Die zwei Geschwindigkeiten der SPD

Vorstand fordert auf Klausur schnellen Ausbau der Infrastruktur und schiebt die Steuerdebatte auf

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Die SPD-Spitze hat bei ihrer zweitägigen Klausur zwei große Themen besprochen. Zum einen geht es um die Infrastruktur. »Eine gute Infrastruktur ist der Garant für wirtschaftlichen Erfolg«, sagte Parteichef Lars Klingbeil zum Abschluss am Montag vor Journalisten in der Berliner Parteizentrale. In Deutschland gebe es da noch viel zu tun. Klingbeil sprach die Unpünktlichkeit von Zügen, den maroden Zustand von Brücken und Netzen sowie den schleppenden Ausbau der Digitalisierung und von Windkraftanlagen an. In Zukunft soll nach dem Willen der Sozialdemokraten schneller genehmigt und gehandelt werden. Sie werben für eine bessere Planungssicherheit für Investitionen und mehr staatliche Beteiligung an Energie-, Mobilitäts- und Kommunikationsnetzen.

Für die Infrastruktur ist im Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz allerdings nicht die SPD, sondern ein FDP-Politiker zuständig. Verkehrsminister Volker Wissing plant, ähnlich wie das auch die Sozialdemokraten wollen, ein Infrastruktur-Beschleunigungsgesetz. Doch dem stehen bisher die Grünen entgegen. Umweltministerin Steffi Lemke pocht darauf, dass es nur dort beschleunigte Verfahren geben soll, wo es auch dem Klimaschutz dient. SPD und FDP fordern hingegen, dass die Beschleunigung auch für den Ausbau von Straßen gelten soll.

Auch beim zweiten zentralen Thema der SPD liegt die Verantwortung derzeit bei den Freien Demokraten. Damit der Staat nach den sogenannten Entlastungspaketen handlungsfähig bleibt und sich etwa bei den Investitionen in die Infrastruktur nicht zurückhalten muss, soll das Steuersystem umgebaut werden. Die Sozialdemokraten waren mit Forderungen nach höheren Abgaben für Spitzenverdiener und Vermögende in den Wahlkampf 2021 gezogen, hatten sie aber in den Koalitionsverhandlungen schnell wieder begraben und das Finanzministerium dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner überlassen.

Nun stellte die SPD-Führung auf ihrer Klausur fest, dass die Verteilung von Kosten und Gewinnen »nicht zu wachsenden sozialen Verwerfungen führen« dürfe. Doch die Mühlen in der SPD mahlen langsam, wenn es um mehr Gerechtigkeit geht. Auf der Klausur wurde lediglich eine elfköpfige Kommission eingesetzt, die für den Bundesparteitag Ende des Jahres ein finanz- und steuerpolitisches Konzept vorlegen soll. Die Leitung dieses Gremiums übernehmen die beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil. Vermutlich wird das Konzept Teil des SPD-Wahlkampfes 2025 und nicht ernsthaft in der gegenwärtigen Bundesregierung diskutiert, wenn es vorliegt.

Um Wahlkämpfe ging es auch auf der Klausur. In diesem Jahr stehen vier Landtagswahlen an. Den Beginn macht am 12. Februar Berlin, weil die Wahl zum Abgeordnetenhaus nach zahlreichen Pannen wiederholt werden muss. Die SPD stellt mit Franziska Giffey die Regierende Bürgermeisterin. Sie trat zusammen mit Klingbeil bei der Pressekonferenz auf und musste sich dort zur Gewalt während der Silvesternacht in Teilen der Bundeshauptstadt äußern. Die Sozialdemokratin sprach sich unter anderem für eine Verschärfung des Waffen- und Sprengstoffrechts aus, um etwa den Kauf von Schreckschusspistolen zu erschweren. Darüber müssten allerdings noch die Innenminister von Bund und Ländern diskutieren, so Giffey.

Nach aktuellen Umfragen hat die Sozialdemokratin Chancen, nach der Wahl Regierungschefin zu bleiben und die Koalition mit Grünen und Linkspartei fortzusetzen. In anderen Bundesländern hatte, ebenso wie im Bund, zuletzt die Union die Nase vorn. Das gilt auch für Hessen, wo im Herbst ein neuer Landtag gewählt wird. Es halten sich Gerüchte, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser zurück in ihr Bundesland geht und dort den Wahlkampf der SPD anführen wird. Sollte der Fall eintreten, müsste Scholz sein Kabinett umbauen.

Um eine andere Personalie ist es zuletzt etwas ruhiger geworden. Diverse Medien sowie die Union hatten sich auf Verteidigungsministerin Christine Lambrecht eingeschossen, nachdem die SPD-Politikerin in einem zum Jahreswechsel auf der Plattform Instagram verbreiteten Video zum Krieg in der Ukraine gesagt hatte: »Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte – viele, viele Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen.« Auch in der eigenen Partei fanden viele Politiker diese Worte peinlich, einmal abgesehen von der schlechten Qualität des Videos.

Bisher sieht es aber danach aus, als ob die Ministerin im Amt bleiben und die Probleme aussitzen will. Lambrecht hat erst kürzlich einen Reformplan für die Bundeswehr vorgelegt, der zwar als Verschlussache gilt, aber trotzdem einigen Medien zugespielt wurde. In dem Papier werden 200 Maßnahmen benannt, mit denen die Verteidigungsministerin die »Einsatzbereitschaft und Funktionalität der Bundeswehr kurz-, mittel- und langfristig steigern« will. Um den Personalbestand aufzustocken, wird in dem Bericht ein »nachhaltiges Vielfaltsmanagement« vorgeschlagen. Mehr Frauen und Deutsche mit einem sogenannten Migrationshintergrund sollen für den Dienst bei der Armee begeistert werden. Die Absenkung von Qualitätsanforderungen wird zudem nicht ausgeschlossen.

Außerdem steht Lambrecht bei den Waffenlieferungen an die Ukraine im Fokus. Sie hatte kürzlich die Lieferung von einer Patriot-Feuereinheit und bis zu 40 Schützenpanzern des Typs Marder mit ihrem US-Amtskollegen Lloyd Austin abgesprochen. Klingbeil kündigte nach der Klausur an, dass die Unterstützung für die Regierung in Kiew im Krieg mit Russland weitergehen werde. Zur Forderung, die von Politikern von FDP und Grünen erhoben wird, der Ukraine auch Kampfpanzer vom Typ Leopard zur Verfügung zu stellen, äußerte sich der SPD-Chef nicht direkt. Auch zu seiner angeschlagenen Verteidigungsministerin wollte Klingbeil nicht näher ins Detail gehen. »Wir haben auf der Klausur nicht das Verhalten von Ministern bewertet«, teilte er mit.

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