Schlimmste Strafe: Isolation

Wir dürfen die Lebensrealität Gefangener nicht verdrängen, auch wenn das Haftsystem versucht, sie zu isolieren.

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 2 Min.

Rote Backsteinmauern, oben Stacheldraht und an den Ecken des fensterlosen Ungetüms Wachtürme, die in den Himmel ragen: Das Gefängnis in Moabit lässt sich kaum übersehen, zwischen Altbauwohnungen und kleinen Geschäften steht es da wie ein Fremdkörper. So sichtbar der Ort der Bestrafung ist, so unsichtbar sind seine Bewohner*innen. Welche Menschen da hinter Gittern sitzen, weshalb sie ihre Freiheit einbüßen, diese Geschichten werden selten erzählt.

Häftlinge werden nicht nur räumlich isoliert. Einmal hinter Gittern, verlieren sie ihre sozialen Bezüge, werden aus der Öffentlichkeit und damit aus der Gesellschaft verbannt. Nach einer Haftstrafe soll die sogenannte Resozialisierung für neue Triebe eines entwurzelten Lebens sorgen. Doch die Zahlen zeigen, dass einmal herausgerissene Menschen nur schwer in die soziale Verankerung zurückfinden. 60 Prozent aller Berliner Strafgefangenen und Sicherheitsverwahrten sind vorbestraft, ein Großteil saß bereits im Knast.

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Gefängnisse dienen selten dem Schutz der restlichen Gesellschaft. Am 28. Dezember 2022 sitzen 3391 Menschen in Berliner Haftanstalten – 266 von ihnen wegen Ersatzfreiheitsstrafen. Ihr Vergehen war es, arm zu sein, sie müssen Geldstrafen mit ihrer Freiheit bezahlen. Sie und andere Kleinkriminelle einzusperren, ändert nichts an den sozialen Strukturen, die Menschen zu Gesetzesbrecher*innen machen. Nachhaltige Prävention und Sicherheit für alle sieht anders aus.

Solange das Gefängnis als bedrohlicher Klotz Schauergeschichten von bösen Verbrecher*innen erzählt, solange kann der Rest der Gesellschaft die Lebensrealität von Häftlingen entspannt verdrängen. Das Unrecht und die Gewalt, die Gefangene erfahren, kommt dementsprechend selten ans Licht. Selbst im Fall von Ferhat M., der in der JVA Moabit in seiner Zelle verbrannte, verschleppten die Behörden die Aufklärung. Umso wichtiger ist es, immer wieder mit Demonstrationen und Solidaritätsaktionen daran zu erinnern: Da sitzen echte Menschen, wir dürfen sie nicht vergessen.

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