»Der Klimawandel ist für uns schon real«

Landwirtin Inka Baumgart wirbt für mehr Diversität im ländlichen Raum und klimagerechte Höfe

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 5 Min.

Anlässlich der Grünen Woche findet am Samstag wieder die »Wir haben es satt«-Demonstration in Berlin statt. Welche Themen gehören für Sie auf die Transparente?

Flächenfraß stoppen und einen gerechten Zugang zu Ackerland für Landwirt*innen sicherstellen. Außerdem Care-Arbeit auf den Höfen anerkennen und faire Arbeitsbedingungen für alle Menschen in der Landwirtschaft. Und ganz aktuell: Niemand braucht Kohle, aber alle brauchen Landwirtschaft. Jeder Hof zählt, auch Lützerath.

Interview


Inka Baumgart (21) ist in der jAbL, einer Gruppe junger Landwirt*innen in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, aktiv. Der Verband gehört zu den Organisator*innen der seit 2011 jährlich stattfindenden Demonstration »Wir haben es satt«. Nach ihrer Ausbildung zur Landwirtin auf verschiedenen Höfen studiert Baumgart heute am Standort Witzenhausen der Universität Kassel ökologische Landwirtschaft.

Beim Thema fairer Zugang zu Boden gibt es bereits erste Gesetzentwürfe gegen Spekulation und Landgrabbing, etwa in Brandenburg. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Stellschrauben?

Das sind einmal die sogenannten Share Deals. Dabei umgehen Käufer*innen die Grunderwerbsteuer, indem sie nur anteilig Fläche erwerben. Ein anderer Weg, das Vorkaufsrecht von Landwirt*innen zu umgehen, ist die Praxis, einen ganzen Betrieb zu kaufen, weil man so nicht das Ackerland, sondern die Firma kauft, der das Land gehört. In beiden Fällen könnte man gesetzlich etwas ändern. Und dann gibt es noch das ehemalige staatseigene Land der DDR – bisher sind knapp 90 Prozent der Fläche privatisiert worden. Die verbleibenden zehn Prozent dürfen nicht mehr meistbietend verkauft werden, das ist auch dank des bäuerlichen Drucks heute Konsens. Wenn öffentlicher Besitz verkauft oder verpachtet wird, sollte das zukünftig zum Beispiel an Klimaschutzauflagen oder die Förderung ländlicher Räume gekoppelt sein.

Unsichtbare Care-Arbeit, Burn-out, veraltete Familienstrukturen – was muss auf den Höfen selbst verändert werden?

Generell braucht es eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Care-Arbeit in allen betroffenen Berufen in der Pflege, Bildung oder Erziehung. Und auch in der Landwirtschaft. Hier haben wir oftmals noch sehr starre Geschlechterbilder, die Menschen bewusst oder unbewusst ausgrenzen. Wir fordern eine selbstbestimmte Arbeitsteilung auf den Höfen und eine Anerkennung sowie Sichtbarmachung von Sorgearbeit. Wir würden gern mehr Frauen und andere Geschlechter in die Landwirtschaft bringen, diverser werden. Gleichzeitig müssen wir ländliche Gebiete zu einem sicheren Raum für diese Menschen machen.

Hinzu kommt eine immense Arbeitsbelastung.

Wir haben ein starkes Problem mit Burn-out und auch mit Suiziden. Deshalb ist es wichtig, in der Ausbildung und im Berufsalltag deutlich zu machen, dass körperliche und psychische Grenzen für alle gelten. Zudem müssen wir den wirtschaftlichen Druck vermindern, der auf den Betrieben lastet. Arbeitszeiten bis zu 80 Stunden pro Woche sind die Regel, besonders für selbstständige Menschen. Auch für Angestellte ist eine 40-Stunden-Woche oft die Ausnahme. Dafür brauchen wir eine Veränderung der vorherrschenden Arbeitsmoral, höhere Preise für Erzeuger*innen und bessere Löhne für Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten. Gleichzeitig darf das nicht zulasten von Menschen gehen, die wenig Geld haben, um Lebensmittel zu kaufen. Auch deshalb müssen wir uns stärker mit anderen sozialen Bewegungen verbinden, verlässliche Bündnisse schaffen und Projekte gemeinsam entwickeln.

In der Klimagerechtigkeitsbewegung ist die junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft bereits aktiv, es gab Workshops auf dem Klimacamp 2022 in Hamburg, es waren Aktivist*innen in Lützerath, um gegen den Braunkohleabbau zu protestieren. Wie klappt es mit der Bündnisarbeit?

Für uns als Bäuer*innen ist klar, dass der Klimawandel real ist, nicht in 50 Jahren, sondern heute. Landwirt*innen leiden darunter, wenn sie in den vergangenen Jahren nicht genug Futter für ihre Tiere hatten, ihre Ernte miserabel ausgefallen ist, wenn Starkregen ihren Ackerboden auf die Straße gespült hat. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass die Landwirtschaft Teil des Problems ist, weil sie rund zehn Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verursacht. Deshalb versuchen wir zum einen, die Landwirtschaft klimafreundlicher zu machen, und unterstützen zum anderen die Klimagerechtigkeitsbewegung in ihren Forderungen.

Wie sieht das konkret aus?

Vor allem durch Bildungsarbeit, weil wir feststellen, dass vielen Aktivist*innen die Realität der Landwirt*innen fern ist. Leute sind auch innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung manchmal überrascht, wenn wir sagen: Ich erlebe jeden Tag am eigenen Leib, wie schlimm die Folgen des Klimawandels sind. Die Resonanz ist äußerst positiv. Viele Aktivist*innen sind sehr interessiert an unseren Kämpfen. Wir versuchen, den Forderungen der Bewegung mit unserer Perspektive mehr Ausdruck zu verleihen, indem wir sagen: Wir sind offen dafür, die Klimaziele einzuhalten und unseren Betrag zu leisten.

Aber ohne Konflikte geht das sicher nicht?

Die Konflikte sind nicht so groß, wie man meinen könnte. Ein Konflikt ist die Tierhaltung. Da ist unsere Position klar: Wir wollen eine bäuerliche, klimaangepasste Tierhaltung. Dafür müssen wir in Deutschland die Tierzahlen reduzieren, große Bestände abbauen und die Umgestaltung der Tierhaltung sozial verträglich gestalten. Ein anderer vermeintlicher Konfliktpunkt ist die vegane Ernährung. Wir sehen, dass diese klimapositiv ist, und begrüßen deshalb diesen Trend. Wir sind aber nicht der Meinung, dass wir in den nächsten Jahren auf Tiere verzichten können oder wollen.

Die Demonstration »Wir haben es satt« steht für die Forderung nach einer Agrarwende. Was ist Ihr Bild für eine zukunftsfähige Landwirtschaft?

Ich möchte, dass das Bild von Landwirtschaft nicht von weißen Cis-Männern auf Traktoren mit vermeintlich gesunden Körpern bestimmt wird, sondern vielfältiger ist und sich dadurch mehr Menschen auf den Betrieben und im ländlichen Raum willkommen fühlen. Dann wünsche ich mir eine kleiner strukturierte Landwirtschaft, die verantwortungsvoll mit Ressourcen umgeht und gutes Essen für alle erzeugt. Außerdem haben wir durch gemeinsame Anstrengungen die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad begrenzt, können einigermaßen sicher Landwirtschaft betreiben und erleben nicht mehr, dass Landwirt*innen zugunsten fossiler Projekte enteignet werden.

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