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Abschiebung über Menschenrechte
Thomas Ruttig über den ersten Abschiebeflug der schwarz-roten Koalition nach Afghanistan
Nun hat es Alexander Dobrindt endlich geschafft: Zum ersten Mal seit ihrer Amtsübernahme vor rund zweieinhalb Monaten hat die schwarz-rote Bundesregierung Afghanen ins Taliban-Regime abschieben können. Das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufzunehmen (nach Syrien fehlt das noch), »beginnend mit Straftätern und Gefährdern«, ist erfüllt.
Dem rechten Götzen »Migration als Mutter aller Probleme« (Seehofer 2018) sind 81 weitere Opfer gebracht. Das erfolgte rechtzeitig zum Migrationsgipfel, zu dem Bundesinnenminister Dobrindt die Amtskollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Dänemark und Tschechien sowie EU-Innenkommissar Magnus Brunner am Freitag auf die Zugspitze eingeladen hatte. Dabei sollte es auch um Abschiebung von Flüchtlingen in Drittstaaten gehen.
Der neue Abschiebeminister und Seehofer-Nachfolger auch in dieser Funktion kann sich nach monatelanger Vorarbeit den Schweiß von der Stirn wischen. Sein bajuwarischer Parteichef, der sich jüngst Flieger in Richtung Kabul wünschte und sogar für volle diplomatische Beziehungen zu den Taliban eintritt, wird huldvoll auf seinen Mann in Berlin blicken.
Auch die Ampel-Regierung deportierte nach Afghanistan
Mit 81 Personen brach die Merz/Klingbeil-Regierung (wir wollen die Mitverantwortung der SPD nicht vergessen) dabei gleich den bisherigen Rekord, den des berüchtigten Flugs am 69. Geburtstag des damaligen Innenministers Horst Seehofer im Juli 2018 mit – nein, er habe das so nicht bestellt, alles reiner Zufall – 69 Abgeschobenen.
Nicht zu vergessen: Vor ihr deportierte auch schon die inzwischen aus dem Leben geschiedene Ampel-Koalition 28 Menschen dorthin. Und noch vorher, zwischen 2016 und der Taliban-Machtübernahme im August 2021, schoben Bundesregierungen bereits 1104 Menschen nach Afghanistan ab, darunter – wie stets betont – viele Straftäter, und – weniger betont – auch mancher Kleinkriminelle wie mehrfache Schwarzfahrer. 2017 traf es – in Bayern! – einen Afghanen, der in einem Wirtshaus jemanden mit einem Bierkrug attackiert hatte. Mehr Integration geht eigentlich nicht.
Erst knapp zwei Wochen bevor das bereits umzingelte Kabul an die Taliban fiel, setzte die damalige Große Koalition Abschiebungen nach Afghanistan widerwillig aus. Gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Belgien, Griechenland, Dänemark, den Niederlanden und Österreich übte Seehofer noch danach – unter Mithilfe der EU – Druck auf die schon wankende afghanische Regierung aus, trotz der prekären Sicherheitslage abgelehnte Asylbewerber anzunehmen. Auch jetzt kam Beifall aus Wien, das ebenfalls zu den Taliban abschieben möchte und dies nach dem deutschen Beispiel sicherlich auch bald tun wird.
Amtshilfe durch das Emirat Katar
Erneut versicherte sich die Bundesregierung der Unterstützung des »regionalen Schlüsselpartners« Katar für die neue Massenabschiebung; der Name des Golfstaats wurde erst nach vollbrachtem Start vom Flughafen Leipzig/Halle bekannt gegeben. Die Bezeichnung »Schlüsselpartner« trifft es: Wie bereits im August 2024, als noch unter der Ampel-Regierung 28 Afghanen abgeschoben wurden, bei der ersten deutsche Sammelabschiebeflug direkt in die Arme des Taliban-Regimes, öffnete Katar die Tür nach Kabul.
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Dabei nutzte es seine guten Beziehungen zum Regime des Mullah Hebatullah Akhundzada, auf den der Internationale Strafgerichtshof der UN in Den Haag Anfang Juli einen Haftbefehl wegen der von ihm verantworteten systematischen Entrechtung von Frauen und Mädchen ausstellte. Wieder stellte es ein Flugzeug seiner quasistaatlichen Gesellschaft Qatar Airways zur Verfügung, das die Bundesregierung charterte und bezahlte. Ob deutsche oder, wie beim ersten Mal, katarische Sicherheitskräfte die Abgeschobenen begleiteten, ist bisher nicht bekannt.
Viele der Abgeschobenen sind sicherlich keine Sympathieträger. Einige wurden wegen Sexualdelikten verurteilt, andere wegen wiederholten Drogenverkaufs an Minderjährige. Aber wie die Flüchtlingsräte der Bundesländer in einer gemeinsamen Erklärung feststellten: »Auch Straftäter*innen müssen in Deutschland nach rechtsstaatlichen Prinzipien behandelt werden. Keine Straftat rechtfertigt das Abschieben von Menschen in Folter und unmenschliche Behandlung.«
Bruch mit einem Tabu
Vor allem aber brach die Bundesregierung mit der jetzigen Abschiebung das Tabu, keine politischen Gespräche mit dem Taliban-Regime zu führen. Was sonst ist es, wenn der für Afghanistan zuständige Geschäftsträger, wie der »Spiegel« schreibt, in Kabul mit Vertretern des Taliban-Außenministeriums spricht? Wenn deutsche Diplomaten, wie die Welt berichtete, dort im Flüchtlingsministerium aufkreuzen. (Das Auswärtige Amt dementiert, aber das ist kaum glaubhaft.) Das Argument, dass es sich lediglich um sogenannte technische Kontakte handele, ist so fadenscheinig wie eine alte Burka. Wieder einmal wird deutlich: Im Abschiebewahn müssen Menschenrechte hintenan stehen.
Auch das zweite Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, nämlich dass man mit Straftätern nur »beginne«, wird die Bundesregierung bald wahrmachen. Liebe afghanische Mitbürger*innen, wenn ihr Bahn oder Bus fahrt – kauft immer ein Ticket!
Thomas Ruttig ist unabhängiger Afghanistan-Analyst und lebt in der Nähe von Berlin.
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