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»Es war ein schrecklicher Tod«
Solinger Brandstifter wird zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt
An diesem Mittwoch ist das Grüppchen, das vor dem Wuppertaler Landgericht um ein Bild von Kamil Zhilov, seiner Frau Katja und den Kindern Galia und Emily steht, größer als an den 20 Sitzungstagen zuvor. Heute wird das Urteil gegen den Mörder der bulgarischen Familie gesprochen. Ihre Angehörigen sind als Nebenkläger*innen im Prozess dabei. Einige Menschen sind zu allen Prozesstagen gekommen, um sie zu unterstützen.
Der Prozess war aufreibend. Am Montag flossen bei den Angehörigen Tränen. In den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Nebenklägern wurde noch einmal ausführlich geschildert, was am 25. März 2024 geschehen ist. Wie Daniel S. in dem Haus in der Grünewalder Straße Feuer legte, wie Menschen in höchster Angst flüchteten und wie die Familie Zhilov im Feuer umkam.
Daniel S. wurde knapp zwei Wochen nach dem Brandanschlag verhaftet, nachdem er einen Bekannten mit einer Machete angegriffen und schwer verletzt hatte. Die Ermittlungsbehörden zeigten sich kurz nach der Festnahme erleichtert. Der Verdacht, dass es in Solingen nach 1993 einen zweiten rassistischen Brandanschlag gegeben hat, habe sich nicht erhärtet. Daniel S. habe aus Frust gehandelt, auch von Mietschulden war die Rede. S. hatte einmal im Hinterhaus des Hauses gewohnt, das er angezündet hat.
Unter diesen Vorzeichen begann im Januar dann auch der Strafprozess gegen Daniel S. Ein frustrierter, drogenabhängiger Mann, der ausgerastet ist. Früh ließ der Angeklagte ein Geständnis verlesen. Der Fall schien schnell erledigt. Nur die Nebenklageanwältin Seda Basay-Yildiz störte. Sie studierte die Akten des Falles genau, durchsuchte Datenträger und Internetverläufe. Dabei deckte sie einiges auf, das ein anderes Licht auf Daniel S. wirft.
Manches wie die NS-Propaganda im Haus und rassistische Memes auf einer Festplatte konnte Daniel S. nicht direkt zugeordnet werden. Anderes schon – Chat-Nachrichten, in denen Daniel S. Migrant*innen als Kanaken beschimpft, denen er ein Unglück wünscht, und der Konsum von extrem rechten Propagandavideos sind belegt. Die Nebenklage musste dafür kämpfen, Gericht und Staatsanwaltschaft war ein schnelles Verfahren wichtig.
An dessen Ende standen nun die Plädoyers. Schon am Montag machte die Staatsanwaltschaft deutlich, dass sie nicht von einem rassistischen Motiv ausgehe. Die Hälfte des Plädoyers nutzte der Staatsanwalt sogar, um Basay-Yildiz, Medien und Zivilgesellschaft eine Kampagne vorzuwerfen. Der Täter habe eine Persönlichkeitsstörung und habe gehandelt, um sich selbst zu erhöhen. Das hat ein psychologischer Gutachter festgestellt, und das ist auch die Auffassung der Staatsanwaltschaft.
Seda Basay-Yildiz trat dieser Auffassung in ihrem Plädoyer entgegen. Noch einmal zählte sie Fehler und Versäumnisse der Ermittlungsbehörden auf, fragte, warum etwa der Fund von Hitlers »Mein Kampf« nicht zu den Akten genommen wurde. Die Nebenklageanwältin sprach auch über das Leid von Überlebenden und Angehörigen. Für die ganze Familie Zhilov sei »nichts mehr so, wie es einmal war«. Eindrücklich schilderte sie zudem, was in der Brandnacht passiert war, die Berichte von Zeug*innen, die sagen, dass sie sich immer an die Schreie erinnern werden. »Es war kein schneller, es war ein schrecklicher Tod«, so Basay-Yildiz. Aus dem Plädoyer der Nebenklageanwältin bleiben Sätze hängen, die sinnbildlich sind: »Was hier passiert, ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Alles, was rechts ist, wird kleingeredet.«
Nach Basay-Yildiz sprechen auch die Anwälte von Daniel S. Dass eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung für ihren Mandanten angemessen ist, das sehen sie ebenfalls so. Nur von einer rechten Gesinnung wollen auch sie nichts wissen. Jochen Ohliger, der auch beim Anschlag von 1993 einen Angeklagten vertrat, spickt sein Plädoyer mit Sprüchen, die durch und durch zynisch sind. Der Gipfel: Daniel S. hätte das Haus in der Grünewalder Straße auch angezündet, wenn sich darin die Geschäftsstelle der AfD befunden hätte. Die Frage nach einem rechten Motiv bezeichnet er als »Nazi-Bohei«, das um den Angeklagten gemacht worden sei.
Schließlich ging auch Richter Jochen Kötter bei der Urteilsverkündung auf die Frage nach dem Motiv ein. Rassismus negiert der Vorsitzende. Daniel S. habe den Brand gelegt, weil er das Gebäude und seine Zugänglichkeit kenne. Die »Landsmannschaft« der Bewohner*innen habe keine Rolle gespielt. Daniel S. habe eine schwierige Jugend gehabt und viele Drogen konsumiert. Das Gericht folgte der Einschätzung der Staatsanwaltschaft. Verurteilt wurde Daniel S. zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Die Opferberatung Rheinland betreut die Angehörigen und Überlebenden des Anschlags. Mit dem Urteil ist sie nicht zufrieden. »Ein Gerichtsverfahren, das in seiner Urteilsbegründung zwar juristische Klarheit herstellt, aber die existenziellen Erfahrungen der Betroffenen nicht sichtbar macht, kann auch aus professioneller Sicht keine Gerechtigkeit herstellen«, erklärt Berater Jan-Rober Hildebrandt.
Gerechtigkeit bedeute für Betroffene, auch anerkannt zu werden – nicht nur als Zeug*innen oder Beweisquellen, sondern als Menschen mit einer verletzlichen Geschichte, die einen Anspruch auf Würde und auf gesellschaftliche Solidarität haben. »Das heutige Urteil markiert zwar das Ende eines Prozesses, aber nicht das Ende der Verantwortung«, erklärte Hildebrandt nach der Urteilsverkündung.
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