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  • Campus Bogensee und Studentendorf Schlachtensee

Im Osten Protz, im Westen Sichtbeton

Eine Fotoausstellung stellt dem Studentendorf Schlachtensee den Campus Bogensee gegenüber

Möglichst transparent sollte es sein. Das Studentendorf Schlachtensee wurde von den Alliierten als demokratiefördernde Maßnahme gebaut.
Möglichst transparent sollte es sein. Das Studentendorf Schlachtensee wurde von den Alliierten als demokratiefördernde Maßnahme gebaut.

Eine Architektur der Begegnung – darauf weist Bettina Widner bei der Führung durch das Studentendorf Schlachtensee immer wieder hin. Die Vorständin der Genossenschaft, die den Gebäudekomplex in Steglitz-Zehlendorf verwaltet, deutet auf einen Flur, der zu den Privatzimmern führt. »Die sind extra so eng, da kann man nicht einfach aneinander vorbeilaufen, sondern man muss Blickkontakt aufnehmen.« Die Eingangshallen der Wohnhäuser sind groß und mit Fenstern im Dach und Treppenhaus vom Tageslicht durchflutet, die Zimmer mit zehn Quadratmetern klein, jedes Stockwerk verfügt über eine Küche und durchschnittlich zweieinhalb Studierende teilen sich ein Bad. Den Trend Richtung Einzelappartements gehe das Dorf bewusst nicht mit, sagt Widner. »Es gibt unzählige wunderbare Geschichten von Menschen, die sich hier kennengelernt haben, und sei es, weil es einen Konflikt gibt, wer die Teller abwäscht.«

Am Montagabend empfängt das Studentendorf im Südwesten Berlins hohen Besuch. Die Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) ist vorbeigekommen, um eine Fotoausstellung zu eröffnen: An einer Wand hängen Aufnahmen von den grau-weißen und lichtdurchlässigen Kubus-Bauten des Studentendorfs Schlachtensee, in den 1950ern von den Alliierten finanziert und gebaut, um Studierenden der Freien Universität ein demokratieförderndes Zuhause zu bieten.An der Wand gegenüber werden Fotos des Campus Bogensee ausgestellt. Eine merkwürdige Kombination aus prunkvollen Säulesälen, Palastbauten und Platte, die ursprünglich als Ferienresidenz für Joseph Goebbels erbaut wurde und in der DDR der FDJ als Ausbildungsstätte diente, verfällt langsam im brandenburgischen Wald bei Wandlitz.

»Berlin Ost West Ost« heißt die Ausstellungsreihe der Henselmann-Stiftung. Das Fotografenpaar Arlett Mattescheck und Thomas Hedrich, sie mit ostdeutschem, er mit westdeutschem Hintergrund, nähern sich dem Städtebau und der Architektur aus den zwei Berlins mit einem künstlerischen Blick. Nicht als Gegensätze, sondern als gemeinsame, sich gegenseitig beeinflussende Entwicklung von urbaner Kultur lassen sich die Denkmäler des geteilten Deutschlands verstehen. In diesem Sinne soll auch die Zukunft des Campus Bogensee von der Geschichte des Studentendorfes Schlachtensee lernen. Letzteres war in den Neunzigerjahren vom Abriss bedroht, wurde dann aber von engagierten Bewohner*innen gerettet und als Lebensraum wie als historische Stätte erhalten.

Eine ähnliche Zukunft wünscht sich Bundesbauministerin Geywitz für Bogensee. »Uns hat heute die Frage beschäftigt, wie wir mit dem unbequemen Erbe des 20. Jahrhunderts umgehen«, erzählt sie in ihrer Eröffnungsrede von einem vorherigen Treffen mit Vertreter*innen aus Kommunalpolitik und Denkmalschutz. »Hier sind wir an einem Ort, der diese Herausforderung schon gemeistert hat.« Es sei Sensibilität gefragt und Mut, um dem Abriss eine restaurative Lösung entgegenzusetzen.

Wie diese Lösung aussehen könnte, steht indes noch offen. Andreas Barz, Vorstand der Genossenschaft Studentendorf Schlachtensee, bringt ein internationales Studentendorf im Vorbild der Pariser »Cité Universitaire« ins Gespräch, oder eine Wohn- und Begegnungsstätte für Akademiker*innen. Vor allem aber freut er sich, dass in den kommenden Monaten der Diskurs um die Zukunft des Campus Bogensee erstmals mit den verschiedenen politischen Ebenen geführt wird. »Abreißen und hoffen, dass sich die Geschichte totalitärer Herrschaften nicht mehr wiederholt, ist eine gewagte Hoffnung«, spricht auch er sich gegen eine brachiale Lösung aus.

Daniel Kurth möchte nicht nur schwärmen. Natürlich sieht der SPD-Landrat die »großartige Architektur mitten im Wald« in seinem Landkreis Barnim, die nicht einfach weiter verfallen sollte. Aber von der Idee, mit einem renovierten Schmuckstück im Wald auf die prekäre Wohnsituation der Hauptstadt zu reagieren, ist er nicht überzeugt. Er weist auf die komplizierten Zuständigkeiten hin: Die denkmalgeschützte ehemalige FDJ-Jugendhochschule gehört dem Land Berlin, ihm obliegt also die Entscheidung, wie zukünftige Pächter das Gelände nutzen und gestalten.

Für alle notwendigen infrastrukturellen Maßnahmen, die den Ort erst zugänglich, bewohnbar und akademisch nutzbar machen, wären hingegen unterschiedliche politische Ebenen in Brandenburg zuständig. Für eine Kita die Gemeinde, für den Ausbau des ÖPNV der Landkreis, für die Schaffung einer universitären Institution das Land, zählt Kurth ein paar Beispiele auf. »Es müsste schon sehr viel Geld in die Hand genommen werden.« Geld, das die Kommunalpolitik nicht ohne eigenen Nutzen in die Wohnträume der Hauptstadt-Akademia stecken will, klingt es bei dem Landrat durch.

Ohnehin liege den Menschen vor Ort der Campus Bogensee nicht sonderlich am Herzen, erzählt Reinhold Dellmann, Vorsitzender des Landesdenkmalbeirats. »Es liegt wirklich so tief im Wald, dass es viele gar nicht kennen. Manchmal fahren Leute dort zum Wandern hin, aber es gibt keinen emotionalen Bezug.« Zum Glück interessiere der Ort nicht einmal die Rechten. Dass sich jetzt endlich die zuständigen Entscheidungsträger*innen zusammensetzen, begrüßt Dellmann. »Das hat bisher nicht stattgefunden. Insbesondere das Land Berlin war da sehr zurückhaltend.«

Bereits jetzt kostet der Campus Bogensee das Land Berlin jedes Jahr rund eine Viertel Million Euro. Geld, das nicht in die Sanierung fließt, sondern allein in die Pflege, Sicherung und Bewachung des 168 500 Quadratmeter großen Areals. Allein deshalb wäre eine Lösung für den Campus Bogensee im Sinne der Hauptstadt.

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