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  • Vietnamesischer Geheimdienst

Politisch motivierte Freiheitsberaubung

Vietnamesischer Fahrer eines Entführungswagens ist in Berlin zu fünf Jahren Haft verurteilt worden

  • Marine Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Prozess wegen der Entführung des früheren vietnamesischen Wirtschaftsfunktionärs Trinh Xuan Thanh im Jahre 2017 muss ein Tatbeteiligter für fünf Jahre in Haft. Das entschied das Berliner Kammergericht am Montag nach einer dreimonatigen Beweisaufnahme. Anh Tu L., vietnamesischer Kraftfahrer aus Prag und zum Tatzeitpunkt 26 Jahre alt, werden geheimdienstliche Agententätigkeit und Beihilfe zur Freiheitsberaubung vorgeworfen. Damit entspricht das Kammergericht dem Antrag der Generalbundesanwaltschaft.

Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert, weil sie davon ausging, dass der Angeklagte, der kein Mitarbeiter des vietnamesischen Geheimdienstes war, sich nicht wissentlich für eine Entführung hat anwerben lassen, sondern lediglich seinen Job als Kraftfahrer ausübte. Dass das Urteil fünfeinhalb Jahre nach der Tat gesprochen wurde, liegt daran, dass sich der Angeklagte 2017 nach Vietnam abgesetzt hatte und erst im vergangenen Jahr wieder nach Europa gereist ist.

»Wie in einem Agententhriller« sei die Tat abgelaufen, konstatierte der Vorsitzende Richter Ralf Fischer. Mitten in der deutschen Hauptstadt habe ein ausländischer Geheimdienst am hellichten Tage unter Zeugen zwei Personen entführen können. Neben Trinh Xuan Thanh wurde auch dessen Geliebte verschleppt. Sie ging gerade mit ihm gemeinsam spazieren.

Der vietnamesische Staat hatte Trinh Xuan Thanh seit 2016 wegen eines Wirtschaftsvergehens gesucht. In diesem Fall war er ein Jahr zuvor freigesprochen worden. Doch Anfang 2016 war auf einem Parteitag der Kommunistischen Partei der westlich orientierte Flügel der Wirtschaftsreformer, dem Trinh Xuan Thanh angehörte, ins Hintertreffen geraten. Zahlreiche Angehörige dieses Flügels der einzigen legalen Partei in Vietnam wurden wegen angeblicher oder tatsächlicher Wirtschaftsvergehen oder Korruption vor Gericht gestellt.

Trinh Xuan Thanh gelang es im August 2016, aus seinem Hausarrest zu entkommen und mit seinem Diplomatenpass über Laos, Thailand und die Türkei nach Deutschland zu fliehen. Hier griff er in einem offenen Brief die vietnamesische Parteiführung politisch an und erklärte seinen Austritt aus der Partei. Trinh Xuan Thanh beantragte Asyl in Deutschland. Vietnam hatte seine Auslieferung beantragt. Doch da der Auslieferungsantrag weder juristisch begründet noch von einem Richter unterschrieben war, kam die Bundesrepublik dieser Forderung nicht nach.

»Spätestens Anfang Juli 2017«, so der Vorsitzende Richter, entschied Vietnams Innenminister To Lam darum, Trinh Xuan Thanh durch den Geheimdienst entführen zu lassen. Er wurde 2018 in einem nicht rechtsstaatlichen Verfahren seines Heimatlandes zu zwei Mal lebenslanger Haftstrafe verurteilt und sitzt bis heute in Haft. Die Entführung führte zu einem diplomatischen Konflikt zwischen Deutschland und Vietnam, der bis heute nicht ausgeräumt ist.

Eine entscheidende Frage sei es für den Strafsenat gewesen, warum sich der vietnamesische Geheimdienst neben den eigens aus der Hauptstadt Hanoi eingeflogenen Geheimdienstlern und vietnamesischen Diplomaten auch externer Mitarbeiter bediente. Er wollte, so die Antwort, die Involvierung von Diplomaten verschleiern. Während der Entführung waren hauptsächlich keine Diplomatenfahrzeuge und keine Diplomaten als Fahrer eingesetzt worden, sondern der Angeklagte und eigens für ihn gemietete Leihwagen.

Damit sie zuverlässig arbeiten, mussten die externen Mitarbeiter in den Tatplan eingeweiht werden, erklärte das Gericht. Das sei auch durch die zahlreichen meist sehr kurzen Telefongespräche belegt, die Anh Tu L. während der geheimdienstlichen Operation mit hochrangigen Geheimdienstoffizieren führte. Als die Entführungsopfer gekidnappt wurden, saß der Angeklagte nach Überzeugung des Gerichtes am Steuer des Tatfahrzeuges. Dort wurde DNA-Material von ihm gefunden. Später fuhr er entweder das Entführungsopfer oder Teile der Entführungsmannschaft in die slowakische Hauptstadt Bratislava, wo sie ausgeflogen wurden.

»Wir haben als Strafsenat erwogen, den Angeklagten nicht nur wegen der Beihilfe zur Freiheitsberaubung, sondern wegen Freiheitsberaubung zu verurteilen«, sagte der Vorsitzende Richter. Dafür spreche die große Zahl seiner Taten, die Ausspähung, Entführung und Transport der Opfer umfassten. Dann wäre das Strafmaß des in der Bundesrepublik wegen illegalen Waffenbesitzes vorbestraften Mannes höher ausgefallen. Doch das Gericht hat den Gedanken wieder verworfen, weil der Angeklagte lediglich eine untergeordnete Position in der Entführerhierarchie innehatte. »Es war aber an der Grenze«, erklärte Richter Ralf Fischer. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte kann innerhalb einer Woche dagegen Revision einlegen.

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