Höchste Inflation in der BRD-Geschichte

Preise stiegen im vergangenen Jahr um 7,9 Prozent

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gab wohl kaum ein Thema, das die Menschen vergangenes Jahr so sehr bewegte wie die steigenden Preise. Das spürten die meisten Menschen vermutlich auch rund um Weihnachten. Der traditionelle Kartoffelsalat mit Würstchen kostete fast ein Viertel mehr als ein Jahr zuvor, berechnete das unternehmernahe Institut der deutschen Wirtschaft, und riet zur billigeren Variante mit Essig und Öl statt mit Mayo. Der süddeutsche Kartoffelsalat sei im Schnitt für 1,03 Euro (ca. 15 Prozent) weniger zu bekommen.

Doch wird das zum Jahresende den Braten auch nicht mehr fett gemacht haben. Denn eigentlich alles wurde teurer. Um 7,9 stiegen vergangenes Jahr im Schnitt die Preise, teilte das Statistische Bundesamt aufgrund von vorläufigen Schätzungen am Dienstag mit. Das ist die höchste jährliche Inflationsrate in der Geschichte der Bundesrepublik. 2021 hatte die Teuerungsrate noch 3,1 Prozent betragen und war damit schon ungewöhnlich hoch. Seit 2005 lag die Inflation meist unter der Zielmarke der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent.

Eine Inflationsrate um die acht Prozent wurde allgemein erwartet. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ging von 7,8 Prozent aus, das Münchner Ifo-Institut ebenso. Der Sachverständigen zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung prognostizierte 8,0 Prozent.

Dabei ist der Höhepunkt der Inflation offenbar bereits überschritten. Im Oktober lag sie noch bei 10,4 Prozent, im November bei 10,0 Prozent. Jetzt gab das Statistische Bundesamt für Dezember eine Inflationsrate von 8,6 Prozent an. »Die deutsche Inflationsrate ist im Dezember deutlich zurückgegangen und hat die 10-Prozent-Marke ein ganzes Stück hinter sich gelassen«, kommentierte der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien, die Zahlen. Mit dem deutlichen Rückgang dürfe nun die Kehrtwende bei der Inflation geschafft sein. »Solange es keinen neuen, heftigen Energiepreisschock gibt, dürften wir auf absehbare Zeit in Deutschland nun keine zweistelligen Inflationsraten mehr sehen«, so der Ökonom.

Wichtigster Treiber für den Rückgang der Inflation war laut Dullien ein Abflauen der Energiepreisinflation: »Zum einen hat der Bund im Dezember im Rahmen der Gaspreisbremse die Abschlagzahlung für Gas- und Wärmekunden übernommen, was den für die Inflationsberechnung gemessenen Gaspreis dämpft, zum anderen sind die Benzinpreise seit ihrem Höhepunkt nach der Ukraine-Invasion zurückgegangen.« Der Preis für Superbenzin etwa habe zuletzt kaum noch höher als vor Jahresfrist gelegen.

Schließlich verteuerten sich besonders Energie und Lebensmittel infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Weil Russland seine Gaslieferungen in die EU drosselte, stieg der Großhandelspreis im Sommer zeitweise auf 345 Euro pro Megawattstunde Erdgas und damit auf rund den fünffachen Preis wie vor dem Krieg. Für die Verbraucher*innen in Deutschland bedeuten solche Preissprünge, dass Haushaltsenergie und Kraftstoffe im Dezember noch immer um 24,4 Prozent teurer waren als ein Jahr zuvor, Lebensmittel verteuerten sich im Vergleich zum Vorjahresmonat um 20,7 Prozent.

Auch wenn der Höhepunkt der Inflation bereits überschritten ist, werden auch in diesem Jahr die Preise sehr stark steigen. Das IMK geht von einer Inflationsrate von rund 5 Prozent aus, die Bundesregierung in ihrer Herbstprojektion sogar von 7,0 Prozent. Erst im kommenden Jahr wird sich demnach die Teuerung normalisieren.

Die Folge der Inflation ist ein massiver Kaufkraftverlust der Bevölkerung, weil ihr Geld weniger wert ist. Das Statistische Bundesamt berechnete, dass die Reallöhne im vergangenen Sommer trotz Lohnsteigerungen im Schnitt 5,7 Prozent niedriger waren als ein Jahr zuvor. Dies ist auch ein maßgeblicher Grund für die leichte Rezession, von der Ökonom*innen für diesen Winter ausgehen.

Dennoch machten im vergangenen Jahr Warnungen vor der angeblichen Gefahr einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale die Runde, also, dass hohe Lohnforderungen zu einer noch höheren Inflation führten. Doch mittlerweile halten längst nicht nur linke Ökonom*innen diese These für widerlegt. »Wenn überhaupt, handelt es sich eher um eine Preis-Lohn-Spirale«, sagte etwa jüngst Bundesbank-Chef Joachim Nagel der »Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen«. Die im Augenblick höheren Lohnforderungen der Gewerkschaften nannte Deutschlands oberster Notenbanker angesichts der aktuellen Inflationsraten »verständlich«.

Die Erfahrung zeige, dass die tatsächlichen Tarifabschlüsse meist niedriger liegen als die ursprünglichen Forderungen, so Nagel. »Die bisherigen Abschlüsse blieben meist unterhalb der Inflationsrate.« In der Metall- und Elektrobranche zum Beispiel einigte sich die IG Metall mit den Arbeitgebern auf zwei steuerfreie Einmahlzahlungen und Lohnerhöhungen innerhalb von zwei Jahren in zwei Schritten von insgesamt 8,5 Prozent – und blieb damit bei den prozentualen Lohnsteigerungen unter der Inflationsrate.

Auch die Forderung nach 10,5 Prozent mehr Einkommen, mit der die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Beamtenbund in die Ende Januar anstehenden Verhandlungen für die Beschäftigten von Bund und Kommunen gehen, relativiert sich da. »Selbst wenn unsere Forderungen vollständig erfüllt werden, kann der Reallohnverlust der Jahre 2022 und 2023 nicht voll ausgeglichen werden«, betonte Verdi-Chef Frank Werneke gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. »Die hohe Inflation wird uns weiter beschäftigen«, so Werneke weiter. »Alle Menschen müssen den Kühlschrank voll bekommen, alle haben Anspruch auf eine geheizte Wohnung.«

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