• Berlin
  • U-Bahn Ausbau in Spandau

Unterirdisch gleich bis zum Hahneberg

Die Berliner SPD trommelt weiter für mehr U-Bahn und bescheinigt sich Ideologiefreiheit in Verkehrsfragen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

»Ich will die Mobilitätswende«, sagt Raed Saleh. »Ich wünsche mir auch in den Außenbezirken zusätzliche Radwege und mehr Verkehrssicherheit«, unterstreicht der Berliner SPD-Fraktionschef und Co-Landesvorsitzende, um nahtlos in den Angriff auf Mobilitätssenatorin und Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch überzugehen: »Elf Kilometer Radweg grün anstreichen reicht nicht für eine Mobilitätswende.«

Ganz besonders im Blick hat der Spandauer Parlamentarier die U-Bahn. »Welche Form der Mobilität ist umweltfreundlicher als eine U-Bahn?«, fragt Saleh. Sie sei nicht nur die schnellste, sondern die sauberste Form. Man müsse »wegkommen von Ideologie und Scheuklappen«. Damit meint er die Grünen, die wie die Linke vor allem das Straßenbahnnetz ausbauen wollen.

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Für Saleh, den Vorsitzenden der SPD Spandau, hat die untersuchte Verlängerung der U7 vom Rathaus Spandau bis unter die Heerstraße größte Priorität. Doch vor einigen Wochen erklärte Senatorin Jarasch, dass zunächst die Verlängerung der U3 um eine Station von Krumme Lanke zum Bahnhof Mexikoplatz der S1 und das Lieblingsprojekt der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die Erweiterung der U7 von Rudow bis zum Flughafen BER, genauer untersucht würden. Grund seien noch nicht besetzte Planerstellen.

Für Saleh, einen der mächtigsten Politiker der Stadt, war das ein Affront. Dieser wurde allerdings zwischenzeitlich bereinigt. Auf »nd«-Anfrage erklärt Verwaltungssprecher Jan Thomsen: »Die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (SenUMVK) startet die Vorbereitung der Kosten-Nutzen-Untersuchung für die Verlängerung der U7 von Rathaus Spandau zur Heerstraße: Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist die Stelle besetzt, die ausschließlich für dieses Projekt vorgesehen ist.« Zunächst hatte die »Berliner Zeitung« berichtet. Und so bleibt Saleh nichts anderes übrig, als sich zu bedanken, dass der Fehler korrigiert worden sei. Das finde er gut.

4,3 Kilometer neuer Tunnel, teilweise unterirdisch im Schildvortrieb, teilweise in offener Bauweise erstellt, sollen die U7 vom Rathaus Spandau bis unter die Heerstraße zum Endpunkt am Magistratsweg führen. 35 000 bis 40 000 Fahrgäste werden auf der am Besten bewerteten Variante erwartet.

578 Millionen Euro soll der Bau der Strecke mit fünf neuen Stationen laut der im November 2020 fertiggestellten Machbarkeitsstudie der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) kosten. Hinter das Preisschild muss man allerdings ein dickes Fragezeichen machen. Es ist gut möglich, dass am Ende der genaueren Untersuchung die doppelte Summe steht. In Hamburg werden für 2,6 Kilometer neue U-Bahnstrecke der U4, die seit November 2020 im Bau ist, Kosten von 465 Millionen Euro angenommen. Für das Spandauer Projekt entspräche das 770 Millionen Euro – und die Baupreise sind in den vergangenen zwei Jahren regelrecht davongaloppiert.

Ein Baubeginn wäre laut BVG im Jahr 2028 möglich, die Fertigstellung im Jahr 2035. Untersucht werden soll laut Angaben des SPD-Haushälters und Bahnexperten Sven Heinemann auch eine Verlängerung um weitere rund 800 Meter bis zu den Füßen des Hahnebergs. Denn der Parkplatz des ehemaligen Grenzübergangs von West-Berlin zur DDR würde sich als Park-and-Ride-Platz eignen.

Vor einem möglichen Baubeginn steht allerdings die Kosten-Nutzen-Untersuchung an. Bei ihr muss ein Wert über eins herauskommen – nur dann fließt die 75-prozentige Bundesförderung. Ob das gelingt, muss sich noch erweisen. Im vergangenen Jahr scheiterten zwei S-Bahnprojekte in Brandenburg an dieser Hürde.

»Ich wäre dankbar, wenn wir mit München und Hamburg auf ein Level kommen, wo völlig ideologiefrei U-Bahnen gebaut werden«, sagt der SPD-Politiker Sven Heinemann. Hamburg ist allerdings das denkbar schlechteste Beispiel für Ideologiefreiheit, denn dort wurden Ende 2010 die Vorbereitungen für die Wiedereinführung der Straßenbahn abgebrochen. Der 2011 neu gewählte Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der heutige Bundeskanzler, wollte den Bau auch nicht wieder aufnehmen. »Die Stadtbahn ist nicht realistisch. Das bedeutet 100 oder 200 Kilometer Fahrbahn zu beseitigen. Dauerstau für Jahrzehnte«, sagte er damals.

Stephan Machulik, Spandauer Abgeordneter und verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, erklärt, dass Straßenbahn- und U-Bahnprojekte nicht miteinander in Konkurrenz stünden. Das stimmt allerdings nicht in Bezug auf die Förderlogik des Bundes. Da sie sich in den Prognoserechnungen gegenseitig die Fahrgäste abgraben, ist eine parallele Realisierung in der Regel nicht möglich.

Der Berliner Fahrgastverband IGEB lehnt die U-Bahn zur Heerstraße ab. »Bisher wurden bei jeder Streckeneröffnung massiv Busleistungen zusammengestrichen, um der U-Bahn Fahrgäste zuzuführen. Das bedeutet Umsteigezwänge und weitere Wege zu den Bahnhöfen, denn der Stationsabstand ist etwa doppelt so lang wie beim Bus«, sagt IGEB-Sprecher Jens Wieseke »nd«. »Die Straßenbahn mit Baukosten von einem Zehntel pro Kilometer im Vergleich zur U-Bahn wäre das ideale Verkehrsmittel für die Heerstraße«, so Wieseke weiter. »Sie könnte eine gute Erschließung, eine hohe Kapazität und Verbindungen nicht nur zum Bahnhof Spandau, sondern auch Richtung Charlottenburg gewährleisten.«

Dass die Berliner SPD bei der Tram nicht ganz ideologiefrei ist, verrät Verkehrspolitiker Machulik dann auch selbst. »Ich finde eine Straßenbahn immer besser als einen Bus. Damit habe ich nicht viele Freunde in meiner Partei«, sagt er.

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