Twitter: Blau gemacht beim Datenschutz

Was bleibt, wenn ein Twitter-Profil gelöscht wird? Unser Autor wollte es wissen, startete den Versuch und stieß auf ein gravierendes Datenschutzproblem

Eigentlich sollte es ganz einfach sein: Ein paar Klicks in die Einstellungen bei Twitter und der Account ist gelöscht. Denkste. Die Entscheidung, künftig nicht mehr zu twittern, also Kurznachrichten abzusetzen, mit anderen Nutzer*innen zugespitzt und intensiv zu diskutieren und bei Nachrichtenereignissen rund um die Welt in Echtzeit dabei zu sein, fällt nicht leicht.

Eine Mischung aus Langeweile, Neugier und der Forderung eines damals bereits twitternden Dozenten sorgte am 29. Oktober 2009 dafür, dass ich meinen ersten Tweet absetze. Fast auf den Tag genau 13 Jahre danach marschiert am 28. Oktober 2022 Multimilliardär Elon Musk mit einem Waschbecken in der Hand in die Twitterzentrale in San Franciso. »Let that sink in« – kommentiert er betont nerdig seinen Einmarsch in die Firmenzentrale. »Sink« bezeichnet als Hauptwort ein Waschbecken und steht als Verb auch für einsinken. Sinngemäß übersetzt: »Lasst dies sacken«.

Abschied auf Raten

Twitter wurde schnell Teil meines journalistischen Wirkens. Hashtags zeigen Ereignisse an, journalistische Recherchen werden möglich und neue Kontakte auffindbar. Über 165 000 Tweets kamen zusammen und bedeuteten vor allem ein gutes Training fürs »tickern« – also die schnelle schriftliche Dokumentation von Ereignissen. Neben Live-Kommentaren zu politischen Fernsehdiskussionen zählen auch der Untersuchungsausschuss zur Spionage-Affäre von Bundesnachrichtendienst und National Security Agency (NSA) sowie der Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss zu den Inhalten, die ich auf Twitter beisteuere. Sitzungstage von überwiegend zwölf Stunden sind protokolliert und kommentiert. Kein Wunder, dass mir der Abschied schwer fällt.

Allein bin ich mit dieser Twitterbindung nicht. »Twitter war alles für mich«, beschreibt auch der 34-jährige Social-Media-Analyst Luca Hammer sein Nutzungsverhalten. Er habe in den letzten fünfzehn Jahren mehrere tausend Stunden auf und um die Plattform verbracht. Von der Interaktion mit anderen Personen, über Analysen, Vorträge und Workshops entwickelte sich der Dienst für Hammer auch zu einem wesentlichen Teil seines persönlichen Geschäftsmodells. Er schrieb seine Bachelorarbeit 2020 zum Thema »Vermessung der deutschsprachigen Twittersphäre« und gründete ein Unternehmen. Twitter sei nicht wegen der Masse an Personen dort so wichtig, sondern aufgrund der Zusammensetzung. »60Prozent der Journalist*innen und Politiker*innen waren dort nicht nur aktiv, sondern oft tatsächlich erreichbar. Sie und viele andere gesellschaftlich engagierter Menschen nutzten Twitter, um sich über diverse Angelegenheiten zu informieren und auszutauschen«, arbeitete Hammer heraus. »Aber Twitter ist mehr als nur Arbeit für mich. Fast alle Menschen, die mir wichtig sind, sind mit mir auf Twitter verbunden (gewesen). Twitter war mein wichtigster Resonanzraum. Dann kam Musk

Im November 2022 erweist Hammer der Gemeinschaft auf Twitter einen wichtigen Dienst. Sein Programm »Fedifinder«, eine Anwendung, mit der das Netzwerk gezielt durchsucht werden kann, erleichtert vielen Twitternden den Umzug zur Alternative Mastodon. Zahlreiche Nutzer*innen listen in ihren Twitter-Accounts ihre neue Erreichbarkeit via Mastodon. Hammers Programm sucht nach diesen Erreichbarkeiten, vergleicht sie mit den bisherigen Twitter-Vernetzungen und stellt eine importierbare Liste bereit, sodass die alten Twitter-Kontakte auch via Mastodon verbunden und fortgeführt werden können.

Befürchteter Zusammenbruch

»Ach ja, ich will nicht drängeln, aber es heißt, dass die IT-Sicherheit auch kündigt«, schreibt Netzexpertin Anne Roth am 10. November 2022. Schon gut 14 Tage sind vergangen, seit Musk mit seinen Entscheidungen den Eindruck einer Persönlichkeit irgendwo zwischen gefährlichem Autokraten und bockigen Kleinkind erweckt und die digitale Welt teils besorgt, teils fassungslos zurücklässt. Spontane Kündigungen weiter Teile der Belegschaft schockieren an einem Tag. Kopfschütteln darüber schon am nächsten Tag, als Musk die Kündigungen teilweise zurücknimmt, weil er sich eingestehen muss, dass er unabdingbar notwendiges Personal gefeuert hatte und dringender braucht denn je. Einen Tag nach der Warnung von Anne Roth erreicht mich via Twitter eine Direktnachricht: »Ich lösche meine Konversationen hier aus Sicherheitsgründen«, schreibt eine vielfach ausgezeichnete Person des öffentlichen Lebens.

Im November 2022 habe ich bis dahin noch keinen Tweet abgesetzt, aber die immer größer werdenden Bedenken zur Kenntnis genommen. Die Prognosen gravierender Sicherheitslücken sind nur logisch, denn das komplexe System Twitter ist ohne qualifizierte Wartung anfällig für Systemfehler oder aber auch Datendiebstahl und Missbrauch.

Löschen – aber wie?

Der Blick in die Direktnachrichten zu meinem Twitter-Account macht mir das Problem überdeutlich klar. Zwar sind diese Direktnachrichten zunächst nur für Absender und Empfänger verfügbar. Sie sind aber auch in den Twitter-Archiven vorhanden. In Erwartung des Zusammenbruchs hatte ich bereits ein Archiv angefordert. Statt der üblichen 24 Stunden dauerte es Anfang November schon mehrere Tage, bis das Archiv herunterzuladen war. Der volle Umfang meines Accounts umfasste 5,4 Gigabyte an Daten, etwas mehr als eine komplette DVD an Bildern, Nachrichten und Metadaten.

Da die Integrität der gesamten Twitter-Plattform nicht mehr gewährleistet schien, war eine normale Löschung des Accounts keine Option. Der Grund: Twitter rechnet mit wankelmütigen Nutzer*innen und räumt eine 30- oder 365-tägige Frist für die Deaktivierung ein. In diesen Zeiträumen kann jederzeit mittels Passwort und Name der komplette Account inklusive aller Inhalte reaktiviert werden. In der ungewissen Lage im November 2022 ist das keine Option.

Es dauert mehrere Stunden, in denen ich zunächst in der Twitter-App Direktnachricht um Direktnachricht auswähle und zum löschen markiere. Zwar gibt es Anbieter, die die Löschung von Direktnachrichten automatisiert ermöglichen, jedoch erfordert das Prozedere, dass man zunächst alle Inhalte an diese Drittanbieter hochlädt, die dann die Löschung vornehmen. Auch das: Keine Option.

Gelöscht ist nicht gelöscht

Nachdem in der Twitter-App auf meinem Smartphone keine Konversationen mehr enthalten sind, nutze ich einen der Drittanbieterdienste, um die öffentlich abrufbaren Tweets zu löschen. Dazu müssen die Dateien aus dem Archiv, die die Tweets enthalten, hochgeladen werden. Das System liest dann die gesamte Liste der Tweets ein und meldet jeden einzelnen zum Löschen an. Es dauerte mehrere Stunden, bis alle Tweets eingelesen, geprüft und gelöscht waren. Der Blick ins Twitterprofil nach der Löschaktion zeigt auf den ersten Blick ein gelöschtes Profil. »@DanielLuecking hat noch nichts getwittert«, heißt es nun im Account. Doch unterhalb des Profilnamens steht weiterhin eine Zahl von rund 3800 Tweets. Auch der Bereich Medien listet seit nunmehr 100 Tagen insgesamt eine Zahl von 378 Tweets, die Medien enthalten sollen.

Wenige Tage nach der Löschaktion steht das nächste angeforderte Archiv bereit. Ich stutze, als der Download trotz der Löschung der Inhalte immer noch 4,5 Gigabyte groß ist. Beim Blick ins Archiv wird klar, dass alle Bilder, die an den Tweets hängen, zwar gelöscht, aber fortan im Ordner »Medien gelöschter Tweets« verwahrt werden. Rund 15 000 Bilder aus eigenen und weiterverbreiteten Tweets sind weiterhin im Archiv enthalten. Auch im Folgearchiv, das am 25. November 2022 bereitsteht, ist kaum ein Inhalt gelöscht. 4,4 Gigabyte an Daten. Immer wieder tauchen im öffentlichen Teil des Twitterprofils nun Nachrichten anderer Nutzer*innen auf, die ich irgendwann weiterverbreitet habe. Offenbar hatten sie ihre Accounts zeitweise deaktiviert.

Der Dienst »Tweetdelete«, der die automatische Löschung auf Basis meiner hochgeladenen Archivdateien vorgenommen hatte, stieß immer wieder auf »verbotene Tweets«, also Tweets, die nicht gelöscht werden konnten. Unter diesen scheinen sich auch die 378 Tweets mit Mediendaten zu befinden, die bis heute nicht löschbar sind. Um welche Inhalte es sich handelt, ist dabei nicht klar.w

Unlöschbare private Daten

Im weiterhin aktiven Account tauchen immer wieder alte Direktnachrichten auf. Als Grund vermute ich auch hier zunächst zwischenzeitlich deaktivierte Accounts. Die manuelle Löschung ist bei diesen Konversationen möglich und ich gehe zunächst auch fest von einem Erfolg aus, als das Twitter-Archiv vom 3. Dezember nunmehr statt zuletzt 4,4 Gigabyte nur noch 44 Megabyte anzeigt, also nur noch etwa ein Prozent umfasst. Doch der Blick in die archivierten Direktnachrichten macht nun das eigentliche Datenschutzproblem deutlich.

Die noch verfügbaren Konversationen stammen teils aus journalistischer Recherche, enthalten Telefonnummern und in vielen Fällen auch verzweifelte Anfragen von Afghan*innen, die im August 2021 versuchten, noch ein Visum für die Ausreise nach Pakistan oder einen Platz auf einem der Evakuierungsflüge der Bundeswehr zu bekommen. Teil der Anfragen sind die unverlangt eingesendeten Arbeitsverträge und immer wieder auch Passpapiere. Unterlagen, die in den falschen Händen eine Lebensbedrohung bedeuten. Der Umfang der unlöschbaren Direktnachrichten folgt keinem Muster. Mal ist nur meine Seite der Konversation enthalten, mal sind es beide Seiten der Konversation. Auch ein Account, der durch die Nutzerin vermeintlich komplett gelöscht wurde, ist mit der kompletten Konversation im Archiv gespeichert.

Hallo, Elon, wie geht es weiter?

Das Problem ist gravierend. Eigene Daten sowie die Daten Dritter lagern derzeit unlöschbar in einem Account, für den ich die Verantwortung trage und der in einem System enthalten ist, dessen Fortbestand und Nutzungsszenarien derzeit nicht absehbar sind.

In der vergangenen Woche meldete ein Technik-Blog aus den USA, Twitter könnte zu einer »Alles-App« umgebaut werden. Damit sollen auch Zahlungsoptionen ermöglicht werden. Wie Musk das erreichen will, ist nicht bekannt. Dafür bricht der Daten-Autokrat im Januar einen Rekord. Seither listet ihn das Guinessbuch als Rekordhalter für vernichtetes Vermögen. Seit November 2021, so ermittelte das Wirtschaftsmagazin Forbes, habe Musk 173 Milliarden Euro Minus gemacht. Einen wesentlichen Anteil daran hatte der ziellose Twitter-Kauf.

Eine im Januar gestellte Anfrage zur Löschproblematik an die Deutschlandadresse von Twitter blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Unterstützung auf dem Weg zur Wahrnehmung des Rechts auf digitale Selbstbestimmung leistet in diesem Fall der Datenschutzbeauftragte für Hamburg, dem Deutschlandstandort von Twitter. »Verantwortliche Unternehmen werden im Rahmen der Betroffenenrechte auf Antrag der betroffenen Person tätig. Sofern die Betroffenenrechte auf einen solchen Antrag hin nicht oder nicht vollständig erfüllt werden, kann eine Beschwerde bei der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde eingereicht werden.«

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