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Das Trauerspiel einer Liebe
Ergreifend und erschütternd: Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch
Er kam auf die Zeit mit Ingeborg Bachmann, ihr Glück und Unglück immer wieder zurück. »Das Ende haben wir nicht gut bestanden, beide nicht« – so steht es in »Montauk«, der Erzählung von 1975 über ein Wochenende auf Long Island mit Lynn, einer sehr viel jüngeren Amerikanerin, in der die andere, die einstige Liebe, die Tote, stets gegenwärtig ist. Gesehen hat man sich zuletzt 1963 vormittags in einem römischen Café. Da lag die erste Begegnung, ausgelöst durch einen Brief des Romanciers an die junge, ihm unbekannte Dichterin und Hörspielautorin, fünf Jahre zurück.
Alles begann am 3. Juli 1958 in Paris. »Du trittst in mein Leben, Ingeborg«, meinte Max Frisch, noch liiert mit der Übersetzerin Madeleine Seigner, drei Tage danach, »wie ein langgefürchteter Engel, der da fragt Ja oder Nein.« Sie muss gleich auf eine Entscheidung gedrängt haben; er, »ratlos und zu feig, um über die Stunde hinauszudenken«, schrieb ihr: »Ich will den Sommer mit Dir. Ich bin nicht verliebt, Ingeborg, aber erfüllt von Dir … Du bist schön, wenn man Dich liebt, und ich liebe Dich. Das weiss ich – alles andere ist ungewiss …«
Später, als sie schon ein paar schwierige Jahre hinter sich hatten, wird Max Frisch erklären: »Wir sind halt ein berühmtes Paar geworden, leider, ohne unser Zutun.« Er, der Schweizer, war mit seinen 47 Jahren, als sie sich kennenlernten, längst eine internationale Größe, Autor der Romane »Stiller« und »Homo Faber«, zuletzt mit seinem Stück »Biedermann und die Brandstifter« Triumphator auf den Bühnen der Welt und gerade mit dem Büchner-Preis geehrt. Und auch sie, die Österreicherin Ingeborg Bachmann, 15 Jahre jünger als er, hatte es zu beträchtlichem Ansehen gebracht, umworben und bewundert für ihre Gedichtbände »Die gestundete Zeit« und »Anrufung des großen Bären«. Ihre Liebe, die so abrupt endete, wie sie begann, von wilden Gerüchten, Spekulationen und unvermeidlichen Schuldzuweisungen begleitet, hat Mit- und Nachwelt stark beschäftigt, wobei Frisch die Rolle des Verräters und Bösewichts zufiel und sie als sein hintergangenes, bedauernswertes Opfer erschien.
Wie es wirklich zwischen Juli 1958 und März 1963 war, blieb beider Geheimnis. Ingeborg Bachmann (»ich meine, dass dieser ganze Komplex … für immer in Deinem und meinem Schweigen aufgehoben ist«) hat ihre Briefe nach dem Scheitern der Beziehung umgehend zurückverlangt, worauf Max Frisch aber nicht einging. Sie wollte, dass die Korrespondenz vernichtet wird, und hat viele seiner Briefe auch nicht aufbewahrt. Er, nicht so rigoros, ließ am Ende seine Schreiben (die meist erhalten blieben, weil er sie auf der Maschine tippte und Durchschläge behielt) lediglich 20 Jahre nach seinem Ableben sperren. Man hätte sie 2011 drucken können. Aber erst jetzt, fast 50 Jahre nach dem schrecklichen Brandunfall und Tod der Dichterin im Herbst 1973, haben die Bachmann-Erben einer Veröffentlichung ihrer Briefe zugestimmt.
Der Band, der nun das Drama dieser Liebe dokumentiert, ergänzt mit Briefen von Verwandten, Freunden und Bekannten, bringt es auf über 1000 Seiten. Mehr als 400 davon beansprucht der rühmenswerte Kommentar, mit seiner glänzenden Ausleuchtung des Hintergrunds ein Meisterstück an Gründlichkeit und Sorgfalt. Erzählt wird die erschreckende Geschichte einer Zuneigung, die den Mythen und Mutmaßungen endlich den Boden entzieht.
Dem stürmischen Beginn in Paris folgte nur zwei Tage danach die erste Irritation. Ingeborg Bachmann schwieg, und er fragte: »Ich warte und bange. Kein Zeichen. Du willst, dass wir verschwunden sind für einander.« Dann, Ende Juli 1958, schon ein Satz voller Befürchtungen. Er säße da, schrieb Frisch, und denke: »Wir wären ein Unheil für einander. Aber auch so ist kein Heil …« Bald sprach auch sie von Agonie und Ängsten. Dazwischen Liebesbekundungen. »Du bist meine Freude«, gestand sie. Er wolle ihr Mann sein, erklärte er.
Seit Mitte März 1959 lebten beide in einem Haus bei Zürich. Aber Ingeborg Bachmann hielt es nicht lange. Sie reiste, weil sie nicht die nötige Ruhe zum Arbeiten fand, nach Mailand und Bellagio; im Juni 1959, als Frisch krank war, nach Rom, begleitet diesmal von Hans Magnus Enzensberger, mit dem sie (was dieser Briefband erstmals offenbart) eine Liebesbeziehung einging.
»Dich liebt ein Narr«, meinte Frisch im Juni 1962. Wochen zuvor hatte er gestanden, bis auf den Grund traurig zu sein. Inzwischen wohnten beide in Rom, waren jedoch immerzu unterwegs, zu Lesungen, Theaterpremieren, Verlagsgesprächen oder den Tagungen der Gruppe 47, manchmal gemeinsam, oft aber auch allein. Wer zurückkehrte und die Tür aufschloss, fand die Wohnung häufig verwaist.
Doch selbst die gemeinsamen Tage wurden zur Belastungsprobe. Das zügige Klappern seiner Schreibmaschine empfand sie, von solcher Leichtigkeit weit entfernt, als Zumutung. Meist floh sie dann in ein Café. Ihre Liebe wurde für sie »eine monströse Unmöglichkeit«. Sie stürzte sich in eine neue Beziehung, war vermutlich sogar entschlossen, den italienischen Germanisten Paolo Chiarini zu heiraten. Aber der entschloss sich dann doch, bei seiner Familie zu bleiben. Auch Frisch fand in der 28 Jahre jüngeren Marianne Oellers eine neue Liebe. Sie wurde 1968 seine Frau.
Die Briefe, so hochgestimmt sie beginnen, enden als Trauerspiel. Man liest sie so ergriffen wie erschüttert. Sie sind literarische Glanzstücke, seltene Zeugnisse zweier wunderbarer Schriftsteller, die zwischen Liebe, Eifersucht, Trauer, Bitterkeit, Verzweiflung, Scham und Trennungsabsichten hin- und hergerissen waren und mit ungeheurer sprachlicher Intensität ihre Gedanken und Gefühle ausdrückten.
Ingeborg Bachmann blieb für Frisch ein Rätsel. »Ich werde nie eine Frau verstehen«, schrieb er resigniert. Früher schon, im Mai 1962, hatte er den »schrillen Eindruck, dass Du mir gegenüber mit einer Larve lebst«. Er klagte über ihre beängstigende und verhängnisvolle Flucht in Narkotika, fühlte sich ihr, der Lyrikerin, als Autor unterlegen, hielt sich bloß für einen Unterhaltungsschriftsteller. Sie dagegen hatte den Eindruck, nicht gleichberechtigt zu sein, manchmal wie ein Kind behandelt zu werden: »Ich stehe von Anfang an etwas unter Dir oder hinter Dir … Ich bin aber, wenn ich nicht bei Dir bin, auch erwachsen, einem Mann gewachsen und lasse mir, wie die Brechtmädchen sagen würden, ›nichts gefallen‹.«
Max Frisch stand nach ihrem Tod als rücksichtsloser Egomane da. Er habe Ingeborg Bachmann, hieß es, in seinem Roman »Mein Name sei Gantenbein«, der noch während ihrer gemeinsamen Zeit entstand, bloßgestellt und missbraucht, sie in die Depression getrieben, sogar ihren frühen Tod mitverursacht. Der Grund: Seine Figur der Lila offenbare Ähnlichkeiten mit ihr. Die Legende, von ihr selber in die Welt gesetzt und im Lauf der Zeit von der Bachmann-Gemeinde zementiert, erweist sich jetzt als reine Erfindung. So wie sie Anfang 1961 Frisch ihre Erzählung »Ein Wildermuth« zur Begutachtung gab und er ausführlich seine Eindrücke mitteilte, so überließ er ihr zur Prüfung auch sein »Gantenbein«-Manuskript. Sie las, teilte ihm ihre Einwände und Korrekturwünsche mit und bekundete schließlich ihr Einverständnis. Das mehrfach überarbeitete Buch wurde von Frisch erst aus der Hand gegeben, »nachdem ich alle deine Notizen lesend, die früheren wie die letzten, alles, was das Persönliche betrifft, nochmals durchgeprüft habe und im Sinn deines Wunsches gestrichen oder geändert habe«.
Spuren dieser desaströsen Liebe finden sich im Werk, direkter in Frischs »Montauk«, verschleierter in Bachmanns Roman »Malina« und im Todesarten-Projekt. Die ganze, die wirkliche Geschichte steht in ihren Briefen. Und dort auch der Satz von Max Frisch, der sich wie ein Resümee liest: »Ich sehe einen wilden und schäumenden Strudel der Eigenliebe, herrlich als Anblick, aber wer sich hineinwirft, sollte nicht verwundert sein, wenn er nicht getragen wird und als Wrack herauskommt.«
Ingeborg Bachmann/Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht«. Der Briefwechsel. Hg. v. Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann. Piper/Suhrkamp, 1039 S., geb., 40 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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