Mein Leben als Cyborg

… oder doch nur als normaler Mensch in unsicheren Zeiten?

  • Rebecca Maskos
  • Lesedauer: 3 Min.

Für Technik interessiere ich mich eigentlich null. Computer? Hauptsache sie funktionieren. Autos? Sollen halt fahren können. Irgendwelche neuen Gadgets? Mir egal. Dennoch: Technik ist aus meinem Leben nicht wegzudenken. Unterm Hintern der Rollstuhl mit vier Rädern, in den Ohren High-Tech-Hörgeräte, die meine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit der Schallstärke eines Presslufthammers überwinden. Nachts pumpt ein Atemgerät passgenau Luft in meine Lungen, damit sie weiterhin einigermaßen gut funktionieren. In meinen Oberschenkeln stabilisieren Metallstäbe meine brüchigen Knochen.

Ich könnte also behaupten, ich sei ein Cyborg, ein »Cybernetic Organism«, ein Mischwesen aus Mensch und Maschine. Damit könnte ich mich auf eine Stufe stellen mit coolen Science-Fiction-Heldinnen oder Computerspielfiguren. Deren Körper werden von der Technik nicht nur ergänzt, sondern verbessert. Ich könnte vielleicht in den Berliner Cyborgs e. V. eintreten und mich beraten lassen, wie ich meine Wahrnehmungsfähigkeiten noch erweitern kann, etwa durch unter der Haut eingepflanzte digitale Sensoren. Für die feministische Philosophie wäre ich, im Anschluss an Donna Haraways bahnbrechendes »Cyborg Manifesto« von 1985, eine Metapher für die Überwindung des Natur-Technik-Dualismus. Sinnbildlich würde ich dafür stehen, dass die Vorstellung eines autonomen, souveränen Subjekts »Frau« eine essenzialistische Illusion ist. Als Cyborg wäre ich eine postmoderne, feministische Ikone, ein Memento dafür, dass wir alle vernetzt sind mit unserer Umwelt und dass genau darin ein emanzipatives, zukunftsweisendes Moment liegt.

Das klingt alles unglaublich aufregend und avantgardistisch – bis mir die Realität im Jahr 2023 wieder einfällt. Bis ich daran denke, dass mein Atemgerät Strom braucht, der in den nächsten Monaten öfter mal ausfallen könnte, und ausserdem funktionierende Mikrochips. Bis meine Hörgeräte nach neuen Batterien verlangen, deren Lieferung, genau wie die der Mikrochips, auf lange Sicht ungewiss ist. Bis mir die nächste Panne mit dem Rollstuhl vor meinem geistigen Auge erscheint, deren Reparatur mangels Fachkraft oft Tage dauern kann und mich damit zum Hausarrest verurteilt. Bis ich daran denke, dass der Klimawandel mitsamt seiner Naturkatastrophen und Hitzewellen mein störanfälliges System zum Einsturz bringen kann.

Tatsächlich bin ich wohl nur ein ganz banaler Mensch, der – wie alle Menschen – von Technik abhängig ist, und damit auch vom Zugang zu ökonomischen Ressourcen. Im Globalen Norden lebend und von Krieg und Krisen bisher verschont geblieben, gehöre ich zu den Privilegierteren unter den behinderten Menschen weltweit – noch. Doch worin sollte sich meine fragile Zukunft qualitativ unterscheiden von jener, die nichtbehinderte Menschen erwartet? Höchstens darin, dass meine Abhängigkeit von Technik augenfälliger und sichtbarer ist als die der Nichtbehinderten, dass sie als »Behindertenhilfsmittel« stigmatisiert ist, im Gegensatz zu den ganzen neuen Gadgets, Autos und Computern, von Fahrrädern und Brillengestellen ganz zu schweigen. Wenn ich Metapher für irgendwas bin, dann vielleicht dafür, dass eine krisenhafte Zukunft uns alle verletzlich macht.

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