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Maradona im BallHaus Ost

Wer den Fußballkönig einmal erlebte, hat das Leuchten in den Augen nie verloren

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Maradona (r.) ist 1986 im WM-Viertelfinale gegen England auf dem Weg zum besten Tor der Fußballgeschichte.
Maradona (r.) ist 1986 im WM-Viertelfinale gegen England auf dem Weg zum besten Tor der Fußballgeschichte.

Ich schlurfte am Wochenende recht lustlos durch Berlin-Lichterfelde und ahnte auf dem Weg zu einem viertklassigen Ballgeschiebe nichts Gutes. In Zeiten schwindenden Lichts schaut der Mensch gern mal zurück. Ich tat es und erblickte sogleich den Fußballkönig der Fußballkönige. Der Größte aller Kleinen erwartete mich am Bahnhof Lichterfelde Ost – um mit mir ins Traumland zu entfleuchen.

Ballhaus Ost
Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.

Der beste Fußballer der Geschichte winkte mich mit einer eleganten Bewegung seiner Hand Gottes heran. »Frank«, sagte er und blickte mir tief in die Augen. »Gott Maradona«, sagte ich und: »Habe ich in der Tombola des Lebens einen Maradona gezogen?« Er winkte ab und zog manierlich an der Fluppe, die er in der linken Hand sehr grazil hielt. In der rechten tänzelte eine Flasche Bier. Er saugte abwechselnd an der Fluppe und schluckte Bier. Ich tat so, als wäre ein Maradona Ende Januar in Lichterfelde Ost das normalste Ding der Welt.

Mein argentinischer Gast war in ein Trikot seines SSC Neapel gewandet. Einer wie er fror nie, weil die Liebe der Menschen den kleinen Schweinigel auf ewig umhüllt wie ein Mantel des Glücks. Der französische Musiker Manu Chao hat Maradona im großen Song »La Vida Tombola« ein finales Denkmal gesetzt. Schaut man sich das Video an und sieht in Minute 1:50, wie Maradona sich die Lippen leckt und vor Rührung vermutlich zu weinen beginnt (die Monstersonnenbrille bedeckt leider seine Augen), tritt das ganze Lebenstrauma des kleinen Meisters ins Offene.

Am 14. September 1983 durften 32 000 glückliche Ostdeutsche Maradona im Dress des FC Barcelona in Magdeburg ertragen. Maradona schoss drei Tore gegen den FCM. Wer ihn damals erlebte, hat das Leuchten in den Augen nie verloren. Immer wieder suchte ein heftiges Maradona-Begehren die Magdeburger Fans heim. Pommerenke und Steinbach waren Viertelmaradonas. Es dauerte viele Jahrzehnte, bis wieder ein kleiner Dribbellkönig im Land des Bötels mit Lehm und Stroh (Eisbein mit Erbspüree und Sauerkraut) auftauchte. Baris Atik heißt der gegenwärtige Maradona-Ersatz. Für die zweite Liga spielt er anständig, auch wenn sein Zaubermausfaktor keineswegs im Bereich der Hand Gottes anzusiedeln ist.

Maradonas legendärstes Tor war das 2:0 im Viertelfinale der WM 1986. In der 56. Minute bekam er in der eigenen Hälfte den Ball zugepasst und startete sein mythisches Dribbling. Beardsley, Reid, Butcher, Fenwick und noch mal Butcher hießen die menschlichen Fahnenstangen. Als nur noch Englands Torhüter Shilton den Weg zum Glück versperrte, fintierte er ihn, ließ ihn ins Leere greifen und schob zum 2:0 ein.

Wenn ich Maradona wäre, wäre ich irgendwo verloren. Wenn ich Maradona wäre, könnte ich niemals irren. Der gegnerische Stürmer Lineker sagte später: »Es war wahrscheinlich das beste Tor, das je erzielt worden ist. Ich war noch nie so nahe dran, einem gegnerischen Spieler zu applaudieren.« Lineker applaudierte nicht, er scheute sich möglicherweise davor, wieder daheim, zu Fish and Chips verarbeitet werden.

Diego Armando Maradona Franco kam aus einer sehr armen Familie; er wusste im Gegensatz zu Messi, was Hunger ist. Deshalb stand er auf der Seite der Unterdrückten, liebte Che und Fidel und brüllte oft und gern, welcher Dreckshaufen die Ffia sei. Als hedonistisches Kind seiner Zeit hielt ihn das nicht davon ab, dem Weltverband im gleichen Atemzug die Hand hinzuhalten und in Neapel mit Mafiagrößen zu posieren. In der »Ballesterer Bibliothek« des gleichnamigen Wiener Fußballmagazins erschien jüngst das Sonderhefterl Maradona. Kauft euch das Teil!

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