Geheimdienst auf wackligen Beinen

Gesetz über sächsischen Verfassungsschutz ist laut Gutachten in Teilen verfassungswidrig

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen soll, wie der Name sagt, die Verfassung schützen. Vor diesem Hintergrund mutet es grotesk an, dass ein Gesetz, das die Arbeit der Behörde regelt, in Teilen gegen eben diese Verfassung verstößt. Zu dieser Einschätzung kommt ein Gutachten, das der juristische Dienst des Landtags im Auftrag der Linksfraktion erstellt hat und das feststellt, es bestehe »umfassender gesetzgeberischer Änderungs- und Novellierungsbedarf«.

Die Landtagsjuristen urteilten im Lichte einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe, das im April das bayrische VS-Gesetz in Teilen gekippt hatte. Fünf Tage später beantragte die Linke die Prüfung auch des sächsischen Regelwerks, das sie bereits früher als mangelhaft kritisiert hatte. In einem Sondervotum zum Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses im Jahr 2019 hatte sie etwa angemerkt, die Tätigkeit des Geheimdienstes müsse stärker im Gesetz und weniger in internen Vorschriften geregelt werden, »um überhaupt hinreichend eingeschätzt werden zu können«.

Das Gutachten kommt zu ähnlichen Schlüssen, etwa wenn es um die Arbeit von V-Leuten geht und die Frage, in welchem Fall sie welche nachrichtendienstlichen Mittel anwenden dürfen. Derlei »Eingriffsschwellen« sind bisher in einer internen Dienstvorschrift geregelt. Unter Hinweis auf das Karlsruher Urteil betonen die Juristen, dass der Gesetzgeber solche Vorgaben »nicht vollständig der Behörde überlassen darf, sondern maßgebliche Gesichtspunkte selbst regeln muss«.

Generell ist der Handlungsbedarf in Sachsen nicht so groß wie in Bayern. Manche der dort vom Bundesverfassungsgericht gerügten Instrumente, so die Online-Durchsuchung von Computern und die Handy-Ortung, fehlen im sächsischen Gesetz, das im Mai 2019 von der damaligen Koalition aus CDU und SPD beschlossen worden war. Andere sind präziser reglementiert. So heißt es in Paragraf 5, Wohnraumüberwachungen dürften nur zur »Abwehr einer dringenden Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung« und in wenigen anderen gravierenden Fällen erfolgen. Dass es solche »normierten Eingriffsschwellen« gebe, stehe in Einklang mit dem Grundgesetz, lobt das Gutachten.

An anderer Stelle besteht aber auch in diesem Paragraf Handlungsbedarf. So müsse eine »Subsidiaritätsregelung« aufgenommen werden, der zufolge der Geheimdienst Wohnungen nur überwachen dürfe, wenn »geeignete polizeiliche Hilfe … nicht rechtzeitig erlangt werden kann«. Auch müsse explizit klargestellt werden, dass bestimmte Gespräche in Wohnungen nicht abgehört werden dürften, weil sie dem absolut geschützten »Kernbereich der privaten Lebensgestaltung« zugeordnet würden. Klarer geregelt werden müsse, in welchen Fällen der Verfassungsschutz Informationen an andere Dienste oder Behörden weitergeben dürfe. Dass er dies, wie jetzt vage formuliert, »zur Erfüllung seiner Aufgaben« tun dürfe, sei viel zu pauschal.

Spätestens mit dem Gutachten sei offenkundig, dass »das ›Kerngeschäft‹ des LfV derzeit auf ganz wackeligen rechtlichen Beinen« stehe, sagt Kerstin Köditz, Innenexpertin der Linken im Dresdner Landtag. Sie mahnt dringend zur Überarbeitung des Gesetzes. Diese hatte Innenminister Armin Schuster (CDU) bereits im Mai angekündigt. Vorgelegt wurde ein entsprechender Entwurf immer noch nicht. Einem Bericht der »Freien Presse« von Ende November zufolge will man offenbar noch ein weiteres Urteil aus Karlsruhe zum VS-Gesetz in Hessen abwarten. Allerdings gab es dazu kurz vor Weihnachten nur eine mündliche Verhandlung zu einem Teilaspekt; der Rest des Verfahrens wurde abgetrennt. Köditz drängt nun darauf, dass das Gesetzgebungsverfahren in Sachsen »überhaupt in Gang kommt«. Neue Aspekte, die sich aus einem Urteil im Fall Hessen ergäben, könnten auch später noch aufgegriffen werden.

Auf »wackligen Beinen« agiert in Sachsen indes womöglich nicht nur der Verfassungsschutz, sondern auch die Polizei. Diese Einschätzung äußerten zumindest Linke und Grüne im Landtag, nachdem CDU und SPD im April 2019 ein neues Polizeigesetz beschlossen hatten. Sie nahmen Anstoß etwa an Regelungen zur Videoüberwachung und der automatisierten Gesichtserkennung. Im August 2019, kurz vor der Landtagswahl, reichten die beiden damaligen Oppositionsfraktionen Klage beim Verfassungsgerichtshof in Leipzig ein. Seither wurden dort zwar Stellungnahmen der inzwischen auch von den Grünen mitgetragenen Regierung und des Landesbeauftragten für Datenschutz geprüft. Eine mündliche Verhandlung, geschweige denn ein Urteil, gab es aber bisher nicht. Das sei »misslich«, sagt Köditz. Sie habe zwar keine Zweifel, dass das Gericht sorgfältig prüfe. Ein problematischer Nebeneffekt sei aber, dass es weiterhin keine Kennzeichnungspflicht für Polizisten gebe. Diese hatte es im Frühjahr 2019 nicht ins Gesetz geschafft, war aber im Herbst in den Koalitionsvertrag von CDU, SPD und Grünen aufgenommen worden – und hängt nun in der Luft, weil das Bündnis erst das Urteil zum Polizeigesetz abwarten will. Selbst wenn dieses 2023 gesprochen wird, zeigt sich das nächste Problem: Je näher die Landtagswahl im Herbst 2024 rückt, um so weniger dürften heiße Eisen etwa im Polizeibereich angefasst werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal