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Rory Gallagher: Der Anti-Held im ausgewaschenen Kaufhaushemd

Die »50th Anniversary Edition« von Rory Gallaghers zweitem Album »Deuce« präsentiert den Ausnahmegitarristen schon früh in bestechender Form

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 5 Min.
Am besten immer plebejisch und live: Rory Gallagher, hier 1987 in Regensburg
Am besten immer plebejisch und live: Rory Gallagher, hier 1987 in Regensburg

Sollten Sie zufällig mal im südlichen Irland unterwegs sein, könnten Sie in Cork haltmachen, am St. Oliver‹s Cemetery. Die mit ihren strahlenförmigen Messing-Applikationen arg modernistische Rory Gallagher Gravesite ist zwar auffällig, aber angesichts der Größe des Friedhofs gar nicht so leicht zu finden. Wer einen älteren Herrn sieht, sollte ihn ansprechen und nachfragen, die Chancen stehen nicht so schlecht, dass es sich um Gallaghers alten Schulfreund handelt, der sich seit Langem schon um die Pflege der Grabstelle kümmert. Er führt einen hin, räumt die verwelkten Blumen ab und poliert anschließend akribisch die Messingstrahlen.

Diese anrührende mögliche Szene passt zu dem Gitarrengenius, der bereits Ende der 60er Jahre in einer Leserumfrage des »Melody Maker« den damals als »God« gehandelten Eric Clapton deklassierte, dessen Aura aber nie so hell erstrahlte. Gallagher blieb bis zum Schluss ein irischer Plebejer, den ein Reportermikrofon immer ein wenig einschüchterte, obwohl ihm schon früh und selbst von den Größten der Zunft Anerkennung zuteil wurde. Als man etwa Jimi Hendrix fragte, wie es sich anfühle, so als bester Gitarrist der Welt, soll er nur die Schultern gezuckt haben: »Kein Ahnung, frag Rory Gallagher!«

Die »Times« versucht später aus der Not eine Tugend zu machen und ihn als »Popstar neuen Typs« zu verkaufen, als einen »Anti-Helden im ausgewaschenen Kaufhaushemd«, der seine alte, zerschundene 61er Fender-Stratocaster für sich sprechen lässt und »sich inmitten der Drogen-Szene lieber an ein Bierglas hält«. Trotz des bald einsetzenden Erfolgs, zunächst mit seinem progressiven Blues-Rock-Trio Taste und seit den 70ern als Solokünstler, geht ihm der Rockstar-Habitus völlig ab. Er trifft seine Fans nach dem Gig weiterhin ganz zwanglos an der Bar und trinkt sie regelmäßig unter den Tisch.

Das hinterlässt Spuren. Ende der 80er sieht er aus wie der fette Frosch, den er im »Bullfrog Blues« besingt. Seine Leber macht schon länger Probleme, 1995 muss man ihm eine neue implantieren. Im Krankenhaus fängt er sich ein Virus ein und erkrankt an einer Lungenentzündung, von der er sich nicht mehr erholt. Gallagher wird gerade mal 47 Jahre alt. Sein letztes Album »Fresh Evidence« liegt da schon ein paar Jahre zurück. Aber bis zuletzt tingelt er durch die Clubs und kleinen Hallen, und was er an Geschwindigkeit und Verve eingebüßt hat, macht er mit Gefühl wieder wett. Und das bisschen, was dann noch fehlt, ergänzen seine loyalen Fans aus der Erinnerung.

Stilistisch bleibt er dem Blues zwar treu, aber nie konsequent. Er kann jederzeit den akustischen Südstaaten-Bluesman zum Leben erwecken, wildert aber auch im Folk, Jazz und Rock. Ganz bei sich ist er ohnehin nur elektrisch, mit seiner Stratocaster und einem kleinen, voll aufgedrehten Kofferverstärker, der auf dem Stuhl auf- und abhüpft. Dieser warme, sonore Gitarrenton ist mindestens so unverwechselbar wie seine immer leicht melancholische Stimme.

Mitte der 70er jammt er mit den Rolling Stones, und sofort kommt das Gerücht auf, Gallagher werde Mick Taylor nach dessen Abgang beerben. Schwer zu sagen, ob tatsächlich etwas dran ist an dem Gerede, jedenfalls tut er sich selbst den größten Gefallen – und steigt nicht ein. In diesem fest verschnürten Bandkorsett hätte er nicht das machen können, was er wollte – oder doch nicht so, wie er es wollte. »When was the last time you heard a guitarist really play guitar?«, steht in dieser Zeit auf seinen Tourplakaten. Eine Frage, die er Abend für Abend mit nie erlahmendem Enthusiasmus beantwortet.

Mit dem Album »Against The Grain« von 1975 beginnt seine kompositorisch reifste und auch energetisch heißeste Phase. Seine Band ist eingespielt, Gallagher auf der Höhe seiner Kunst, und jetzt transformiert sich der aufgedrehte Blues unter seinen flinken Händen zum Hard Rock. Seine neue Plattenfirma Chrysalis hat nichts dagegen, engagiert mit dem Deep-Purple-Bassisten Roger Glover einen entsprechend temperierten Produzenten, und so kommt es in der Folge immer öfter zu solch krachenden Grenzüberschreitungen. Auf der Bühne entwickeln Songs wie »Moonchild« oder »Shadow Play« allerdings erst ihr volles Suggestionspotenzial, wie sich auf dem knochenharten, funkensprühenden Live-Album »Stage Struck« nachhören lässt.

Der deutschsprachige Raum war für Gallagher immer schon ein gutes Pflaster. Im Münchner Musicland und im Kölner Dierks-Studio nimmt er einige seiner erfolgreichsten Alben auf, und bereits in den frühen 70ern hat er hier eine getreue Gefolgschaft. Aber dann spielt er neben Little Feat und Roger McGuinn‹s Thunderbyrd in der ersten »Rockpalast«-Nacht 1977, die via Eurovision im Fernsehen übertragen wird – und spätestens nach diesem elektrisierenden Auftritt kennt man ihn auch außerhalb der Nerd-Szene.

Sein Nachruhm ist dennoch nicht vergleichbar mit dem eines Jimi Hendrix, dessen Aura nach seinem Tod erst richtig zu strahlen beginnt. Gallagher hatte schließlich eine über 30-jährige Karriere mit elf regulären Studio- und drei-Live-Alben. Trotzdem vergisst man ihn nicht und plündert regelmäßig die Archive, wenn mal wieder ein Jubiläum ansteht. Gerade hat es »Deuce«, das zweite Soloalbum nach seinem Ausstieg bei Taste, zu einer »50th Anniversary Edition« gebracht. Man kann hier noch einmal eintauchen in die frühen 70er Jahre und lauschen, wie Gallagher bereits sein ganzes Repertoire aus Akustik-Folk-, Blues- und härteren Rock-Nummern aufblättert und auch gleich mehrfach sein Talent als Songwriter unter Beweis stellt – bei der Irish-Folk-Elegie »I‹m Not Awake Yet« etwa oder dem ausgelassenen Blues Rocker »Crest Of A Wave«.

Er weiß, dass seine Stärken in der Live-Performance liegen, entsprechend versucht er den Bühnenzauber im Studio heraufzubeschwören. Er nimmt sich viel Raum für Improvisationen, die seinen Status als Gitarrengott, der gerade Clapton vom Thron gestoßen hat, untermauern sollen. Vor allem aber will er sich und sein Publikum nicht langweilen. Das zeigen auch die vielen Alternativ-Versionen oder die Sessions bei Radio Bremen kurz vor Weihnachten 1971. Sie unterscheiden sich teilweise deutlich von den regulären Album-Songs. Sie sind anders, aber keinen Deut schlechter.

Rory Gallagher: »Deuce – 50th Anniversary Edition« (Universal)

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