werden können, zu gefährden.

Trotz der linken Zerstrittenheit sind weitere Arbeitskämpfe in mindestens zwei Stufen gegen Yandex geplant. Dafür will Kurjer andere Gewerkschaften und linke Organisationen miteinander vernetzen. Bereits seit März 2021 vereint die Plattform der Solidarität Kurjer mit der Union der Marxisten und mit einer in Gründung befindlichen Gewerkschaft der IT-Spezialisten. Gute Kontakte bestehen auch zu der Gewerkschaft Dejstwije (Aktion), die Mitarbeiter der Gesundheitsbranche vereinigt. Die landesweit aktive Dejstwije hat mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie Kurjer. Mehrere Mitglieder wurden wegen angeblicher Verbrechen angeklagt. In beiden Fällen geht die Gewerkschaft von politischen Motiven aus. Aufhalten lassen will sie sich davon aber nicht. 

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